Queeres Kino im Wandel – FILMZ Symposium 2023

09.11.2023
Freizeit
cd & mma

Am 01. November startete zum 22. Mal das FILMZ-Festival des deutschen Kinos in Mainz. Das diesjährige Symposium beschäftigte sich mit der Entwicklung von Queer Cinema.

Mit Fragen wie "Was bedeutet Queer Cinema?“ und "Ab wann kann ein Film als queer bezeichnet werden?“, beschäftigten sich Dr. Sarah Horn von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Prof. Dr. Simon Dickel von der Folkwang Universität der Künste in Essen und Dr. Annette Vanagas von der Universität zu Köln in der diesjährigen Vortragsreihe des Symposiums von FILMZ-Festival des deutschen Kinos. Betitelt wurde dies mit "Der Wandel des Queer Cinema“.

In den Vorträgen wurde die Repräsentation queerer Themen im Film und die Entwicklung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung beleuchtet. Der Vortragstag am 4. November stand im Zentrum des diesjährigen Symposiums. Dort präsentierten die drei Referent:innen wissenschaftliche Vorträge und nahmen an einer anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Publikum teil. In ihren Vorträgen betonten sie die politische Relevanz und Wichtigkeit der Veranstaltung. In der darauffolgenden Festivalwoche wurden in ganz Mainz Filme zu dem Symposiumsthema gezeigt, die aus dem Archiv des ZDFs stammten und anlässlich des 60. Jubiläums des kleinen Fernsehspiels kuratiert wurden.

Zeitgenössisches, queeres Kino

Der erste Vortrag wurde von Dr. Sarah Horn gehalten, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft an der JGU. Der Titel des Vortrags lautete "Neubau – Neue Selbstverständlichkeiten in den Politiken eines Zusammenlebens“. Neubau ist ein Film von Johannes Schmit aus dem Jahr 2020. Es ist sein Debutfilm. Er ist zeitgenössisches queeres Kino, ein Heimatfilm, der in der Brandenburger Provinz spielt und versucht, Menschen auf dem Land in ihrem Alltag und ihren Beziehungen zu zeigen. Markus (Tucké Royale), der transgeschlechtliche Protagonist des Films, ist hin- und hergerissen zwischen seiner Sehnsucht nach Berlin und der Liebe zu seinen pflegebedürftigen Omas, die ihn großgezogen haben.

Transgeschlechtlichkeit sei kein zentrales Thema im Film, es werde als „alltägliche Routine“, so Horn, behandelt. Das zeigte sie an zwei Filmausschnitten. Der Erste präsentierte die ersten fünf Minuten des Films. Dort hat Markus Sex mit einem anderen Mann und man sieht die Narben auf seinem Körper, entstanden durch eine geschlechtsangleichende Operation. Im zweiten Filmausschnitt steht er im Badezimmer und spritzt sich Testosteron.

Die Wichtigkeit dieses Themas machte Horn daran fest, dass Diskussionen über Selbstbestimmung lauter werden würden und es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Gewalt gegen queere Personen kam. In ihrem Vortrag ging die Filmwissenschaftlerin der Frage nach, was queeres Kino bedeutet. Sie widmete sich auch dem New Queer Cinema der 80er/90er Jahre, in dem es viel um AIDS-Aktivismus ging.

Intersektionalität im Queer Cinema

Der Vortrag von Simon Dickel von der Folkwang Universität der Künste in Essen widmete sich dem Thema „Queeres Kino und kulturelles Gedächtnis“. Darin sprach er unter anderem über die Nutzung von Archivmaterial in Filmen.

Archivierungen seien von großer Bedeutung, um Wissen zu bewahren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Besonders der Spielfilm Watermelon Woman von Cheryl Dunye aus dem Jahr 1996 wurde im Vortrag hervorgehoben. Der Film erzählt die Geschichte von Cheryl Dunye, die einen Dokumentarfilm über eine schwarze Schauspielerin dreht, die in verschiedenen Filmen auftrat, im Abspann aber lediglich als Watermelon Woman erwähnt wird. In ihrer Recherche kann Cheryl immer mehr Parallelen zu sich selbst finden. Der Film setzte sich kritisch mit der Allgegenwärtigkeit weißer Geschichtsschreibung auseinander und machte eine fiktive schwarze, lesbische Schauspielerin sichtbar. Besonders betont wurde dabei die Wichtigkeit von Intersektionalität im Queer Cinema. Menschen können nicht nur wegen ihrer Sexualität, sondern auch aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht diskriminiert werden. Daher ist es wichtig, verschiedene Perspektiven im Film einzubringen.

Möglichkeitsräume im Mainstreamfilm erweitern

Der letzte Vortrag, gehalten von Dr. Annette Vanagas von der Universität zu Köln, war "Gefährliches Alltagswissen? Kulturelle Repräsentationen von Transgeschlechtlichkeit im Mainstreamfilm und reaktionäre identitätspolitische Bestrebungen in der Gesellschaft“. 

In ihrem Vortrag ging Vanagas der Frage nach, welches Wissen in Filmen über Transgeschlechtlichkeit produziert wird. Als Beispiel dienten ihr die Filme Boys don’t cry, The Danish Girl, Trans America und Romeos. Der Körper sei in solchen Filmen oft mit Scham besetzt, es komme zu Fremdoutings und Exotisierung, so Vanagas. Das Geschlecht werde in diesen Filmen auch erst nach einer geschlechtsangleichenden OP anerkannt, bis dahin hinterfrage der Film es.

Des Weiteren stellte sie die Frage, ob queere Repräsentation Integration und Gleichberechtigung sei. Hier wurde darauf eingegangen, ob der Mainstreamfilm als kapitalistisches Kulturgut überhaupt queere Kritik leisten muss. Ebenso wurden Diskurse über Transgeschlechtlichkeit im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes und die transfeindliche Narration in den Medien angesprochen. Mainstreamfilme zeigten oft Gewalt gegen transgeschlechtliche Personen, was zu weiterer Gewalt führe.

Zuletzt widmete Vanagas sich noch der Frage nach bestehenden gesellschaftlichen Problemen, wie der zunehmenden Gewalt gegenüber queeren Personen. Darüber hinaus wurden kommende Aufgaben angesprochen, wo Vanagas unter anderem die beruflichen Konsequenzen bei queeren Schauspielern ansprach, welche sie damit schloss, dass man Möglichkeitsräume im Mainstreamfilm finden und erweitern müsse.

Was ist queeres Kino?

Auch der Vortrag von Dr. Vanagas kam sehr gut beim Publikum an. Nach Publikumsfragen entstand eine Diskussion, die dann nahtlos in die Podiumsdiskussion überging. Die Podiumsdiskussion wurde von Univ.-Prof. Dr. Marc Siegel geleitet, einem Professor für Filmwissenschaft an der JGU. 

Bei der Frage "Was ist queeres Kino?“ herrschte sowohl Einigkeit als auch Uneinigkeit bei den Teilnehmenden an der Diskussion. Einig war man sich in dem Punkt, dass sich queeres Kino durch Begehren auszeichne – wäre dieser Faktor nicht da, wäre es kein queeres Kino. Hierbei wurde auch die veränderte Bedeutung des Begriffs "queer“ angesprochen. Früher sei die Auflösung des Geschlechts Thema gewesen, heute sei es ein Identitätslabel in Deutschland und ein Begriff für Sexualität in den USA.

Auch das Publikum beteiligte sich rege an der Diskussion. Es wurden viele Fragen gestellt, aber es wurde auch mitdiskutiert und widersprochen: Ein Teilnehmer aus dem Publikum widersprach Dr. Sarah Horn, als diese Titan, welcher bei den 74. Filmfestspielen von Cannes die goldene Palme gewonnen hat, als Mainstreamfilm bezeichnete.

Erfolg auf ganzer Linie

Das Publikum empfand die diesjährigen Symposiumsvorträge als sehr spannend, informativ und bereichernd und betonte insbesondere die verschiedenen Perspektiven, die gezeigt wurden.

In einem Gespräch mit campus-mainz.net zeigt sich auch Zoe Adloff, Leiterin des Symposiums, zufrieden. Sie nimmt die Veranstaltung als Erfolg wahr. Das Publikum beteiligte sich aktiv und brachte eigene Fragen und Anregungen ein. Dies zeige, dass das Thema Queer Cinema auf ein großes Interesse gestoßen sei. Die Themenauswahl sei durch FILMZ-Mitglied David Münch vorgeschlagen worden.

Bei der Auswahl der Filme habe man verschiedene Perspektiven berücksichtigen wollen. Um den Wandel des Queer Cinemas zu zeigen, wurden während der gesamten Festivalwoche Filme aus unterschiedlichen Jahrzehnten gezeigt. Darunter beispielsweise Die Bettwurst von Rosa von Praunheim aus dem Jahr 1971. Es handelt von einem Vorzeige-Ehepaar und parodiert heterosexuelle Beziehungen in der Camp-Ästhetik. Für zukünftige Symposien gebe es die Idee, anstelle eines thematischen Schwerpunkts einen Film als Grundlage auszuwählen.

Queere Subkultur in Berlin

Am Abend gab es dann eine Sondervorführung des Films Desire will set you free im Ciné Mayence. Der Film von Yony Leyser aus dem Jahr 2015 ist ein Spielfilm über das zeitgenössische Leben in Berlin. Er soll kritisch, aber auch humorvoll sein. Es geht um Liebe, Drogen und sexuelle Abenteuer, ein detailgetreuer Einblick in die queere Subkultur Berlins.

FILMZ

Am Sonntag, dem 12. November, findet der letzte Festivaltag statt. Im Rahmen der Preisverleihung werden die Gewinner:innen in den Kategorien Langfilm, Mittellangfilm, Kurzfilm und Dokumentarfilm gekürt. Da FILMZ ein Publikumsfestival ist, haben die Zuschauer:innen einen erheblichen Einfluss auf die Auswahl der besten Wettbewerbsfilme. Weitere Highlights des Festivals sind unter anderem das Drehbuch-Pitching, der Filmzirkel, welcher einen Austausch zwischen Filmemacher:innen und Publikum bietet, das Spotlight mit deutsch-italienischen Filmen und die Masterclass mit Oscarpreisträgerin Caroline Link.

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