Interview | Die Vermessung der Glückseligkeit (2/2)

17.09.2015
Studium
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„Ich war überrascht wie verbreitet doch alltäglicher Heteroseximus ist.“ In Zusammenarbeit mit der Online Community PlanetRomeo hat Richard Lemke vom Institut für Publizistik der Uni Mainz eine weltweit vergleichende Studie über die Lebenswirklichkeit von homosexuellen Männern durchgeführt. Heraus kam der international viel beachtete Gay Happiness Index, eine Rangliste der Länder, sortiert nach dem glücklichsten Lebensumfeld für schwule und bisexuelle. Campus Mainz hat Richard Lemke zum Interview getroffen.

Teil 1 des Interviews findest du hier.

Gehen wir nochmal einen Schritt zurück zum „Flaggschiff“ der Präsentation der Studie, dem veröffentlichten Index auf den ein Länderranking aufbaut. Den kann man natürlich gut aufbereiten und man kann gut darauf reagieren – wie ist denn die Resonanz, wie ist das Feedback ausgefallen?

Ich bin ein bisschen überrascht, dass die Resonanz in Deutschland recht verhalten war. Das liegt aber glaube ich daran, dass unsere Studie nicht in den aktuellen Themenstrom hinsichtlich sexueller Minderheiten reinpasst. Wir sind ja in Deutschland Mitten in der "Ehe für alle"-Diskussion. Unsere Studie setzt aber viel fundamentaler an: bei physischer Unversehrtheit, Selbstakzeptanz und so weiter. Da sind wir in Deutschland im weltweiten Ranking verhältnismäßig gut. Deshalb war die Resonanz in den internationalen Medien deutlich größer. Da waren nämlich einige wichtige Medien dabei – die Washington Post und die israelische Haaretz zum Beispiel. Obwohl es so ein spezielles Thema ist, liegt diese Resonanz glaube ich daran, dass die Daten schnell eine Story erzählen und auch visuell sehr viel hergeben. Und ich glaube das braucht man für Wissenschaftspopularisierung. Man muss den Journalisten zeigen: „hier könnt ihr diese Story erzählen“.

„Die Rangliste überrascht überhaupt nicht.“

Sie haben eben schon die Gleichberechtigung der Ehe in Deutschland angesprochen und dass man eigentlich gar nicht so schlecht dasteht im Ranking – Deutschland belegt Platz 14 – wäre da denn aber nicht noch Luft nach oben? Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?

Ja, natürlich wäre das so. Wenn man sieht wie Island und andere skandinavische Länder im Bericht dastehen, haben wir sicherlich noch einige Stellen wo man sagen muss: "Die Situation könnte noch besser sein." Ich war ehrlich gesagt aber auch davon überrascht, wie verbreitet doch tatsächlich immer noch alltäglicher Heterosexismus ist. Ich rede nicht von wirklich massiven körperlichen Übergriffen, sondern von herabwürdigenden Witzen und Kommentaren über sexuelle Orientierung. Wir haben in unserer Studie nicht allgemein nach solchen Witzen gefragt, sondern nach Äußerungen über die sexuelle Orientierung, "unter denen du leidest." Solche Äußerungen sind in Deutschland in einigen Arbeitsumfeldern immer noch unglaublich verbreitet.

Die Rangliste wird von Island angeführt, dicht gefolgt von Norwegen und Dänemark. Das Schlusslicht bilden Uganda und der Sudan. Auf den ersten Blick wirkt die Rangliste von der Verteilung her nicht wirklich überraschend.

Nein, die überrascht überhaupt nicht. Die Liste korreliert eigentlich mit vielen anderen Listen allgemeiner Menschenrechte – zum Beispiel journalistische Freiheitsrechte. All diese Listen, die sozusagen im Bereich Menschenrechte angesiedelt sind, sehen sehr ähnlich aus. Vor allem Zentralafrika, Zentralasien und der arabische Raum stellen da meist sehr starke Problemspots dar. Nun muss man aber hier auch sagen, dass es gerade diese Länder, in denen es sehr dramatisch aussieht, zum Teil nur durch sehr wenige Teilnehmer in unserer Studie repräsentiert sind.

Da gibt es vermutlich eine Systematik auf ganz vielen Ebenen: Erstens glaube ich, dass es dort deutlich weniger Homosexuelle gibt, die das Internet überhaupt mit einem homosexuellen Fokus nutzen – einfach aus Angst, identifiziert zu werden. Zweitens werden – aus gleichem Grund - weniger schwule Männer an einer Umfrage zu Homosexualität teilnehmen. Und drittens spielt die unterschiedliche Bekanntheit von PlanetRomeo unter den homo- und bisexuellen Männern noch eine Rolle. Deswegen haben wir da sicher eine systematische Verzerrung.

"Eine Wiederholung wäre ein Traum."

Kann es auch möglich sein, dass die Menschen in solchen Ländern einfach durch die Unterdrückung der Homosexualität sich selbst nicht über ihre sexuelle Orientierung bewusst sind oder diese sich selbst gegenüber nicht eingestehen wollen?

Worauf Sie damit anspielen ist ja sozusagen die Verleugnung einer homosexuellen oder bisexuellen Orientierung. Ob und wie stark so etwas ausgeprägt ist, können wir mit unseren Daten überhaupt nicht sagen. Man kann sich solchen Vermutungen in einer quantitativen Befragung nur annähern. In meinen früheren Befragungen hier in Deutschland haben sich zum Beispiel immer stabile zwei Prozent der PlanetRomeo Nutzer als heterosexuell identifiziert. Die sagen: "Ich bezeichne mich als heterosexuell, ich stehe nur manchmal auf Männer." Dass sie manchmal mit anderen Männern sexuelle Chats führen, oder sich auch mal zum Sex treffen, ist für sie aber kein Grund an ihrer überwiegenden Attraktion zu Frauen zu zweifeln und für sich das Konstrukt "heterosexuell" aufrecht zu erhalten, möglicherweise ja auch völlig zurecht. Diese Kombinationen sind in einigen anderen Staaten tatsächlich deutlich verbreiteter.

Wir sollten aber daraus nicht unbedingt schließen, dass es sich hier um bewusste Verleugnungsprozesse handelt. Denn was für viele der Staaten in Zentralasien und den arabischen Raum vor allen Dingen zutrifft, ist ein Prozess, den man Silencing nennt: Homosexualität ist nicht nur verboten und verpönt, sondern findet in öffentlich und nicht-öffentlich Diskursen überhaupt nicht statt. Das heißt, im Möglichkeitsraum, der sich einem in der Entwicklung als sexuelles Wesen bietet, wird Homosexualität als sexuelle Orientierung überhaupt nicht mitgedacht.

Planen Sie eine Folgebefragung um die Ergebnisse vielleicht in einer Entwicklung betrachten zu können?

Das wäre natürlich ein Traum, wenn man sagen könnte: Wir machen jetzt genau diese Studie immer wieder. Um zu sehen, ob Befürchtungen aufgegangen sind oder Veränderungen wahrgenommen werden. Ich fände es im Zuge der kompletten Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare in Deutschland, von deren Umsetzung ich einfach sicher ausgehe, sehr spannend zu beobachten, ob so eine juristische Änderung auch dazu führt, dass sich das empfundene Meinungsklima ändert. Es wird immer wieder spekuliert, wie eigentlich der Zusammenhang zwischen manifesten Gesetzen und so etwas Flüchtigem öffentlicher Meinung ist. Dafür wären solche Wiederholungen natürlich schön.

Allerdings würde ich bei einer Wiederholung einiges anders angehen. Das Projekt wurde nur von fünf Personen durchgeführt – vier studentischen Hilfskräfte und mir. Was zeitlich am meisten ausgeufert ist, waren die eben schon angesprochenen vielen Vorschläge, Entwürfe und Gegenvorschläge rund um die Aufbereitung der Ergebnisse. Und wenn die vier Studenten in dem Projekt nicht gearbeitet hätten wie ein Uhrwerk, dann wären wir auch einige Male mit dem Zeitplan beinahe gescheitert. Deshalb: Vielleicht wird es eine Wiederholung geben, mit Sicherheit kann ich das aber noch nicht sagen.

Herr Lemke, vielen Dank für dieses Gespräch.

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