Theaterkritik | La Bohème

30.10.2016
Freizeit
mgw

Liebe und Leidenschaft: Was passt besser zu einer Oper? Mit Giacomo Puccinis La Bohème hat Intendant Markus Müller eines der weltweit bekanntesten und beliebtesten Werke dieser Gattung auf den Mainzer Spielplan gesetzt. Eine sehr publikumsfreundliche Entscheidung, denn der Inhalt ist schnell erzählt und die Handlung wird durch eingängige Kompositionen getragen.

Die Geschichte

Es geht um die beiden jungen Künstler Rodolfo und Marcello, einen Dichter und einen Maler, die sich ungefähr im Jahr 1830 eine Dachgeschosswohnung im Pariser Quartier Latin teilen. Sie haben nicht viel Geld, aber mithilfe ihrer Freunde wissen sie sich immer wieder über Wasser zu halten. Rodolfo verliebt sich in eine junge Frau namens Mimi, kurz darauf flammt Marcellos Leidenschaft für seine einstige Geliebte Musetta auf. Beide Beziehungen durchleben Höhen und Tiefen, bis Mimis Tuberkuloseerkrankung ein tragisches Ende einläutet.

Eine Besetzung mit Stärken und Schwächen

Aus der insgesamt guten Mainzer Besetzung ragen der australische Bariton Brett Carter als Marcello und die in Litauen geborene Vida Mikneviciute als Mimi heraus. Mikneviciute färbt ihren Sopran mit einem leichtfüßigen, unaufdringlichen Vibrato und steht damit stellvertretend für die Wirkung der gesamten Inszenierung, die sich der Tragik zwar nicht verweigert, aber ungekünstelt und subtil daherkommt.

Die größte schauspielerische Ausdruckskraft beweist allerdings die Griechin Alexandra Samouilidou in ihrer Rolle als feurige, kesse Sängerin Musetta, die egomanisch erscheint, aber das Herz auf dem rechten Fleck hat – der interessanteste Charakter des Abends. Der Franzose Philippe Do gleicht seine streckenweise unbeholfene, geringere Schauspielkunst gesanglich durch eine präzise Intonation und sein beeindruckendes, erzählerisches Gespür für die lyrische Tenorstimme aus.

Langweilig? – Muss nicht sein

Wer überraschende Wendungen, böse Intrigen oder kritische Statements erwartet, hat sich mit La Bohème für das falsche Ticket entschieden. Die Geschichte ist simpel. Diese Einfachheit birgt Stärken und Schwächen: Manch einer erfreut sich des kurzweiligen Werkes, ein anderer findet es langweilig. Das mag an den Figuren liegen, die größtenteils eindimensional gezeichnet sind und den Akteuren wenig Raum zur Ausgestaltung bieten.

Die Entscheidung über Kurzweil oder Langatmigkeit steht und fällt wahrscheinlich auch immer mit der Inszenierung. Bei einer so oft aufgeführten, international gespielten Oper drängt sich die Frage auf, ob die Regie ihr diesmal etwas Neues abgewinnen konnte – und wenn ja, ob sie das überhaupt musste. Der Streit ums Regietheater ist alt, er sollte dem unvoreingenommenen Zuschauer nicht im Nacken sitzen.

In diesem Fall lässt Regisseurin Monique Wagemakers ihr Ensemble in einer Gegenwart wandeln, die von Zeit zu Zeit trotzdem etwas retrospektiv wirkt. Die Menschenmenge im Quartier Latin mit ihren farblich sehr gut abgestimmten, sauberen Mänteln, der helle, klare Lichteinfall in die fast leere, kaum an stürmische Künstler erinnernde Wohnung, Musettas poppiges Outfit im Café Momus – das alles sieht chic aus, scheint wie mit einem angestaubten, aber noch funkelndem Film überzogen. Das Bühnenbild ist nicht überladen, die Akteure sind von einer sicheren Hand geführt. Die männliche Vierergruppe – Rodolfo und Marcello mit noch zwei weiteren Künstlern – strahlt in ihrer turbulenten Konstellation Energie und Lebenslust aus.

Eine Tragödie ohne Pathos

Zustimmen muss ich dabei Volker Milch, der am 17. Oktober in der Allgemeinen Zeitung schrieb, die Inszenierung überzeuge mit einem unsentimentalen Blick. Die Tragödie der Liebenden ist gegenwärtig, wird aber weder verneint noch ins Pathetische emporgezwungen. Wagemakers erschlägt uns nicht mit dramatischer Wucht, sie lässt die Musik wirken und rückt keines der Elemente in den Vordergrund. So zeigt sie eine elegante, schlüssige, in manchen Augenblicken aber leider auch in Sterilität abzugleiten drohende Bearbeitung von Puccinis Werk.

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