„Die Natur ist kein Parteimitglied“ – Kommentar zur Bundestagswahl

18.02.2025
Freizeit, Veranstaltungen...
Johanna Schönberner

In diesem Kommentar zur anstehenden Bundestagswahl schreibt unsere Redakteurin Johanna über das vergessene Thema Klimaschutz und der damit einhergehenden aktuellen Verhaltensweise einiger Polikter:innen, Meinung höher zu gewichten als Wissen.

Am letzten Freitag, dem 14.02., gingen in vielen Städten Deutschlands – auch in Mainz – viele Menschen auf die Straße, um die Themen Klimawandel und Klimaschutz in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rufen. Obwohl diese Themen zu den dringlichsten der heutigen Zeit gehören, scheinen Politiker:innen dies aktuell zu ignorieren. Gesprochen wird lieber über menschenunwürdige Migrationspolitik. Dabei wird augenscheinlich völlig vergessen, dass Migration und Klimawandel unweigerlich zusammenhängen. Prognosen führen an, dass mit Zunahme des Klimawandels Fluchtbewegungen auf Grund des Klimawandels zunehmen werden, da bestimmte Regionen nicht mehr bewohnbar sein werden.

Der Klimawandel betriff uns bereits jetzt. Nicht erst irgendwann.

Vor einigen Jahren hieß es noch „Wir müssen handeln, damit unsere Kinder, Enkel und folgende Generationen eine lebenswerte Zukunft haben“. Dieser Satz ist jetzt nicht mehr unbedingt korrekt. Mittlerweile müsste es heißen: „…damit wir eine lebenswerte Zukunft haben.“
Der Klimawandel betrifft mittlerweile ausnahmslos alle. In den letzten Jahren nahmen Extremwetterereignisse zu. Wissenschaftler:innen sagen, dass dies mit als Folge des Klimawandels gewertet werden kann. Sie prognostizieren, dass dies auf jeden Fall weiter ansteigen wird.
Allein in Europa lassen sich einige Ereignisse aufzählen. Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und in Valencia, Waldbrände in Griechenland, Gletscherschmelze in den Alpen. Die Liste ließe sich weiterfortführen. 

Meinung höher zu gewichten als Wissen muss aufhören

Es kann nicht sein, dass bestimmte Politiker:innen weiterhin denken, ihre subjektive Meinung sei gewichtiger als das Wissen zahlreicher Wissenschaftler:innen und es würde reichen, nach ihren Vorstellungen zu handeln.
Es ist Fakt, dass dem Klima egal ist, was Politiker:innen für Wünsche und Vorstellungen haben. Relevant sind hier die objektiven, natürlichen Vorgänge auf der Erde, die sich durch Geschwafel nicht stoppen lassen. „Die Natur ist kein Parteimitglied“ betonte Prof. Dr. Harald Lesch, Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, bei der Auftaktvorlesung der in diesem Semester stattfindenden Visions for Climate-Vorlesung.
Prof. Dr. Sebastian Seiffert, Professor für physikalische Chemie der Polymere an der JGU, verdeutlichte in seiner Rede bei der Demonstration am 14.02: „Dieser kleine Moment zwischen ‚ach wird schon nicht so schlimm‘ und ‚jetzt ist es zu spät‘ der ist genau jetzt.“

Meinungen müssen als diese eingeordnet werden

Weiter sagte er, dass „Passivität nicht neutral“ sei. Wir müssen damit aufhören, subjektive ‚Nonsensmeinungen‘ als gleichwertig gegenüber wissenschaftlich fundierten Aussagen stehen zu lassen. Es ist notwendig, diese als das einzuordnen, was sie sind: Meinungen. Wir dürfen es nicht unkommentiert stehen lassen, um „Neutralität“ zu wahren. Falsche Aussagen unkommentiert stehen zu lassen kann – auf Grund des damit einhergehenden Gefährdungspotenzials – nicht als „neutral“ durchgehen.

Wissen heißt Handlungsfähigkeit

Wäre jede Studie zum Klimawandel ein Wassertropfen, hätte sich aus einem Bächlein in den letzten Jahrzehnten mittlerweile ein reißender Strom entwickelt. Die Prognosen werden mit jedem Jahr schlechter, die Warnungen und die Aufforderung, zwingend notwendige Maßnahmen zu ergreifen, eindringlicher. Es werden unterschiedliche Lösungswege mit den entsprechenden Folgen aufgezeigt.
Wir bewegen uns hier an der Universität in einem Umfeld, in dem uns allen klar sein sollte, was objektive Daten und Analyseverfahren für einen Wert haben. Die „Beweislast“ ist überwältigend und mittlerweile auch für nicht fachspezifische Personen niederschwellig zugänglich. Uns liegen also die notwendigen Informationen vor, um faktenbasierte Entscheidungen für Maßnahmen zu treffen. Wir können nicht mehr sagen: „Das haben wir ja gar nicht kommen sehen.“    

Die Politik kratzt an der Oberfläche

Es kann nicht sein, dass Politker:innen Maßnahmen ergreifen, die oft nur an der Oberfläche kratzen und das eigentliche Problem ignorieren.
Das kann man sich metaphorisch so vorstellen, als würde man zu einem sparenden und nicht richtlinienkonform arbeitenden Arzt gehen. Nach dem Motto: „Oh sie haben einen mehrfach gebrochenen Knochen mit offener Wunde? Ja, dann nähen wir mal die Wunde. Das wird dann schon. Und nehmen sie ein paar Globuli ein.“
Irgendwie und irgendwann wird die Verletzung vermutlich heilen. Allerdings wird das Ergebnis in einer beträchtlichen Mehrzahl der Fälle nicht zufriedenstellend sein. Zudem wird es zu ökonomischen und sozialen Folgekosten auf Grund langfristiger Folgeschäden kommen. Diese wären mit einer adäquaten Behandlung sehr wahrscheinlich verhindert worden.

Wir brauchen tiefergehende und präventive Maßnahmen

Dieser Effekt zeigt sich im übertragenen Sinne in vielen Studien, die Handlungsoptionen zum Klimawandel thematisieren. Sie verdeutlichen, dass akutes und vor allem präventives Handeln - vor allem langfristig - deutlich rentabler ist als mit den Folgekosten zu leben. Zu denen wird es unweigerlich kommen, wenn keine - beziehungsweise nur punktuelle Maßnahmen - ergriffen werden. Ohne langfristiges und stringentes „Therapiekonzept“ muss man sich über ein enttäuschendes Ergebnis nicht wundern.

Der Mensch fällt es schwer langfristig zu denken

Es kann nicht sein, dass wir nicht in der Lage sind, langfristig zu handeln, wenn wir doch wissen, dass es besser wäre. Oder doch? Dieses Phänomen ist in der Psychologie bekannt und kann viele Gründe haben. Dort wird u.a. von sogenannten „kognitiven Verzerrungen“ (biases) gesprochen. Das bedeutet, dass der Mensch im Denken automatisch Abkürzungen nimmt, um Informationen schneller zu verarbeiten und Entscheidungen zu treffen. Durch diese abweichende Wahrnehmungsverarbeitung kommt es zum Beispiel zu verzerrten Schlussfolgerungen.
Manche biases führen dazu, dass man Schwierigkeiten hat, abstrakte und unsichere Ereignisse in der Zukunft – zum Beispiel den Klimawandel – realistisch einzuschätzen und entsprechend zu handeln.
Bei akuten Situationen – zum Beispiel einem Messerangriff – sind wir hingegen eher in der Lage direkt zu handeln, da das Ausmaß der Bedrohung konkreter und abgegrenzter ist. Wie sinnvoll aktuell die Reaktion mancher Menschen auf dieses Ereignis ist, sei allerdings in Frage gestellt.

Beispiele für kognitive Verzerrungen

Dr. Robert Gifford, Professor für Psychologie an der University of Victoria, führt eine übersichtliche Liste dieser biases, die für Menschen zunächst Hürden darstellen, aktiv für Klimaschutz einzutreten. Diese können z.B. folgende Punkte sein: Der „optimistic bias“, bei dem man seine eigene Verletzlichkeit geringer einschätzt als sie tatsächlich ist. Oder „environmental numbness“, bei der man abstumpft, wenn man zu häufig mit ähnlichen Nachrichten konfrontiert wird. Auch relevant ist die subjektive Einschätzung der örtlichen, zeitlichen und persönlichen Nähe zu einem Ereignis.   

Hoffnung nicht aufgeben

Ist also schon Hopfen und Malz verloren? Nein. Denn wenn man diese biases kennt, kann man sie in seinem Denken einfacher erkennen und dagegen angehen. Nur, weil mittlerweile schon viel Zeit ins Land gegangen ist, dürfen wir nicht aufgeben.
Wissenschaftler:innen machen deutlich, dass jede weitere Erwärmung die negativen Auswirkungen drastisch verschlimmern wird. Und das müssen wir versuchen zu verhindern.
Wir haben gesehen, dass die Regierung schnell handlungsfähig ist, zum Beispiel bei der Corona-Pandemie und beim 49-Euro-Ticket. Genau das brauchen wir auch bezogen auf den Klimawandel. Diese Wahl kann ein Kipppunkt sein. Folgen wir der Wissenschaft oder folgen wir subjektiven Meinungen?
Es wäre traurig, wenn spätere Generationen lernen müssten: „2025 hätten sie noch viel erreichen können. Das haben sie nicht. Deshalb führen wir jetzt ein lebensunwürdiges Leben“.

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