Interview | Ex-Burschenschaftler gibt Einblicke

29.08.2023
Campus-News, Wohnen
bp

Das Leben in einer Burschenschaft scheint auf den ersten Blick vielleicht rentabel, doch im Gespräch mit einem ehemaligen Burschen wird klar, dass der Schein oft trügt.

Ob auf der Suche nach einem WG-Zimmer oder nach Partys, Studierende begegnen häufig dem Begriff "Studentenverbindungen". Diese sind Verbände von Studierenden und Alumni, die in Form einer Bruderschaft einen hohen Wert auf Traditionen und alte Gebräuche legen.

Doch wer nicht über die Umstände in diesen sogenannten Burschenschaften informiert ist, kann sich potenziell in einer unerwarteten Situation wieder finden.

Burschenschaften auf dem Campus: Stellung des AStA

Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) warnte zuletzt im Jahr 2021 in einer E-Mail-Aktion über Burschenschaften als Unterkunft. Auf Anfrage von campus-mainz.net erklärte die Pressestelle des AStAs, dass momentan keine weitere solche Aktion zum Thema Burschenschaften geplant sei. Wohnungsverhältnisse in den Burschenschaften der Deutschen Burschenschaft stufen sie jedoch als eindeutig problematisch ein, da diese Menschen ins rechtsextreme Milieu ziehen können. Der AStA stelle sich weiterhin klar gegen dieses antidemokratische Gedankengut.

Burschenschaften auf dem Campus: Stellung der JGU

Auf Anfrage erklärte die Pressestelle der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), dass die Universität sich in ihrem Leitbild und ihren Strategien den Prinzipien der Toleranz, der Offenheit und der Gleichstellung von Männern und Frauen verpflichte. Die JGU strebe im Rahmen ihrer Diversitätsstrategie die Verwirklichung tatsächlicher Chancengleichheit und ein respektvolles Miteinander aller Mitglieder an. Laut ihnen schöpfen der Senat und das Präsidium der JGU alle rechtlichen und gesellschaftlichen Mittel aus, um Personen und Gruppierungen, die sich gegen das Grundgesetz und die aus dem Leitbild der JGU ergebenden Werte wenden, auf dem Universitätsgelände keine Plattform zu bieten.

Für internationale Studierende berät die Antidiskriminierungsberatungsstelle mehrsprachig, doch konkrete Informationsangebote zu Studentenverbindungen und Burschenschaften gäbe es nicht. Weder dem AStA noch der Universität liegen zurzeit Beschwerden zu Studentenverbindungen vor.

Wichtige Informationen vorab: Die Gefahr für Interviewpartner

Im Interview mit einem ehemaligen Mitglied einer Burschenschaft, der zum Schutz anonym bleiben möchte, hat campus-mainz.net sich mit den besonderen Eigenschaften von Studentenverbindungen auseinandergesetzt. Im Gespräch hat er betont, dass Mitglieder von Burschenschaften häufig behaupten würden, man würde gegen sie hetzen. Dadurch würden sie versuchen, intern den Hass gegen externe Leute, die sich negativ über Burschenschaften äußern, zu steigern. Er erwartet eine ähnliche Reaktion auf diesen Artikel.

Was hat dich dazu gebracht, Teil einer Burschenschaft zu werden? Wie haben sie für sich geworben?

Die Burschenschaft hat mit billigen Mietpreisen geworben. Für knapp 320 Euro im Monat bekam man Zimmer in einem großen Haus, in dem eine eigene Küche, ein Fitnessraum und ein umgekehrtes Rentensystem inbegriffen waren. Potenziellen Mitgliedern wurde erklärt, dass sie in einer Burschenschaft subventioniert werden. Anschuldigungen von rechtem Gedankengut in Burschenschaften wurden direkt beim ersten Kennenlernen bestritten. 

In Bezug auf Burschenschaften taucht häufig der Begriff der "Fuchsenzeit" auf – was ist damit gemeint? 

Die Fuchsenzeit ist eine Probezeit für angehende Burschenschaftler in ihrem ersten Semester. Bedingungen sind die Teilnahme am Training, die Absolvierung einer mündlichen Prüfung und das Halten eines Referates. Es kam jedoch oft das Gefühl auf, dass die Burschen auf die Fuchsen herabschauen. Obwohl sie regelmäßig die Brüderschaft in der Burschenschaft betonten, war eine Hierarchie trotzdem bemerkbar.

Bei Kneipen (traditionelle studentische Feiern, die üblich Studentenverbindungen sind) mussten die Fuchsen die Burschen beispielsweise mit Getränken versorgen. Die Burschen, die schon länger dabei waren, durften sich generell mehr erlauben. Selbst nach der Absolvierung der Fuchsenzeit blieb diese Hierarchie erhalten und Personen, die schon länger in der Burschenschaft waren, durften sich mehr leisten.

In diesem Zusammenhang fällt oft die Beschreibung einer "schlagenden" Burschenschaft. Was ist das Besondere an einer solchen Burschenschaft?

In einer schlagenden Burschenschaft wird die Mensur ausgeübt. Die Mensur ist das akademische Fechten, dieses ist in vielen Burschenschaften noch Pflicht. Die Burschenschaft, in der ich war, war optional schlagend. Trotzdem gab es sehr viel Druck, an den Mensuren teilzunehmen. Dies wurde als eine Ehre dargestellt. Ernste Verletzungen wurden zwar verhindert, aber kleine Verletzungen an der Wange waren erwünscht und wurden mit Stolz anerkannt. Die Mensur wurde als ein Spektakel betrachtet. Auch wenn man sich gegen Teilnahme an der Mensur entschieden hat, war es Pflicht bei den Proben dafür teilzunehmen.

Welche positiven Erfahrungen hast du rückblickend gemacht?

Es gab interessante Veranstaltungen, wie beispielsweise ein Ausflug ins Porsche-Museum. Außerdem war der Kontakt zu den alten Herren besonders, da man sich durch diese unterstützt fühlte.

Wer sind diese alten Herren?

Die alten Herren sind im Beruf stehende, ehemalige Mitglieder einer Burschenschaft. Die Beziehung zu den alten Herren differenzierte sich von der Beziehung mit den älteren Burschen. Gegenüber den ehemaligen Mitgliedern verspürte ich kein starkes Gefühl von Hierarchie, sondern hatte das Gefühl, dass man sich besser mit ihnen unterhalten konnte.

Welche negativen Erfahrungen hast du aber auch gemacht?

Die hierarchische Doppelmoral hat sich auch im WG-Leben widergespiegelt und die älteren Burschen konnten machen, was sie wollten. Als ich am Vatertag bei einer Tour mit dem Bollerwagen ihrer Meinung nach zu angetrunken war, haben die älteren Burschen mich bestraft: Ich musste das Herrenklo, in dem sich einer der älteren Burschen einige Tage zuvor erbrochen hatte, reinigen. Im Nachhinein wurde mir explizit gesagt, dass sie dafür nur ein Opfer brauchten und mich deshalb bestraft haben.

Haben die anderen Mitglieder der Burschenschaft je rechtsradikales, sexistisches oder rassistisches Gedankengut in deiner Gegenwart geäußert?

Ausgerechnet das Mitglied, das anfangs bestritt, dass Burschenschaften rechtsradikal seien, stellte sich später als AfD-Wähler heraus. Er sagte auch, er sei dagegen, Frauen in Burschenschaften zu integrieren, da sie nicht die "Einrichtungen" dazu hätten. Oft haben angetrunkene Mitglieder sexistische und homophobe Witze gemacht, jedoch war dies generell nur ein Unterton.

Bei Veranstaltungen, wie beispielsweise der Weihnachtsfeier, wurde von den Mitgliedern erwartet, dass sie Frauen als Gäste mitbringen.

Für diejenigen, die keine weiblichen Gäste mitbrachten, wurden von den alten Herren im Vorfeld Frauen eingeladen. Diese sollten mit den einsamen Mitgliedern tanzen. Frauen wurden als Trophäen angesehen und objektifiziert.

Warum hast du die Burschenschaft verlassen?

Es gab einen extremen Druck, häufig an Pflichtveranstaltungen der Burschenschaft teilzunehmen. Als ich nicht an den Veranstaltungen teilnehmen konnte, merkten die anderen, dass ich nicht so tief in der Burschenschaft steckte. Dadurch wurde der Druck nur noch stärker und ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Wer nicht allen Veranstaltungen und Pflichten nachkam, wurde in der Burschenschaft benachteiligt.

Zeitgleich fühlte ich mich dadurch von der Außenwelt isoliert. Es fiel mir schwer, Freundschaften mit Leuten außerhalb der Burschenschaft zu schließen, insbesondere durch den extremen Zeitaufwand der Veranstaltungen. Aufgrund von diesen hierarchischen Strukturen und dem daraus entstandenen psychischen Druck habe ich die Burschenschaft verlassen.

Wie verlief dein Austritt aus der Burschenschaft?

Mein Austritt aus der Burschenschaft verlief zeitglich mit meiner Exmatrikulation an meiner alten Universität. Durch die Strukturen in der Studentenverbindung habe ich mich mit dem Studium an der Universität schwergetan und konnte keinen Anschluss zu meinen Kommiliton:innen finden.

Der Austritt verlief unharmonisch, gegen Ende hin haben die Burschen bemerkt, dass ich immer mehr Pflichtveranstaltungen verpasste und ermahnten mich mehrmals mit Strafen. Schließlich erfuhr ich in einer E-Mail, dass die Burschen aufgrund meiner Fehlzeiten vorhatten, bei der nächsten Sitzung zu diskutieren, ob ich noch ein Teil der Burschenschaft bleiben kann. Daraufhin informierte ich sie, dass ich die Burschenschaft verlassen würde. In meiner neuen WG fühle ich mich viel freier.

Wie erkennt man Burschenschaften bei der WG-Suche?

Als ich nach einer neuen WG gesucht habe, habe ich darauf geachtet, ob sich in Bildern von der Wohnung eine Bar befand. Für mich war klar, dass es sich dann um Studentenverbindungen handelte.

 

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