Theaterkritik | NARRatio

03.07.2017
Freizeit
mgw

Studierende der Theaterwissenschaft haben die Figur des Narren zum Forschungsobjekt erklärt. In ihrem szenischen Spaziergang NARRatio laden sie zu einer Reise auf dem Narrenschiff durch die Mainzer Innenstadt ein und begegnen vielen Harlekinen in freier Wildbahn.

Nehmt euch in Acht vor den Witzbolden

Zu den Spaßmachern, Narren, Harlekinen, oder wie sie sonst noch genannt werden, sollen die Teilnehmenden gebührende Distanz halten, um nicht in Versuchung zu geraten und sich gar selbst zum Narren zu machen. 

Startpunkt des Spaziergangs ist ein unscheinbares Bürogebäude, die Landeszentrale für politische Bildung. Dort werden die Spaziergänger von vier Radiogeräten empfangen, die zeitlich versetzt in Dauerschleife mehrere Interview-Ausschnitte zum Thema des Narren wiedergeben, die die Studierenden im Freundes- und Familienkreis gesammelt haben. 

Die beiden Studis Leona Aleksandrovic und Robert Sauerborn nehmen die Rollen des renommierten Narrenforschers und seiner Assistentin ein. Sie instruieren alle Teilnehmer gründlich, statten sie mit bunten Nasen, Narrenkappen, Halskrausen und Scherpen aus und moderieren den Rundgang.

Gute Textgrundlage, wackliger Rahmen

Der Spaziergang führt nun hinaus in die natürliche Umgebung der närrischen Untersuchungsgegenstände. Mehrere Kommilitonen von Aleksandrovic und Sauerborn erwarten in den Rollen von Narren die Zuschauer an verschiedenen Stationen in der Innenstadt. Schnell wird klar, dass man überall auf der Hut sein muss vor den freilaufenden Schelmen. Diese anthropologische Grundhaltung ist durchaus witzig und soll die inhaltliche Tiefsinnigkeit kontrastieren, schwächt sie in manchen Momenten aber zu sehr.

Die selbstgeschriebenen Texte, die im Rahmen der Lehrveranstaltung “Szenisches Projekt“ unter der Leitung von Dozentin Annika Rink und der Regie von Schauspieler Holger Tapp entstanden, bergen ein großes Potenzial. Sie beschäftigen sich mit dem Ursprung, der Entwicklung und der Bedeutung des Narrens, mit Versagensängsten, Alltagsproblemen, psychischen Belastungen. 

Wo kann der Narr helfen, wo steht er im Weg? – Genauer: Wann lohnt es sich, dem Leben einfach ins Gesicht zu lachen, das manchmal hässlich und grausam sein kann und uns die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens vor Augen hält? Insbesondere die Texte aus der Feder von Fabian Groß greifen diese Fragen gekonnt auf. Sie changieren zwischen ironischer Wortakrobatik und mitreißender melodramatischer Bildkraft.

Dramaturgische Schwächen

Der Nachteil dieser szenischen Collage ergibt sich ausgerechnet aus ihrer thematischen und inhaltlichen Komplexität. Die einzelnen, höchst unterschiedlichen Forschungspunkte zum Narrentum drohen im Verlauf des Spaziergangs unübersichtlich zu werden. Es scheint, als ob man sämtliche Erscheinungsformen und Sinngehalte der Narrenfigur sezieren wolle. 

Ebenso sind die Verweildauer und die inhaltliche Aufarbeitung mehrerer interessanter Stationen – wie etwa der Eulenspiegel-Figur und dem Fastnachtsbrunnen – zu unausgewogen. Ein roter Faden ist am Ende nicht mehr erkennbar.

Während der kleinen Reise durch die Innenstadt begleiten ein Radio und eine Box die Teilnehmer, über die punktuell weitere Interview-Ausschnitte ganz unterschiedlicher Ansprechpartner eingespielt werden. Dies ist ein weiterer dramaturgischer Schwachpunkt – auch hier wäre weniger mehr gewesen.

Studierende mit Spielfreude und Witz

Die Darsteller, ausnahmslos Studierende, können ihre erkennbare Spielfreude und ihr komisches Talent aufgrund der streckenweise sprunghaften Inszenierung nicht immer entfalten. Unter ihnen überraschen jedoch beispielsweise Nina Seeh mit akrobatischen Einlagen und Jessica Enzminger mit einem launigen Saxophonspiel.

Mit der szenischen Präsentation des vergangenen Jahres kann dieser Rundgang nicht mithalten. Formal und ästhetisch war In Zukunft: Mainz im Sommer 2016 ansprechender und schlüssiger. Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Studierenden mit ganz anderen Kooperationspartnern agiert hatten, nämlich dem Staatstheater und der Hochschule Mainz.

In Erinnerung bleibt dennoch ein sehr unterhaltsamer, informativer und nachdenklicher Streifzug. Die Teilnehmenden nehmen allerlei historische Fakten und Querbezüge mit und gehen mit einem Lächeln nach Hause. Wir müssen uns ab und zu einmal zum Narren machen, dann wird das Leben leichter.

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