Wie weit darf studentischer Protest gehen?

11.02.2023
Campus-News, Studium
al

Studentische Klimaprotestaktionen sorgen aktuell für Aufsehen, so wie etwa die Aktion der Gruppe “End Fossil: Occupy!“ an der Universität Mainz im November. Doch ist ziviler Ungehorsam eine Lösung?

Im vergangenen November haben Aktivist:innen der global agierenden Klimagerechtigkeitsgruppierung "End Fossil: Occupy!" eine Protestaktion auf dem Dach der Muschel der Universität Mainz abgehalten. Die Bewegung hat für kurze Zeit das Dach des Gebäudes besetzt, um ein Banner mit der Aufschrift "Keine Zukunft mit Fossilen" auszubreiten. Begleitet wurde die Aktion von einer Kundgebung. Ziel der Bewegung sei es, der Ära der fossilen Energie ein Ende zu setzen (<link newsdetails news bannerdrop-von-end-fossil-occupy-auf-dem-campus-der-jgu-mainz mainz>Campus Mainz berichtete). Protestaktionen der Gruppierung waren auch an anderen deutschen Universitäten, wie etwa an der Goethe-Universität Frankfurt, zu beobachten.

Polizeieinsatz an der Goethe-Universität in Frankfurt

Deutschlandweit haben sich neben Mainz, 23 weitere lokale Ortsgruppen der Bewegung "End Fossil: Occupy!" gebildet. Nicht nur Banneraktionen sondern auch Hörsaalbesetzungen zählen zu Formen des Protests, wie sich dies etwa Anfang Dezember an der Goethe-Universität in Frankfurt gezeigt hat. Dort wurde die Besetzung unter Eingriff der Polizei nach einem Tag aufgelöst. Universitätsleitung und Polizei legitimieren die Räumung und kritisieren die Besetzung scharf. Der AStA der Universität Frankfurt hat den Eingriff als "einmaligen und beschämenden" Vorgang verurteilt, die Räumung sei ein "Armutszeugnis". Der Uni sei es wichtiger, den Normalbetrieb aufrecht zu erhalten, als sich mit den "drängendsten Problem unserer Zeit" zu konfrontieren, erwiderte der Studierendenausschuss. Das studentische Senatsmitglied Luise Brunner hat in diesem Zusammenhang die Gewalt gegen Studierende angeprangert.  

Zu Polizeieinsätzen ist es bei der Mainzer Banneraktion auf der Muschel im November nicht gekommen, die Aktivist:innen verließen nach Aufforderung des JGU-Sicherheitsdienstes sofort das Gebäude. Dennoch bleibt die Frage, inwiefern klimapolitisch motivierter, ziviler Ungehorsam an Universitäten wie der JGU Mainz gerechtfertigt ist und wie weit Staat und Ordnungshüter dagegen vorgehen dürfen.

Ist ziviler Ungehorsam eine Straftat?

Das Besetzen eines öffentlichen, universitären Gebäudes stellt eine Form des bewussten Verstoßes gegen rechtliche Normen und Gesetze dar. Grundlage zivilen Ungehorsams ist sein Legitimitätsanspruch und das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Zwar ist ziviler Widerstand an sich keine Ordnungswidrigkeit oder Straftat, jedoch können die damit einhergehenden Rechtsverletzungen, wie Hausfriedensbruch, rechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Ziviler Ungehorsam an Universitäten ist kein neues Phänomen: Bereits die 68er-Bewegung wurde von Studierenden angetrieben und forderte in Deutschland eine umfassende Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft, die Abkehr von einer autoritären Gesellschaft, Notstandsgesetzen und dem Vietnamkrieg. Zwar verfehlte dieses Beispiel viele ihrer Nah- und Fernziele, erreichte aber soziale Reformen und einen kulturellen Wertewandel.

Legitimität des klimapolitischen Protests

Die Aktivist:innen von " End Fossil: Occupy!" sehen ihre Legitimitätsgrundlage in den steigenden fossilen Emissionen, die das Erreichen der Klimaziele stark erschweren. Besetzungen werden als legitimes Mittel bezeichnet, um als Klimagerechtigkeitsbewegung für die eigene Gegenwart und Zukunft zu kämpfen. Die Normalität soll gestört werden, um der Gesellschaft ihren eigenen Missstand aufzuzeigen. Soweit die Theorie. Besetzungen wie die in Frankfurt zeigen jedoch, dass es zur Legitimitätsfrage solcher Besetzungsaktionen gespaltene Meinungen gibt.

Mainzer Hochschulgruppen teils kritischer Meinung

Die Frage nach der Legitimität zivilen Ungehorsams ist auch Streitpunkt des Studierendenparlaments der JGU Mainz. Während eines Interviews mit Campus Mainz stellt der Ring Christlich-demokratischer Studenten (RCDS) klar, dass ihre Hochschulgruppe universitäre Besetzungen nicht befürworte. Zwar stehe die Dringlichkeit der Klimakrise außer Frage, doch sollte sie durch demokratischen Widerstand und nicht durch die Störung der Lehre gelöst werden. Proteste dürften nicht auf Kosten der Studierenden getragen werden. Zumal stelle sich die Frage, ob ziviler Widerstand überhaupt zielführend oder nicht sogar eher spaltend wirke. Eine Hörsaalbesetzung könne einen Präzedenzfall für ähnliche Aktionen darstellen und antidemokratische Züge annehmen.

Campusgrün hingegen spricht sich auf Nachfrage nicht komplett gegen zivilen Ungehorsam aus, doch komme es auf die Mehrheit der Studierenden an. Besetzungsaktionen im Zuge der Klimakrise seien abhängig von der entsprechenden Situation und den Umständen zu bewerten. Es dürfe nicht das lautere Argument zählen, sondern das vernünftigere, heißt es aus den Reihen von Campusgrün.

Politische Theorie zivilen Ungehorsams

Die Störung öffentlicher Ordnung durch studentische Protestaktionen trifft auch immer den Alltag unbeteiligter Menschen. Dieses Mittel macht sich ziviler Ungehorsam zu Nutzen, um Aufmerksamkeit auf einen politischen Missstand zu legen und dafür zu sensibilisieren. Bereits Politiktheoretiker:innen wie John Rawls und Jürgen Habermas sind diesem Problem nachgegangen und haben Artikel dazu verfasst, in denen sie darauf hingewiesen haben, dass ziviler Ungehorsam nur in einem demokratischen Rechtsstaat stattfinden könne, da dies Voraussetzung für die Infragestellung der Legitimität von Gesetzen sei.

Rawls zufolge müssten alle legalen Möglichkeiten des Protests bereits ausgeschöpft sein und gleichzeitig müsse es sich um ein begrenztes Thema handeln – auch um die Verfassungsordnung nicht zu gefährden. Dieses Argument führen auch Gruppen wie " End Fossil: Occupy!"  an: Die Klimaproteste auf der Straße hätten nicht die erhofften Erfolge erzielt, daher stelle ziviler Ungehorsam nun ein geeignetes Mittel dar.

Abschließend lässt sich festhalten, dass ziviler Ungehorsam kein neues Phänomen an deutschen Universitäten darstellt. Die Legitimität lässt sich in Anbetracht der Klimakrise und den gespalteten Haltungen der befragten Mainzer Hochschulgruppen nicht vollkommen absprechen, jedoch bleiben Nutzen und Folgen weiterhin strittig. Fest steht, dass Studierende eine Protestform für sich wiederentdeckt haben, deren Entwicklung und Wirkung abzuwarten bleibt. 

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