Zuhause studieren: Von psychischer Belastung und Lösungsansätzen

03.01.2021
Studium, Beratung
hb

Auch im Wintersemester befinden sich die meisten Studierenden das zweite Semester in Folge im Homeoffice. Die Folge: Herausforderungen für die psychische Gesundheit.

Während der Präsenzunterricht an Schulen mit einzelnen Ausnahmen weiterhin durchgeführt wird, befinden sich die Studierenden der JGU seit April im Homeoffice. Doch in der heimischen Umgebung fällt es schwerer, Arbeiten und Freizeit voneinander zu trennen. Zudem belastet die Studierenden das Abstandhalten von Kommilliton:innen; Freund:innen und Familienmitgliedern. Dabei sind Berührung ein wichtiger Faktor, der zu Entspannung führt.  

Die Kombination von Homeoffice und sozialer Isolation fordert einen Preis – das psychische Wohlbefinden. Anna Janßen von der Psychotherapeutischen Beratungsstelle (PBS) der JGU Mainz berichtet über die aktuellen Probleme der Studierenden sowie die aktuelle Auslastung der PBS und teilt bewährte Lösungsvorschläge.

Einschränkungen verstärken vorhandene Probleme

Die Problematiken, mit denen Studierende zur PBS kommen, seien laut Janßen "von den Grundausprägungen ähnlich" wie zu der Zeit vor der Pandemie. In der Top Drei befänden sich demnach weiterhin Depressionen bzw. depressive Verstimmungen, Ängste und Leistungsprobleme.

Die Corona-Pandemie wirke verstärkt als "Katalysator": Problematiken, die vorher schon ansatzweise vorhanden waren, würden nun beschleunigt und verstärkt. Begründet ist dies darin, dass durch die Einschränkungen beispielsweise soziale Kontakte wie Verabredungen mit Freund:innen oder Vereinssport wegfallen und gleichzeitig neue Konflikte entstehen, zum Beispiel durch eine beengte Wohnsituation in der WG oder bei den Eltern, die sich alle in ähnlichen Situationen befinden.

Durch die Belastung aller würden nun auch die Personen, die zuvor als Stütze dienten, beispielsweise Freund:innen und Familienmitglieder, selbst eine Belastung erfahren, die es erschweren kann, sich mit den Problemen Anderer auseinanderzusetzen. Gebündelt führe dies dazu, dass sich "eine Symptomatik schneller entwickeln kann", so Janßen.

Hauptproblem: Die Fusion von Arbeits- und Lebensraum

Speziell durch das Homeoffice entstandene Probleme sind neben der schweren Trennung von Studium und Freizeit auch das zunehmend schwerer fallende Abschalten nach der Arbeitszeit und damit einhergehende mögliche Schlafprobleme. Weiterhin führe das Arbeiten im WG- oder Wohnheimszimmer dazu, dass ein Raum, der eigentlich zur Erholung dient, mit Arbeit verknüpft wird.

Durch die neuen Anforderungen, mit denen Studierende in der digitalen Lehre konfrontiert waren und weiterhin sind, werde das Phänomen des Aufschiebens zunehmend beobachtet, so Janßen. Die Psychotherapeutin erläutert, dass dieses Phänomen beispielsweise dann entsteht, wenn Personen nicht absehen können, was auf sie zukommt, Struktur von Außen fehlt, sich Aufgaben als "großer Berg" anhäufen und diese auf Grund der Menge und einer "Ich schaffe das alles nicht"-Angst vor sich hergeschoben werden.

Dass man nun länger am Schreibtisch sitze und dafür weniger häufig den Weg zum Campus antrete, könne auch negative Auswirkungen auf die Stimmung und langfristig auf die Motivation haben. Mehrere Studien gehen davon aus, dass dies der Fall ist, weil bei körperlicher Anstrengung Endorphine und Glückshormone ausgeschüttet werden. 

Außerdem gibt es weitere Problematiken, die nichts mit dem Homeoffice zu tun haben, Studierende aber zusätzlich belasten. Dazu gehören finanzielle Schwierigkeiten durch den Verlust des Nebenjobs, soziale Isolation oder häusliche Konflikte.

Symptome und das Fassmodell der Belastungsentwicklung

Symptome der Betroffenen seien " individuell", so Janßen. Manche würden psychosomatisch auf die neue Situation reagieren, also unter körperlichen Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen leiden. Andere fühlten sich verstärkt niedergeschlagen, leiden an Schlafproblemen oder Antriebs-, Motivations- oder Freudlosigkeit. Ängstliche Personen seien dauerhaft angespannt, hätten eher Herzklopfen und könnten sich schwerer entspannen. 

Um zu verdeutlichen, warum Belastungen bei einzelnen Personen unterschiedlich wahrgenommen werden, beschreibt Anna Janßen ein "Fassmodel" der Belastungsentwicklung: Genetische Veranlagungen, Prägungen durch das Elternhaus, der individuelle Umgang mit Problemen sowie die individuelle Wahrnehmung bilden für jedes Individuum ein Fass mit unterschiedlichen Bodenhöhen. Diese Bodenhöhe beeinflusst wiederum dessen Fassungsvermögen, bestimmt damit also, wie gut das Individuum mit belastenden Situationen umgehen kann. Durch die Pandemie und die Arbeit im Homeoffice kann sich das Fass füllen, bis es "überläuft". Ab diesem Moment liege eine Überlastung vor, so Janßen.

Wege aus dem Stimmungs- und Motivationstief

Anna Janßen empfiehlt den Studierenden, mehr Trennung von Arbeit- und Freizeit, und damit auch Struktur, in ihren Alltag zu bringen. Dazu gehören regelmäßige Schlaf-, Essens- und Pausenzeiten sowie der Aufbau einer Arbeitshaltung. Das bedeutet, man solle sich morgens wie für die Uni fertig machen und vielleicht sogar einen "künstlichen Arbeitsweg" gestalten, indem man morgens und abends eine Runde spazieren gehe. Damit gehe man gleichzeitig das Problem der geringeren Bewegung an.

Zudem lohne es sich für jede:n Einzelne:n, darüber nachzudenken, mit welchen sichtbaren Ritualen Körper und Kopf signalisiert werden kann, dass eine Erholungszeit angebrochen ist. Janßen schlägt vor, "kreativ" zu sein und u.a. ihren Schreibtisch nach Beendigung der Arbeitszeit aufzuräumen oder umzudekorieren. Zur Motivation empfiehlt sie außerdem kleine Belohnungen für erledigte Aufgaben.

Zur Vermeidung von Einsamkeit rät Janßen, sich viel mit Kommiliton:innen auszutauschen und aktiv digital oder telefonisch den Kontakt zu suchen. Zudem könne man mit seiner WG oder seinen Eltern Zeit verbringen und gleichzeitig "Rückzugszeit einplanen". Ein besonderes Augenmerk sollen die Studierenden auf ihre Medienzeit bezüglich des Nachrichtenlesen von Coronameldungen haben und diese gegebenenfalls einschränken, sobald ein Gefühl erhöhter Belastung vorliegt. Um diese Belastung vorzubeugen, empfiehlt sie, sich "einmal am Tag gezielt auf einer serösen Nachrichtenseite anstatt sich immer wieder über den Tag verteilt zu informieren". Denn ein häppchenweiser Konsum könne zu erhöhter Anspannung führen.

Hilfestellungen der PBS

Zum Umgang mit der Corona-Pandemie hat die PBS einige Lösungsvorschläge zusammengetragen und bietet einen speziellen Kurs zum Thema an, an dem jederzeit nach vorheriger Anmeldung kostenlos teilgenommen werden kann.

Die PBS veranstaltet in jedem Semester eine Vielzahl an Gruppenkursen. Diese beschäftigen sich mit Themen wie Achtsamkeit, der Bewältigung von Prüfungsängsten und der Prävention von Depressionen (campus-mainz.net berichtete).

Wer Tipps zur Strukturierung des eigenen Alltags benötigt, kann sich mit dem freizugänglichen Blended Counseling Modul "Projekte planen" befassen. Das Modul "Entspannung fördern" unterstützt bei der dauerhaften Senkung einer erhöhten Grundanspannung, während das Modul "Gedanken verändern" helfen kann, belastende und negative Gedankengänge zu kontrollieren.

Zur Verbesserung der Schlaf-Routine empfiehlt Janßen das Modul "Gut schlafen", mit dem Modul "Gedanken verändern" kann zusätzlich gegen "Grübelgedanken" vorgegangen werden. Bei Grübelgedanken handelt es sich um rotierende Gedanken, die sich auf die nicht mehr beeinflussbare Vergangenheit beziehen. Auf der Website me@JGU lassen sich ergänzende Informationen zu diesen Themenbereichen finden.

Wer individuelle professionelle Unterstützung bei belastenden Themen und Situationen sucht, kann dies in bis zu zehn Einzelsitzungen mit einem:einer Berater:in der PBS tun. Die Anmeldung erfolgt per Mail an pbs@uni-mainz.de oder per Anruf an 06131-39 22312.

Digitale Beratung funktioniere "erstaunlich gut"

Die PBS verzeichnete zu Beginn der Pandemie im März einen leichten Rückgang der Anfragen, konnte aber "nahtlos" von Präsenz- auf Online- bzw. Telefonberatung umschalten. Mittlerweile liegt die Nachfrage bei Einzelberatungen auf dem Vorjahresniveau. Weiterhin sei die Nachfrage nach Kursangeboten um 25 Prozent gestiegen.

Außerdem würden mehr Studierende die Online-Angebote, wie die eigens für alle Studierenden der JGU freigeschalteten Blended Counseling-Module, nutzen oder sich bedürfnisorientiert mit den Angeboten der Website me@JGU beschäftigen. Betroffene müssen allerdings weiterhin mit einer Wartezeit von zehn Wochen bis zu einem persönlichen Erstgespräch rechnen, so Janßen.

Aus Janßens Sicht seien diejenigen, die die Online-Einzelberatung in Anspruch nehmen, "weiterhin zufrieden". Viele begrüßten die zeitliche und räumliche Flexibilität des Angebots. Janßen erlebt auch, dass sozial ängstliche Menschen weniger Überwindung brauchen würden, um das Angebot in Anspruch zu nehmen. Wer schon vor der Pandemie die PBS aufgesucht habe, dem fehle allerdings der Besuch vor Ort.

Auch Anna Janßen sieht in der Beratung vor Ort und in der therapeutischen Interaktion das beste Angebot. Betroffene könnten in dieser Situation "ihre Probleme an einem anderen Ort" lassen, während sie als Therapeutin selbst besser auf ihr Gegenüber eingehen könne. Trotzdem funktioniere die Online-Beratung "erstaunlich gut".

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