Theaterkritik | Woyzeck

09.05.2016
Freizeit
mgw

Noch einmal am 9. Juni 2016 wird eine Inszenierung von Georg Büchners Woyzeck im Mainzer Haus der Jugend zu sehen sein. Das Ensemble der Jungen Bühne Mainz hat eine fesselnde Version des bekannten Dramenfragmentes vorgestellt: ehrgeizig, innovativ, schlicht.

Fesselnder Hauptdarsteller

Schlicht ist auch der Name des Hauptdarstellers: Andreas Schlicht, Vorzeigebild eines ambitionierten Jungschauspielers, der die Bühne physisch und stimmlich auszufüllen mag. Die Rolle des armen Franz Woyzeck, der gelegenheitshalber einen Militärbeamten rasiert und sich einer experimentellen Erbsen-Diät unterzieht, um Geld für den Unterhalt seiner Freundin Marie und ihres gemeinsamen Kindes zu verdienen, ist eine Tour de Force, an der sich mancher Künstler aufreiben kann.

Das Bild Klaus Kinskis aus Werner Herzogs Verfilmung von 1979 ist den Zuschauern (leider) allgegenwärtig, wie im Publikumsgespräch im Nachhinein klar wird. Umso erfrischender wirkt Schlicht in seiner Darstellung: ein Nervenbündel, das gegen die teuflischen Stimmen kämpft, die als psychische Folge der Mangelerscheinungen aufgrund seiner einseitigen Ernährung erklingen, die ihn quälen, die ihn malträtieren. Mit schierer Wucht schleudert er uns seine Wahnvorstellungen entgegen, mit aller Geduld müssen wir diese Wahnvorstellungen verarbeiten.

Die zweifache Qual: eine Innovation der Jungen Bühne

Die Inszenierung ist in zwei Punkten besonders. Erstens hat Regisseur Philip Barth die Figur des tyrannischen Arztes, der buchstäblich Woyzecks Erbsen zählt, in eine weibliche Rolle verwandelt. Zweitens hat er die Figur einer Conférencieuse eingeführt, die das Geschehen mit einzelnen Sätzen gestrichener Figuren zynisch kommentiert. Diese zwei Neuerungen verhindern das drohende Verblassen aller anderen Darsteller im Angesicht von Schlichts bestechender schauspielerischer Leistung.

Zwillingshaften Hexen gleich, gespenstisch, umkreisen Ärztin und Conférencieuse den mehr und mehr leidenden Woyzeck, der seiner rätselhaft nihilistischen Umgebung nicht entfliehen kann, und nähren seinen Wahn. Immer enger ziehen sie ihre Kreise, immer härter verstümmeln sie seinen Geist.

Beide Darstellerinnen – Eva-Maria Felka  (Conférencieuse) und Nazife Ihan (Ärztin) – pointieren einige Phrasen noch nicht genug und verbergen gewisse Reserven, die ihre bösartigen Rollenprofile durchaus zementieren könnten, aber sie erreichen das Publikum mit ihrem beeindruckenden Ehrgeiz.

Die Vorstellung macht Lust auf mehr

Dies ist im Falle der Jungen Bühne Mainz keine Streitfrage: Wo beginnt professionelles Spiel? Natürlich nicht in den Schulen. Aber gewiss auch nicht im Staatstheater. Seinen Beginn nimmt es in diesem Ensemble im Haus der Jugend, dessen Mitwirkende bereits beachtliche Lebensläufe und zum Teil Erfahrung in Film und Fernsehen vorweisen können.

Die Junge Bühne befindet sich mittlerweile im sechsten Jahr ihres Bestehens. Sollten weitere Projekte folgen, die es mit dem Esprit von Woyzeck aufnehmen, dürfte weiteren sechs – und hoffentlich noch viel mehr – Jahren nichts im Wege stehen.

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