Theaterkritik | wohnen. unter glas

15.10.2017
Freizeit
las

Bereits im Juni brachte die Hochschulgruppe ProjektTheater ihre Inszenierung von "wohnen. unter glas" auf die Bühne des P1. Am Sonntag, 15. Oktober 2017, wird es eine weitere Aufführung geben.

Das Licht ist gedimmt, Musik setzt ein. Manisch stampft Max mit dem Fuß auf die Bühne, Jeani läuft schneller und schneller auf dem Laufband, Babsi fährt mit den Händen an ihrem Körper entlang, als würde sie sich die Kleider vom Leib schälen wollen. Dann ist es wieder vorbei. Belanglose Konversation zwischen Freunden. Doch unter der Oberfläche brodelt es unaufhörlich.

Zwischen Komik und Trostlosigkeit

"wohnen. unter glas" ist eine Tragikomödie von Ewald Palmetshofer. Es geht um drei Freunde Anfang dreißig die sich nach Jahren wieder treffen. Einst dachten sie, alles übereinander zu wissen, so offen und transparent waren sie, als sie noch zusammen wohnten – "fast wie Glas". Doch mittlerweile haben sie sich auseinandergelebt und etwas scheint zwischen ihnen zu stehen, mehr als nur der Verlust ihrer damaligen Nähe. Warum sie sich überhaupt treffen? Möglicherweise möchte Jeani, die ihre Freunde eingeladen hat, einer alten Zeit Lebewohl sagen. Immerhin wird sie bald heiraten. Im Laufe eines Abends entfalten sich neue und alte Konflikte, Erinnerungen und Vorwürfe, jedoch ohne am Ende eine Wahrheit postulieren zu wollen. Denn was die drei eigentlich wollen ist ihnen womöglich selbst unklar.

Im Klebebandlabyrinth

Erinnernd an den Sternenhimmel hinter einem gläsernen Dach hängen mehrere Leuchtstäbe an Lastzügen, die treppenartig aufgezogen sind. Rechts steht ein Laufband und versinnbildlicht geradezu die obligatorische Selbstoptimierung im Trott unserer Gesellschaft. Ansonsten ist die schwarze P1-Bühne kahl, fast steril. Auch die Kostüme der Darsteller, die Alltagskleidung tragen, sind fast ausschließlich in schwarz-weiß gehalten und so scheint über allem eine schwermütige Farblosigkeit zu lasten. Im Laufe der Aufführung ziehen die Schauspielerinnen und Schauspieler weiße Klebebandstreifen quer über den Boden: Verbindungen zwischen den Freunden, Kreuzungen, an denen sie unterschiedliche Richtungen einschlagen. Jedes Element scheint einen tieferen Gehalt in sich zu tragen, der entschlüsselt werden will.

"Schön, oder?"

Die Darstellerinnen und Darsteller schreiten auf den Linien hin und her, berühren sich in ihrer Isolation dabei selten. Fast nie blicken sie sich überhaupt in die Augen, sondern sprechen ihren Text meist frontal ins Publikum, während ihre Mitspieler sie starr beäugen. Mit seinem Text poetisiert Palmetshofer eine elliptische, zerstückelte Umgangssprache und lässt die Figuren nur selten ihre Sätze vollenden. Es sind oberflächliche Floskeln, die sie in ihrem beinahe unangenehmen Wiedertreffen austauschen: "Schön. Echt schön, dass du da bist. Schön, oder?" Doch in zahlreichen Monologen lassen die Figuren ihre Fassade fallen, was Jeani zuweilen mit dem Abnehmen ihrer Brille verdeutlicht. Hervor kommen ihre verborgene Enttäuschung und ihre Wut, die sie gegenüber den anderen bis zuletzt nicht preisgeben können. Besonders in diesen Umschwüngen beweisen die drei Schauspieler ein mitreißendes Spiel. So beeindrucken sie mit emotionaler Tiefe einerseits und mit komödiantischem Talent andererseits.

Eine nicht zu kompensierende Melancholie

Max, Babsi und Jeani repräsentieren eine Generation der Anfang-Dreißiger: Auf der Suche nach Bedeutung, nach Glück, belasten sie die Erwartungen anderer und der stetige Gedanke, dass ihre Möglichkeiten doch "maximiert" werden müssen. Durch eine gläserne Decke scheint die Sonne auf sie herab, betonen sie wiederholt. Eigentlich müssten sie doch jetzt im Zenit ihres Lebens stehen. Oder sind ihre Höhepunkte schon längst vorüber? Sind sie vielleicht sogar unfähig, einen Zenit zu erreichen, den andere ihnen vorleben? Machtlos gegenüber ihrer inneren Leere bleibt sie bis zum Ende bestehen: die eigene Unvollständigkeit.

Die Inszenierung von Laura Wiesinger und Jan Jokisch entsagt einem simplen Realismus und fordert das Publikum auf selbstbewusste Weise. Auch der Humor und die Unterhaltung kommen nicht zu kurz und die verschrobenen, verzweifelnden Charaktere bieten dabei Möglichkeit zur Identifikation. Ein eindringliches Stück Gegenwartsdramatik, das so manche Inszenierung des Mainzer Staatstheaters in den Schatten stellt.

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