Visions for climate – eine interdisziplinäre Vorlesung über die Klimakrise

02.11.2024
Studium, Fachschaften
Johanna Schönberner

Die Vorlesungsreihe Visions for climate beschäftigt sich mit Klimafragen. Am 21.10. fand die erste Vorlesung des Wintersemesters 2024/25 statt. Gehalten wurde sie von Harald Lesch und Cecilia Scorza.

Ein voll besetzter Hörsaal. Rationale Informationsvermittlung mit Prof. Dr. Harald Lesch und Dr. Cecilia Scorza zu natürlichen und sozialen Kippunkten. Aufgebrachtheit. Resignation. Lachen. Hoffnung. Das alles brachte die Auftaktvorlesung.
Die Vorlesung begann mit Ansprachen von unterschiedlichen Personen. Darunter Stephan Jolie, Katrin Eder und Prof. Dr. Seiffert. Darauf folgte der Vortrag von Lesch und Scorza mit anschließender Diskussionsrunde zum Thema. Die Vorlesung endete mit dem erstmaligen Verleih des Gutenberg-Zukunfts-Awards an die beiden Referierenden.

Die Vorlesungsreihe – das Prinzip

Die Vorlesungen sind interdisziplinär gestaltet und finden bis zum 03.02.2025 jeden Montag von 18:15-19:45 Uhr im RW1 statt. Zudem kann man sie streamen. Wöchentlich halten Referierende aus verschiedenen Fachbereichen die Vorlesung. Auch für fachfremde Interessierte ist die Vorlesung verständlich. Gesichert wird dies u. a. durch ein Tandem-Prinzip, bei dem sich jeweils zwei Dozierende aus unterschiedlichen Bereichen gegenseitig Rückmeldung zu ihren Vorträgen geben.  
Der Ablauf der Vorlesung ist jedes Mal gleich. Zu Beginn wird es einen künstlerischen Impuls geben, bei dem es sich dieses Jahr um eine Reise in die Zukunft handelt. Darauf folgt der Vortrag der Dozierenden. Zum Abschluss gibt es eine Diskussionsrunde, bei der die Studierenden Fragen stellen können.
Studierende haben mittlerweile in unterschiedlichen Studiengängen die Möglichkeit, sich mit dem Zukunftsmodul ECTS-Punkte anrechnen zu lassen. Zudem gibt es die Möglichkeit, ein Zukunftszertifikat zu machen.

Ansprachen zu Beginn – Die Zeit läuft

Stephan Jolie (Vizepräsident für Studium und Lehre der JGU) betonte gleich zu Anfang, wie wichtig diese Vorlesungsreihe für ihn sei, da sie ein Baustein sei für „wirklich zukunftsorientierte Bildung“. Weiterhin sprach er davon, dass es darum ginge, eine lebenswerte Zukunft zu erdenken, die alle mitgestalten könnten. Er äußerte die Hoffnung auf eine positive Zukunft.
Katrin Eder (Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz) verwies in ihrer Ansprache mehrfach auf die Dringlichkeit des Handelns und darauf, dass das Thema Klimaschutz und Klimawandel im politischen Diskurs aktuell zu kurz käme. Daraus schließt sie: „Während wir darüber reden […] und der Klimaschutz immer weiter in den Hintergrund der öffentlichen Debatte rückt, vollzieht sich die Klimakrise. […] und deswegen ist es an uns, zu schauen, was wir tun können.“ Sie hob außerdem hervor, dass „gar nicht alles schlecht ist. Es gibt sie, die Geschichten des Gelingens.“
Die Ansprache von Prof. Dr. Sebastian Seiffert (Department Chemie, JGU) ließ einen anderen Ton durchscheinen. Aus seinen Worten sprach Verzweiflung und Resignation über die aktuelle Situation. „Es zeigt sich ja vor allem auch erstmal eines: die Zeit läuft. Und sie läuft gegen uns“. Er appellierte, von „Zustimmenden zu Handelnden, … von Zuschauenden zu Akteuren zu werden“.

Lesch und Scorza – starke Wissenschaftskommunikation

Als Einstieg in seinen Vortrag begann Prof. Dr. Harald Lesch damit, die Brisanz des Themas darzustellen: „Denn es [der Klimawandel] betrifft den Aggregatszustand unseres Lebens… Die Natur ist kein Parteimitglied. Das Thema, über das ich spreche, hat keine Parteifarbe. Die Natur war schon lange vor uns da und wird auch lange nach uns da sein“. Seine Aufgebrachtheit und Ungläubigkeit war zu spüren, als er davon sprach, dass einige Menschen nicht an einen menschengemachten Klimawandel glauben: „Das kann doch nicht sein, Menschenskinder!“.
Während seines Vortrags präsentierte er wissenschaftliche Fakten für die sowohl in Präsenz als auch online Anwesenden in verständlicher Form. Trotz des heiklen Themas schaffte er es, zwischendurch für Gelächter zu sorgen. Die Zuhörenden wirkten im Vergleich zu anderen Vorlesungen deutlich weniger abgelenkt und es war ruhig. Zuerst verfolgten sie die beschriebenen natürlichen Kippunkte (zu warme Meere, zu schnell schmelzendes Eis, bereits zu hohe Durchschnittstemperatur) und mögliche Zukunftsprojektionen bei weiterer Erwärmung. Lesch zeigte auch auf, dass „Rückkopplungen das Erdklima schon bei zwei Grad Erwärmung destabilisieren könnten“. 

Dr. Cecilia Scorza wies nach Lesch auf soziale Kipppunkte hin. D.h. sie sprach darüber, was auf gesellschaftlicher Ebene notwendig ist, damit ein Umdenken und Handeln stattfinden kann. In diesem Zuge sprach sie Hürden, Handlungshemmnisse und Verzögerungsstrategien an. Sie verdeutlichte, wie wichtig es ist, dass sich „möglichst viele Menschen in Gruppen vernetzen, die sich wirksam engagieren und dabei wohlfühlen“.
Nach Berechnungen seien 3,5 % der Bevölkerung notwendig, um den sozialen Kipppunkt zu erreichen und so zu einer nachhaltigeren Welt zu führen. Scorza ging auch auf die, bei vielen Jugendlichen existierende, Angst vor der Zukunft ein und darauf, wie man diese lindern kann und welche Rolle „Verstehen“ dabei spiele.
Wer sich die Vorlesung anschauen möchte, findet hier die Aufzeichnungen.

Die Vorlesungsreihe – eine Erfolgsgeschichte

Durch eine studentische Initiative zur ersten Vorlesungsreihe

Timo Graffe, Mitinitiator der Vorlesungsreihe und mittlerweile Koordinator der Koordinationsstelle sustainable university, hat uns in einem Interview erzählt, wie sich die Vorlesung bis hierhin entwickelt hat. Zu Beginn entstand das Ganze aus einer studentischen Initiative, die Nachhaltigkeitsbildung in die universitären Strukturen mit einbringen wollte. Anfangs habe es einige Startschwierigkeiten gegeben, auch wenn die Reaktionen der angesprochenen Dozierenden häufig positiv ausfielen.

Dann sei „das Gutenberg Lehrkolleg ins Spiel gekommen. Dort haben wir unser Projekt vorgestellt. Da kam sehr viel positive Resonanz.“ Im Laufe der Zeit hätten sie auch noch viel Unterstützung von Seiten des Universitätspräsidiums erfahren, v. a. von Stephan Jolie. Nach den Schwierigkeiten am Anfang „hätten wir nicht gedacht, dass das Projekt dann so viel Anerkennung erfährt und so gut ankommt“. Bereits in der ersten Vorlesungsreihe im Wintersemester 2021/2022 hätten sie jedoch den größten Hörsaal für ca. 1000 Personen reservieren müssen (geplant waren zunächst 200 Sitzplätze). Seitdem sei der Anklang nachhaltig groß. Im letzten Jahr habe es 950 Anmeldungen von Studierenden gegeben.

Zielvorstellungen der Vorlesungsreihe

Auf die Frage, welches Ziel die Vorlesung habe, antwortete Graffe: „Es gibt ein psychologisches Modell. Das Modell des transtheoretischen Handelns. Da gibt es verschiedene Stufen.“ In der ersten Stufe ginge es darum, Personen einen Überblick zu verschaffen. Deshalb gäbe es das Thema der Interdisziplinariät in der Vorlesungsreihe. In der zweiten Stufe ginge es darum, dass Personen ins Handeln kommen, zum Beispiel, in dem sie das Climate Lab machen.
Mit der Zeit habe sich auch die Reaktion der Dozierenden verändert, sodass sie durch die wachsende Bekanntheit der Vorlesung „sich quasi richtig freuen, dass wir sie angeschrieben haben, ob sie eine Vorlesungssitzung gestalten.“ Auch das Organisationsteam hätte im Laufe der Zeit Erfahrung gewonnen und sich weiter professionalisiert.

Ansätze der Vorlesungsreihe: „Wandel fängt mit Bildung an“

Zwei Ansätze werden bei der Betrachtung der Vorlesungen besonders deutlich: Zum einen wird mit mit positiven Zukunftsbildern und einem lösungsorientierten Ansatz gearbeitet und nicht nur mit dramatischen Zukunftsbildern. Der Grund sei, dass „es uns wichtig ist, nicht nur Angst und Panik zu schüren. Denn es bringt uns nichts, wenn wir dadurch gelähmt werden und nicht Handeln. Sondern wir wollen aufzeigen: man kann durch die Veränderungen eine lebenswerte Zukunft schaffen. Es ist auch eine Chance, die dadurch entsteht. Dafür müssen wir zusammenarbeiten.“
Zum anderen der Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung und der Satz „Wandel fängt mit Bildung an“. Das bedeutet für Graffe: „Wir setzen Bildung nicht mit Wissen gleich, sondern mit Handlungskompetenzen. Natürlich gehört da auch Wissen als Komponente dazu. Aber auch Skills, Werte und Normen. Handlungskompetenzen befähigen Personen selbst eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Durch unsere Lernangebote und damit unsere Bildung versuchen wir diese Komponenten zu vermitteln“.

Ein Blick in die Gegenwart und Zukunft

Auf die Frage danach, warum in diesem Jahr Lesch und Scorza die Auftaktvorlesung hielten, antwortete er, dass die beiden sie schon seit Beginn an unterstützen würden und „sie einen größeren Überblick haben, Expertise, Dinge gut vermitteln können und weil sie auch den Schritt zu den Sozialwissenschaften machen.“
Für die Zukunft wünscht er sich, dass „wir ins Handeln kommen und gemeinsam die Uni nachhaltiger gestalten“. Dabei hofft er darauf, dass die Geschwindigkeit, mit der Projekte an der Uni umgesetzt werden, beibehalten wird. Dies sei, auch wenn andere Hochschulen schon weiter in der Entwicklung wären und früher begonnen hätten, eine besondere Sache an der JGU.

Umgang mit Resignation - Gründe zu handeln

Manche Personen haben mittlerweile einen gewissen Resignationsstatus erreicht. Das konnte Graffe gut verstehen, denn „es ist oft das Problem, dass nur Probleme vermittelt werden, ohne Lösungsmöglichkeiten. Das führt dazu, dass man denkt: man kann ja eh nichts machen.“ Was ihn allerdings dazu bringt nicht aufzugeben ist, dass „ich gelernt habe, dass diese Einstellung für mich gar nicht stimmt. Denn ich finde, man kann echt viel machen. Wir sind damals als Studis gestartet. Ich habe gelernt, was man alles bewirken kann, das gibt mir viel Kraft, dass ich gesehen habe, dass ich was bewirken kann und auch die positiven Rückmeldungen zur Vorlesung.“ Zudem sei es ihm wichtig, Personen eine Stimme zu geben, die von der Klimakrise betroffen sind, denn das „sind oft die Menschen, die meistens gar nicht gehört sind, weil sie zum Beispiel auch gar nicht in demokratischen Systemen leben, in Armut leben oder noch gar nicht geboren wurden, weil es nachfolgende Generationen sind“.

Ausblick WiSe 2024/25 – neue Perspektiven

Im Wintersemester werden 15 unterschiedliche Referierende eine Vorlesung gestalten. Die nächste Vorlesung wird von Dr. Gregor Hagedorn (Museum für Naturkunde, Berlin) am 04.11. gehalten. Der Titel der Vorlesung lautet: „Eine Welt ohne Artensterben – wie könnte das gehen?“. Weitere Themen sind: „Klimajournalismus“, „Klima kapieren: Physik, Chemie und weit, weit mehr“. Dabei werden u.a. Perspektiven aus der Rechtswissenschaft, der Bildungspsychologie, der Medizin, der Theologie, der Geographie und Geowissenschaft einbezogen, was den interdisziplinären Anspruch der Vorlesungsreihe widerspiegelt.

Von Zuhörenden zu Handelnden – ein Schritt weiter

Graffe verwies darauf, dass es neben dem Zukunftsmodul und dem Zukunftszertifikat auch die Möglichkeit gibt, an der Uni weitere, thematisch ähnliche Veranstaltungen zu besuchen. Dazu gehört unter anderem ein Projektseminar zur Klimakrise und Nachhaltigkeit (sog. Climate Lab), das sich über zwei Semester zieht und, bei dem man ein eigenes Nachhaltigkeitsprojekt planen und umsetzen kann.
Zudem gibt es die Möglichkeit sich im Studibeirat zu engagieren, oder ein Praktikum bei der Koordinationsstelle Sustainable University (SUNNY) zu machen. Die Koordinationsstelle koordiniert u.a. die Lehrveranstaltungen des Zukunftsmoduls, entwickelt eine Nachhaltigkeitsstrategie und kommuniziert nach außen, was an der Uni nachhaltig gestaltet wird. Zudem gibt es an der Universität unterschiedliche Initiativen, die das Ziel haben, eine nachhaltigere Umwelt zu gestalten u.a. die „students for future“.
Abgesehen davon gibt es im außeruniversitären Bereich viele Möglichkeiten, sich zu engagieren und sich für eine nachhaltigere Welt einzusetzen.

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