ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Dahinter verbirgt sich ein komplexes Symptombild. ADHS ist eine Neuroentwicklungsstörung, was bedeutet, dass die Störung bereits seit der Kindheit vorliegt. Circa 50 bis 60 Prozent der Betroffenen haben auch im Erwachsenenalter noch wesentliche Symptome einer ADHS. Zum Teil kommt es auch erst dann zur Diagnosestellung. Dies betrifft vor allem Frauen. Insgesamt haben 2,5 bis 4,7 Prozent der Erwachsenen eine ADHS. Die Kernsymptome einer ADHS sind Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, die sich auf unterschiedlichste Weise äußern können. In vielen Fällen treten weitere psychische Störungen auf. Im Erwachsenenalter sind dies vor allem Ängste, Depressionen oder Suchtverhalten. ADHS kann nicht geheilt werden, allerdings lassen sich die (negativen) Symptome oft mit Medikation und psychoedukativen Maßnahmen reduzieren und die Stärken fördern.
Generell gilt, dass die Störung sich bei allen betroffenen Personen in unterschiedlichen Symptomkonstellationen und Schweregraden äußert.
Doch was versteckt sich eigentlich hinter den drei Kernsymptomen?
Hyperaktivität kann sich zum Beispiel durch körperlichen Bewegungsdrang oder starken Rededrang äußern. Ein Beispiel für die Störung der Impulskontrolle wäre Handeln ohne ausreichende Risikoabwägung. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass man eine große Klamottenbestellung tätigt, bevor man auf den Kontostand schaut. Oder Festivaltickets kauft, ohne zu prüfen, ob man an dem Termin kann. Unaufmerksamkeit kann sich durch schnelles Gedankenspringen und eine erhöhte Ablenkbarkeit von Umgebungsreizen zeigen.
Die ADHS-Symptomatik kann sich im Laufe des Lebens verändern. Betrachten wir zwei der Kernsymptome ist es häufig so, dass die verminderte Aufmerksamkeit im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Hyperaktivität verringere sich in der Regel mit zunehmendem Alter und werde oft durch eine innere Unruhe abgelöst. Häufig wird nur auf diese Kernsymptome geschaut. Es ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass bei vielen Betroffenen auch noch weitere Symptome vorhanden sind. Dazu gehören unter anderem Desorganisation, emotionale Labilität, Stressintoleranz, Selbstwertprobleme und Schwierigkeiten im sozialen Miteinander. All diese Symptome können sich auf unterschiedlichste Weise im Studium äußern. Aber was bedeutet das konkret?
Überlegen wir erstmal, was während eines Studiums notwendig ist: Seminarbesuche, organisiertes Handeln, hohe Konzentration, Klausurenphasen (damit einhergehender Stress) und Interaktion mit anderen Studierenden.
Stelle dir nun vor, du hast Schwierigkeiten in Gruppensituationen oder Vorlesungen dem Gespräch aufmerksam zu folgen, hast ein fehlendes Zeitgefühl und bist im Alltag oft vergesslich. Dazu kommen in Klausurenphasen teilweise schnelle Stimmungsschwankungen und eine geringere Stresstoleranz. Möglicherweise bist du trotz großer Vorbereitung auch schon zwei Mal durch eine Klausur gefallen und fragst dich langsam, ob du für ein Studium wirklich geeignet bist.
Wenn du das beides nun zusammenbringst, kannst du dir vorstellen, dass das Störungsbild im Studienalltag zu Problemen führen kann. Denn hier zeigen sich die Symptome deiner ADHS ganz deutlich und stehen regelrecht im Weg.
Die Symptome können dazu führen, dass Betroffene in unterschiedlichen Lebensbereichen nicht die Ziele erreichen, die sie sich vorgenommen haben. Dadurch kann ein Leidensdruck entstehen.
Wie eine Betroffene an der JGU mit ihrer ADHS umgeht, erfährst du in diesem Interview.
ADHS ist eine neurobiologische Störung, die sich durch eine Veränderung bestimmter Gehirnhormone äußert. Es gibt wohl einen großen erblichen Anteil. Das bedeutet, dass es innerhalb von Familien gehäuft auftritt. Allerdings gibt es bis dato keine allumfassende Erklärung dafür, wie eine ADHS entsteht. Gesichert sei allerdings, dass ADHS nicht durch falsches Erziehungsverhalten verursacht werden kann.
Wie bei allen Dingen im Leben, sollte man bei ADHS auch die andere Seite der Medaille betrachten. Die Symptome können zugleich auch eine Stärke darstellen, wenn sie in einen passenden Kontext fallen. Laut einer niederländischen Studie treten häufig positive Auswirkungen in den Bereichen Kreativität, Dynamik, Flexibilität, sozial-emotionale Kompetenzen und kognitive Fähigkeiten auf. Diese können sich unterschiedlich äußern. So seien Betroffene zum Beispiel empathisch, sensibel, spontan, kreativ, einfallsreich, energiegeladen und enthusiastisch. Auch hier ist wieder darauf zu verweisen, dass natürlich nicht alles auf jede betroffene Person zutrifft.
Die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) der JGU ist eine Anlaufstelle für Studierende der JGU, die Hilfe bei der Bewältigung von psychischen Problemen benötigen. Neben kurzfristigen Hilfestellungen in akuten Krisensituationen, Beratungen und unterschiedlichen Kursen bieten sie auch ADHS-Diagnostik an.
Auf der Website sind Informationen über das Störungsbild kurz und knapp dargestellt.
Auf Anfrage teilte die PBS nähere Informationen zum Ablauf der ADHS-Diagnostik mit: Es gäbe zu Beginn ein Erstgespräch und in der Regel folgen weitere Indikationsgespräche (durchschnittlich 2,8 Gespräche). Erfasst würden Informationen durch Selbstauskunft, sowie auch fremdanamnestische Informationen, unter anderem durch Schulzeugnisse oder Elternfragebögen.
Wenn die Diagnose gestellt wurde und eine längerfristige Behandlung als notwendig empfunden wird, werden die Betroffenen über ihre Diagnose, verschiedene Psychotherapieverfahren und die Handlungsschritte zur Aufnahme einer Psychotherapie aufgeklärt. Die PBS könne hier durch ein Kooperationsnetzwerk mit ambulanten Psychotherapeutinnen unterstützen, ein Erstgespräch zu vermitteln.
Disclaimer: Die PBS teilte mit, dass im Jahr 2022 die Wartezeit auf ein regelhaftes Erstgespräch im Mittel circa 59 Tage dauerte (in Akutfällen etwa 3,5 Tage).
Neben Einzelgesprächen bietet die PBS auch unterschiedliche Kursformate an. Auf Nachfrage, welcher Kurs der PBS für Betroffene zum besseren Umgang mit der Symptomatik empfehlenswert wäre, antwortete die PBS: "Das hängt immer vom Einzelfall ab. Je nachdem, in welchen Lebensbereichen die Person Einschränkungen erlebt und sich Unterstützung wünscht, kommen alle Kurse der PBS in Frage. Insbesondere hervorzuheben sind hierbei die Kurse Aufschieben besiegen und Zeitplanung und Lernen". Der Kurs Aufmerksamkeits- und Konzentrationstraining sei ebenso für Betroffene geeignet.
Zudem rät die PBS dazu, wenn es durch die ADHS-Symptomatik zu wahrgenommenen Einschränkungen in der Lebensqualität kommt, sich über eine "leitlinienkonforme psychopharmakologische Behandlung bei einer:m Psychiater:in beraten zu lassen, sowie begleitend eine ambulante Psychotherapie aufzunehmen". Sollte es zu Einschränkungen im Studium kommen, sollte man sich zudem über die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs bei Prüfungsleistungen informieren.
Abgesehen davon gäbe es die Möglichkeit, sich über das Angebot an Selbsthilfegruppen in der Umgebung zu informieren. Die PBS erwähnt in diesem Zug den Verein ADS-Mainz e.V..
Die PBS rät dazu, zur Beantragung eines Nachteilsausgleichs bei den Prüfungsämtern der Fachbereiche zu beginnen. Wenn es zu Problemen bei der Anerkennung des Nachteilsausgleichs komme, könne man die Servicestelle für barrierefreies Studieren der JGU um Unterstützung bitten. Diese hat auf Ihrer Website auch ein Formular "Antrag auf Nachteilsausgleich", das man für den Kontakt zum Prüfungsamt nutzen kann und bietet auch Beratung an. Zudem gibt sie weitere Informationen, was man beachten muss und was notwendig ist zur Beantragung des Nachteilsausgleichs. Dazu gehört unter anderem ein fachärztliches Attest, das die Auswirkungen der Einschränkungen beinhaltet (Diagnose muss nicht zwingend benannt werden). Das Attest solle zusätzlich Vorschläge für eine Form des Nachteilsausgleichs enthalten.
Der Nachteilsausgleich erfolge abhängig vom konkreten Einzelfall einmalig, temporär oder dauerhaft. Beispiele für einen Nachteilsausgleich sind die Schreibzeitverlängerung, Bereitstellung eines separaten Prüfungsraums, Einrichtung von Pausen während des Prüfungszeitraums sowie Umwandlung einer schriftlichen Prüfung in eine alternative Prüfungsform.
Es zeigt sich, dass ADHS sich auf unterschiedliche Lebensbereiche positiv wie negativ auswirken kann. Wird Hilfe im Studium benötigt, kann man sich an die unterschiedlichen Anlaufstellen der JGU wenden. Sollte man Zweifel haben, ob man in der Lage ist, ein Studium zu absolvieren, kann man zudem auch andere Betroffene nach ihren Erfahrungen fragen. Zudem könnt ihr hier im Interview mit Sonja erste Eindrücke bekommen. Sie hat ADHS, studiert im Master und erzählte uns, wie sie das Studium erlebt.
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