Theaterkritik | Stirb, bevor du stirbst

14.02.2017
Freizeit
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Der Dschihad ist ein aktuelles Thema in den Medien. Kann man aus einem solch brisanten Stoff eine Komödie machen? Man kann. Zu sehen ist das Resultat derzeit im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters.

Laut Duden ist die Komödie "eine dramatische Gattung, in der menschliche Schwächen dargestellt und [scheinbare] Konflikte heiter überlegen gelöst werden". Ibrahim Amirs Stück Stirb, bevor du stirbst ist eine solche Komödie, bei der einem mitunter auch mal das Lachen im Hals stecken bleibt, wenn Vorurteile gegen alle und jeden konsequent ausgespielt werden. Zu sehen ist die Inszenierung von Hausregisseur K.D. Schmidt noch bis April im Staatstheater Mainz. 

Ein konfliktreiches Grundkonzept

Die Bühne ist ein Guckkasten, ein durch begrenzende Vorhänge eingerahmtes, biederes 70er-Jahre Esszimmer. Dies ist die kleine, beschauliche Welt von Familie Romanisin, bestehend aus Mutter Sabine (Anna Steffens), Großmutter Gertrud (Andrea Quirbach) und dem 18-jährigen Sohn Philipp (Henner Momann) – dessen Lebensmittelpunkt scheint die heimische 3-Zimmer-Wohnung jedoch nicht mehr zu sein. Jedenfalls hat man ihn dort länger nicht gesehen. 

Dafür klingelt bei Gertrud plötzlich die neue Nachbarin Magda (Lilith Häßle). Sie stammt aus dem Libanon. Oder Libyen? Gertrud ist so leicht vergesslich in letzter Zeit… Magda bringt zur Begrüßung arabische Süßigkeiten mit und wird sofort von Gertrud zum Essen eingeladen. Die gute nachbarschaftliche Stimmung ist jedoch schnell vorbei, als Sabine nach Hause kommt. Die laute Musik aus Magdas Wohnung, aber auch ihre Herkunft werden für die augenscheinlich fremdenfeindliche Sabine zum Konfliktstoff. So kommt es, dass die beiden Frauen innerhalb kurzer Zeit in einen so heftigen Streit geraten, dass nur noch die Polizei helfen kann.

Schließlich trifft ein Polizist (Sebastian Brandes) ein, dem man aufgrund seines übertriebenen, zwielichtigen Gebärdens bis zum Schluss nicht glauben möchte, dass er wirklich Ordnungshüter ist. Er ist jedoch in einer anderen Angelegenheit gekommen, als von Sabine angenommen. Er erklärt, dass ihr Sohn Philipp zum Islam konvertiert und mit einem Freund (Jaschar Markazi Noubar) in den Dschihad gezogen ist.

Sabine beschließt dieser Vermutung nachzugehen und ist nun auf die Hilfe der neuen Nachbarin angewiesen, weil diese Arabisch lesen kann. Nach der Zwangsversöhnung beginnt also die Suche nach Philipp – die drei Frauen machen sich dazu auf den Weg in die Moschee, die Philipp besucht haben soll, und befragen den Imam (Murat Yeginer). Auch dort lässt neues Konfliktpotenzial selbstverständlich nicht lange auf sich warten. 

Bissig, bunt und gnadenlos

Knapp 100 Minuten dauert das Spiel mit den Vorurteilen, in denen jeder munter verbal gegen den anderen schießt und sich haushoch überlegen fühlt – bis zur nächsten Wendung, mit der sich alles in eine komplett andere Richtung dreht. Da wettert beispielsweise der Imam gegen die alleinerziehende Sabine und die "kranke Gesellschaft", durch die Familien zerstört würden und wenig später stellt sich heraus, dass er selbst geschieden ist. 

Dabei funktionieren die Konflikte nach dem Prinzip Junge gegen Alte, Deutsche gegen Ausländer, Arbeitslose gegen Workoholics oder Christen gegen Muslime. Wir und die Anderen. Schwarz und Weiß. Die Komik entsteht vor allem durch das rasante Tempo – die Darsteller setzen ihre Pointen gekonnt und überzeugen ausnahmslos. Obwohl oder gerade weil die Figuren klischeehaft angelegt und zuweilen überzeichnet sind, gelingt K.D. Schmidts schnörkellos-leichte Inszenierung.

Trotz der scheinbar vorhersehbaren Figuren kann man als Zuschauer schwerlich einen wirklichen Standpunkt einnehmen. Innerhalb kürzester Zeit verändert sich die Situation immer wieder grundlegend, durch jede neue Information wird eine zwangsläufige Wendung provoziert. Das ist eine gekonnte Methode des Autors: Er führt uns unser Schubladendenken vor Augen und reißt uns sofort den Boden unter den Füßen weg, wenn wir glauben die "Guten" und die "Bösen" gefunden zu haben. Es gibt sie nicht, diese Welt der einfachen Wahrheiten – wir leben vielmehr in einer komplexen modernen Realität. Eine Erkenntnis, die diese zunächst bunte Klischeekomödie in ihrer Tiefe bewusstmachen kann, sobald man nach dem Applaus Zeit hat über das Gesehene nachzudenken. 

Wer jetzt wissen möchte, ob Philipp gefunden wird und ob die Geschichte ein glückliches Ende nimmt, hat dazu an drei Terminen im März und zum letzten Mal am 12. April 2017 im Kleinen Haus des Mainzers Staatstheaters Gelegenheit.  Mainzer Studis erhalten dank einer Kooperation zwischen Staatstheater und AStA drei Tage vor der Vorstellung kostenlos Restkarten an der Theaterkasse. 

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