Tosender Applaus bleibt aus, als die spannungsvolle Intromusik des FILMZ – Festival des deutschen Kinos den Beginn des Filmabends und des Festivals einläutet. Denn das Publikum sitzt nicht, wie in den 19 Jahren zuvor, gemeinsam im Kinosaal und starrt gebannt auf die Leinwand. Die allgegenwärtige Corona-Pandemie hat auch das älteste Langfilmfestival in Rheinland-Pfalz beeinflusst, das normalerweise in Mainzer Spielstätten ausgetragen wird: Statt in breiten Kinosesseln zu versinken und sich über das Popcornrascheln der Nachbar:innen aufzuregen, flucht man in die Stille der eigenen vier Wände hinein, weil die Internetbandbreite von den Streamingmöglichkeiten überfordert scheint.
Überforderungspotenzial gab es im ersten Moment auch für die Organisator:innen kurz vor der Eröffnung des Festivals. Denn gerade mal eine Woche, bevor zumindest ein Teil des Events im Kino stattfinden sollte, machten die Pläne der Bundesregierung das zunichte: Zur Eindämmung der Corona-Pandemie müssen zahlreiche Freizeit- und Kultureinrichtungen, darunter auch Kinos und Theater, vom 2. bis zum 30. November 2020 schließen. Das FILMZ-Festival, das vom 5. bis zum 14. November stattfindet, fällt mitten in diesen Zeitraum und damit in den Kinos vor Ort aus.
Doch ganz unvorbereitet hat es die ehrenamtlichen Vereinsmitglieder nicht getroffen: Bereits im Juli hatte man sich angesichts der steigenden Infektionszahlen dazu entschlossen, das Festival auch on demand anzubieten und sich auf die Suche nach passenden Videoplattformen begeben, was schließlich auf alleskino hinauslief.
Über das Hybridformat konnten alle Filme – so die Planung bis kurz vor Festivalbeginn - im Kino gezeigt werden und teilweise zusätzlich auf alleskino.de zu sehen sein, wenn die Verleihfirmen die Rechte für den Onlinezugang einräumen. Die Filme können dabei für 48 Stunden und eine Gebühr von 4,99 Euro pro Film ausgeliehen werden. Durch das Video-on-Demand-Konzept hat das Publikum auch die Chance, die Videos mehrfach anzuhalten, zurück zu spulen und ohne Aufpreis in dem Leihzeitraum nochmal zu sehen – im Kino ein schwer umsetzbares Szenario. Verfügbar sind die Filme aber erst ab den Kino-Startzeiten aus dem ursprünglichen Hybridprogramm, auch beim reinen On-Demand-Festival.
Das umfassendere Urteil, das sich die Zuschauenden so bilden können, hat auch in der Online-Variante des Festivals durchaus Gewicht: "Wir sind ein Publikumsfestival, und das bleiben wir auch weiterhin", so Ute Petermann, die Pressesprecherin des FILMZ-Festivals. Als Publikumsfestival zeichnet das FILMZ ohne Jurybeteiligung in verschiedenen Kategorien die Filme aus, die vom Publikum jeweils am besten bewertet wurden.
Den Verleihfirmen sei jedoch weiterhin wichtig, dass der Kinobesuch für dieses Publikum zumindest langfristig attraktiv bleibe, so Ute Petermann. Daraus ergibt sich einerseits eine Begrenzung der maximalen Publikumszugänge pro Film auf 315 Plätze, damit letztere nicht über die eigentlich angedachten Kinoplätze hinausgehen. Andererseits wird auch das gesamte Filmangebot des Festivals, das on demand verfügbar ist, eingeschränkt: Unter den drei Filmen, die deshalb nicht online gezeigt werden können, ist ausgerechnet der ursprüngliche Eröffnungsfilm des Festivals "Und morgen die ganze Welt" von Julia von Heinz, der bereits von zahlreichen Kritiker:innen gelobt worden war.
Doch nach der ersten Frustration angesichts der Eindämmungsmaßnahmen im November, verlief die nächste Krisensitzung des FILMZ-Ensembles Ute Petermann zufolge recht erfolgreich: "Die Teams waren vorbereitet und hatten sich schon Gedanken gemacht, so ging es schneller als erwartet".
Mit "Lichter der Stadt" war ein Ersatz für die Festivaleröffnung am 5. November innerhalb weniger Tage gefunden. Der Film stammt aus der Feder von Malte Wirtz, dem diesjährigen Festivalpaten des FILMZ. In einem eigenen Workshop steht er den Gewinner:innen des FILMZ-Drehbuchpitchings bei der Ausarbeitung ihrer Ideen auch online zur Seite. Nach der Weltpremiere von "Lichter der Stadt" auf alleskino.de berichten Wirtz und seine Kolleg:innnen in einer Videokonferenz für Interessierte über die Hintergründe des Films.
Solche Gespräche mit den Filmschaffenden aus der Langfilmkategorie des Festivals mussten ebenfalls kurzfristig umgeplant werden: Anfang des Jahres waren die Organisator:innen noch davon ausgegangen, dass die Filmschaffenden nach der Kinovorführung in Mainz dem Publikum Rede und Antwort stehen konnten. Allerdings zwangen die Reisebeschränkungen sie im Sommer und Herbst dazu, stattdessen über digitale Schalten nachzudenken.
Auch das Rahmenprogramm aus verschiedenen Veranstaltungen wie Partys und Konzerte jenseits der Filmvorführungen wurde durch Corona beeinflusst. So wurde das Stummfilmkonzert, das ebenfalls im November stattfinden sollte, noch im Herbst von der Altmünster- in die Christuskirche verlegt, weil letztere mehr Platz zur Abstandssicherung bietet – dennoch musste auch dieses Konzert den zuletzt beschlossenen Eindämmungsmaßnahmen weichen. Das 55FILMZ-Screening, bei dem lokale, kurzfristig gedrehte Wettbewerbsfilme von jungen Filmemacher:innen vor Ort präsentiert werden sollten, wurde in den Sommer 2021 verschoben.
Das diesjährige Symposium, dessen Vorträge sich mit Rainer Fassbinders Schaffen als Filmemacher beschäftigen, wird derweil über alleskino verfügbar sein. Die Themensuche war bereits im März in vollem Gange, als noch nicht abzusehen war, in welcher Form die Vorträge tatsächlich stattfinden würden.
Mit der Verschiebung des Festivals ins Netz geht auch eine Verschiebung der Vereinsstrukturen einher, über die man auf das Festival hinarbeitet. Bei FILMZ e.V. haben sich langfristig neben der Festivalleitung 14 Organisations- und fünf Filmgruppen etabliert, die die eingereichten Filme sichten und auswählen und das Festival organisatorisch vorbereiten. Jedoch haben manche Bereiche des Vereins, etwa die Gästebetreuung, durch das reine on-Demand-Angebot nun deutlich weniger zu tun als ursprünglich angedacht war.
Dagegen hat sich für die Gruppen, die die Filme sichten und die aussichtsreichsten Anwärter auswählen, durch die Corona-Pandemie wenig verändert: Während der Einreichphase vom 23. März bis zum 25. Juli 2020 habe es keine nennenswerten Rückgänge gegeben. Das erklärt sich Ute Petermann u. a. damit, dass viele der eingereichten Filme noch vor den Kontaktbeschränkungen im April produziert worden seien, was den Rückgang abgedämpft habe. So kamen u. a. ganze 900 Dokumentationsfilme zusammen, aus denen sechs Festivalfilme ausgewählt werden sollten, wie die Leiterin des Festivals, Sophie Kaupp, berichtete.
Welche Fortschritte es u. a. bei den Sichtungen gibt, erzählen die Ehrenamtlichen sich gegenseitig in den Plenar- und Teamsitzungen. Diese Treffen erstrecken sich generell in der heißen Phase im Monat vor dem Festival – oder aktuell in Zeiten der Pandemie, die komplexe Hybridformate verlangt – teils über mehrere Stunden in den späten Abend hinein. Um sich auf den neusten Stand zu bringen, kommen dort Vertreter:innen aller Festivalbereiche zusammen. Doch auch diese Updates verlaufen pandemiebedingt ausnahmsweise über Videokonferenzen.
Zuvor hatte man sich noch im Medienhaus getroffen. Erst seit Mitte des Jahres gibt es ein eigenes Büro in der Nähe des Volksparks und zuletzt wurde eine 450-Euro-Stelle in der Verwaltung geschaffen. Damit entstanden insgesamt bisher überschaubare Fixkosten für den Verein und er kann sein Budget, welches durch das Land Rheinland-Pfalz, die Stadt Mainz und die Sponsor:innen des Festivals getragen wird, in erster Linie für die eigentliche Festivalarbeit aufwenden.
Glücklicherweise stand das Finanzierungsmodell der Gruppe allen Widrigkeiten zum Trotz auch in diesem Jahr auf festen Füßen: Die Stadt Mainz und das Land Rheinland-Pfalz behielten ihre Förderungssummen von 15.000 und 29.500 Euro bei.
Anders war die Lage jedoch in den Mainzer Kinos. Besonders um das Capitol und das Palatin machte sich Ute Petermann bereits im März Sorgen: "Die Leute wollen nur wissen, wo es Nudeln und Toilettenpapier gibt. Viele denken nicht daran, dass auch das kleine Kino um die Ecke in seiner Existenz bedroht ist."
Dass die Kinos schließen müssen und zahlreiche Filmfestivals zeitlich verschoben oder ganz abgesagt werden, birgt auch Risiken für die Filmschaffenden, deren Anteil an den Einspieleinnahmen damit vorerst ausbleibt. "Die, die Filme produzieren, die leben für ihren Film – und das ist eine finanzielle Vollkatastrophe", so Ute Petermann.
Warum freiwilliger Nachwuchs für das FILMZ-Team 2020 besonders schwer zu finden war und ob der Personalmangel noch rechtzeitig vor der Eröffnung abgedämpft werden konnte, erfährst du in
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