Interview | Die Vermessung der Glückseligkeit (1/2)

18.09.2015
Studium
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"Ich war überrascht wie verbreitet doch alltäglicher Heteroseximus ist." In Zusammenarbeit mit der Online Community PlanetRomeo hat Richard Lemke vom Institut für Publizistik der Uni Mainz eine weltweit vergleichende Studie über die Lebenswirklichkeit von homosexuellen Männern durchgeführt. Heraus kam der international viel beachtete Gay Happiness Index, eine Länderrangliste, sortiert nach dem glücklichsten Lebensumfeld für schwule und bisexuelle. Campus Mainz hat Richard Lemke zum Interview getroffen.

Sie haben zusammen mit der Online-Community PlanetRomeo den Gay Happiness Index erstellt. Wie kam es zu diesem Projekt und der Zusammenarbeit?

In der Vergangenheit hat mich PlanetRomeo bei Umfragen unterstützt, die ich zum Thema Sexualität und Internet gemacht habe. Die Initiative für das aktuelle Projekt ging tatsächlich von PlanetRomeo aus, die sich im vergangenen Oktober bei mir gemeldet haben. Sie wollten gerne ein weltweites Stimmungsbild ihrer User erfassen – eine globale Erfassung der Lebenswirklichkeit homosexueller Männer also – und haben gefragt, ob ich sie dabei unterstützen wolle und ob das thematisch nicht auch für mich sehr interessant sei. Und da es meines Wissens nach nicht wirklich vergleichbare Daten gibt habe ich dann natürlich gleich zugesagt.

Durch die Befragung der registrierten Mitglieder der Plattform kann man auf eine gewaltige Anzahl Studienteilnehmer zugreifen. In der vorliegenden Studie waren über 100.000 Befragte am Gay Happiness Index beteiligt. So lässt sich eine relativ große Anzahl Teilnehmer erreichen mit relativ geringem Aufwand. Ist das ein gutes Modell auch für andere Forschungen?

Hier muss man, glaube ich, verschiedene Prozesse unterscheiden. Was ganz sicher attraktiv ist, ist dass wir über Online-Communities dieser Größe, solche schwulen und bisexuellen Männer erreichen, die man auf anderen Wegen – telefonisch oder persönlich – nie erreichen würde, weil sie ihre Bisexualität oder Homosexualität einfach völlig geheim halten. Dazu ist dieses Modell der anonymen Online-Umfrage extrem gut.

Eine große Gefahr bei dieser Studie ist aber, dass es ganz sicher systematische Unterschiede zwischen den Nutzern und den Nicht-Nutzern in den verschiedenen Ländern gibt. Mit anderen Worten: In Deutschland unterscheiden sich die homo- und bisexuellen Männer, die PlanetRomeo nutzen schon ganz substantiell von den anderen homo- und bisexuellen Männern, die PlanetRomeo nicht nutzen. Das kann aber in anderen Ländern noch ganz anders sein.

Man muss zudem dazusagen: 115.000 klingt sehr viel, aber allein 30.000 Befragte sind dabei aus Deutschland. Damit können wir schon abschätzen, wie viel noch aus dem Rest der Welt kommt und wie repräsentativ das für einige Länder ist bzw. nicht ist.

"Wir haben einige Länder dabei, aus denen wir bisher noch gar nichts wussten."

Greifen wir dieses Problem direkt auf: Die Zahl der Teilnehmer pro Land schwankt wirklich beträchtlich. Wie sind Sie mit dieser Schwankung umgegangen?

Ich gehe mit dieser Schwankung ganz offensiv um. Ich sage auch im Bericht ganz explizit, dass wir davon ausgehen können, dass 30, 40, 50 Befragte, die wir zum Teil aus afrikanischen Ländern haben, möglicherweise nicht repräsentativ für alle schwulen und bisexuellen Männer in diesem Land sind. Das ist aber insbesondere ein Anspruch an die Interpretation der Daten. Wir haben einige Länder dabei, aus denen wir über die Situation von sexuellen Minderheiten bisher noch gar nichts wissen.

Unsere Devise war, dass wir auch für diese Länder, aus denen wir nur zweistellige Nutzerzahlen haben, die Daten präsentieren, um zumindest einmal den Finger in den Wind zu halten und zu schauen, wie die Stimmung ist. Wenn unsere Studie jetzt dazu anregt, sich einem konkreten Land zu widmen, dann müssen unsere Ergebnisse aber unter Umständen noch einmal mit einer besseren Stichprobe abgeglichen werden.

Was bei dem Projekt heraussticht, ist die Präsentation der Daten, insbesondere auf der Projektwebseite von PlanetRomeo. Dort sind die Daten ziemlich hübsch und zugänglich, vielleicht auch vereinfacht, dargestellt. Trotzdem kann man die Darstellung recht nachvollziehbar und sachgerecht aufbereitet finden. Ist das ein Vorbild in Sachen Wissenschaftlichkeit versus Einfachheit?

Ich glaube, dass die Frage der Verständlichkeit ein ganz, ganz zentraler Punkt für die Sozialforschung heutzutage ist. Jeder von uns hat schon einmal an Umfragen teilgenommen, bei dem man am Ende ein Haken setzen konnte bei "Bitte informieren Sie mich über die Ergebnisse der Studie" und man hat nie wieder was davon gehört. In diesem Projekt stand das von vorn herein absolut im Vordergrund, denn natürlich ist das Unternehmen PlanetRomeo politisch sehr motiviert so ein globales Umfrageprojekt zu machen. Das hat auch die Funktion, in der Community und in thematisch interessierten Medien positiv ins Gespräch zu kommen. Deswegen war auch bei der gemeinsamen Konzeption der Studie immer im Hinterkopf: "Was können wir hinterher an Daten gut präsentieren? Wie lässt sich später auch daraus eine `Story´ erzählen?".

Nicht alle Fragen, die für die Sozialforschung essentiell sind, sind auch gut kommunizierbar und umgekehrt. Für die Ergebnispräsentation haben wir uns deshalb dann auch für zwei Wege entschieden: Es gibt eine Ergebnis-Website für die allgemeine Öffentlichkeit und es gibt einen Bericht für Fachpublikum. Kernstück der Ergebnis-Website ist der Gay Happiness Index, in dem sehr viele Fragen zusammengefasst wurden. Wenn man sich den anschaut, kann man natürlich darüber streiten, ob hier nicht zu viele, zu verschiedene Fragen verdichtet wurden. Wir haben ihn deshalb in den Bericht so auch nicht übernommen.

Aber ich glaube, diese Problematik hat man immer, wenn es darum geht wissenschaftliche Ergebnisse verständlich zu machen und zu pointieren. Man lebt immer in diesem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Korrektheit einerseits und Vereinfachung und Verständlichkeit andererseits. Darüber müssen im Prozess so eines Projekts enorm viele Kompromisse eingegangen werden. So war das auch in diesem Projekt. Aber ich kann mit dem Resultat sehr gut leben. Der Gay Happiness Index ist für die breite Masse interessierter Menschen glaube ich ein ganz schöner Indikator.

"Je schlechter man die öffentliche Meinung wahrnimmt, desto schlechter geht es einem."

Sie sprechen von Einzelaspekten, die verdichtet wurden: In der Studie werden verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Es geht um das Coming-Out, es geht um Partnerschaften, und so weiter. Gibt es spezielle Erkenntnisse oder auch Antworten, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Was ich in dieser Studie extrem frappierend fand: Wie stark der Zusammenhang zwischen empfundener öffentlicher Meinung und anderen ganz substantiellen Aspekten ist, nämlich der allgemeinen Lebenszufriedenheit und der internalisierten Homonegativität. Je schlechter man die öffentliche Meinung über „die Schwulen“ wahrnimmt, desto schlechter geht es einem auch. Hier geht es also nicht nur um die Wirkung von manifesten Erfahrungen, wie Gesetzen, Angriffen oder Beleidigungen, sondern von dem allgemeinen empfundenen Meinungsklima. Auch wenn der Zusammenhang als solcher plausibel ist, hat mich dessen Stärke schon überrascht. Meines Wissens nach ist es übrigens das erste Mal, dass empfundene öffentliche Meinung unter homo- und bisexuellen Männern abgefragt wurde. Damit ist unsere Umfrage eben auch für das Fach Kommunikationswissenschaft, dass hier in Mainz sehr stark aus der Theorie öffentlicher Meinung heraus entstanden ist, recht interessant.


Den Rest des Interviews gibt's in Teil 2!

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