Theaterkritik | In the Heights

06.06.2016
Freizeit
mgw

Seit dem 30. Mai heizt die Gruppe Musical Inc. das P1 im Philosophicum durch Salsa-Rhythmen und Hip-Hop ein: Ihr aktuelles Projekt ist eine feurige Adaption des preisgekrönten Musicals In the Heights. Bis zum 17. Juni darf der Zuschauer noch mitfiebern – sofern er eines der begehrten Tickets hat ergattern können.

Theater statt Vorlesung im P1

Wie rezensiere ich Amateurtheater? Hier geht es nicht in erster Linie darum, Kunst zu produzieren, sondern Spaß zu haben. Für Laienschauspieler ist Theater meistens “nur“ eine Freizeitbeschäftigung und deshalb nicht mit dem professionellen Gewerbe vergleichbar, weil aus einem ganz anderen Antrieb hervorgebracht.

Das heißt im Falle der Musical Inc. aber nicht, dass die Mitwirkenden nicht ehrgeizig ans Werk gingen. Ganz im Gegenteil: Ihre aktuelle Produktion In the Heights ist ambitioniert und leidenschaftlich. Aus den räumlichen Gegebenheiten der P1-Bühne haben sie das Beste herausgeholt und beleben die liebevoll und detailliert gestaltete Kulisse mit größtmöglichem Körpereinsatz.

Was passiert in den Heights?

Da ist zu allererst Vincent Grimmel in der Rolle des Usnavi de la Vega, der ausgerechnet im Sommer im New Yorker Stadtteil Washington Heights mit einem defekten Kühlschrank zu kämpfen hat. Die Heights sind bunt durchmischt von allen Ethnien, in erster Linie haben aber die Puerto-Ricaner das Sagen. Grimmel rappt sich durch die Handlung, die im Großen und Ganzen das Familienleben der jungen Nina Rosario beleuchtet. Laura Saxler spielt dieses intelligente Mädchen, das als eines der wenigen aus den Heights ausbrechen und ein Studium in Stanford beginnen konnte.

Dass sie das Studium aus finanziellen Gründen abgebrochen hat, schockiert ihre Eltern, die mit ihrem Taxi-Unternehmen schwer arbeiten müssen, und ihre Freunde, die alle hin- und hergerissen sind zwischen der Sehnsucht nach einem Leben außerhalb des Viertels und ihrem Zuhause, das – eigentlich nur äußerlich – arm und trist ist. 

All they need is love

Dieser Zwiespalt verdeutlicht sich in Usnavi am allermeisten, doch auch die anderen Figuren entpuppen sich als reichhaltige Charaktere: Usnavis junger Cousin Sonny zum Beispiel, der manchmal gern mit dem Kopf durch die Wand will; die vorlaute, divenhafte Friseurin Daniela, die trotz aller Allüren das Herz auf dem rechten Fleck hat; oder Benny, der irgendwann einmal seine eigene Taxi-Firma gründen möchte.

Natürlich darf der romantische Sub-Plot nicht fehlen: Benny und Nina verlieben sich ineinander. Während der Umkreis diese Romanze noch beglückwünschen darf, muss er den Tod der Claudia Abuela verkraften, die ihre Altersweisheiten gut und gerne über die jugendliche Anwohnerschaft versprüht hat.

Abwechslungsreiches Ensemble

Karina Schwarz malt die Claudia Abuela mit berührenden, differenzierten Klangfarben aus – eine Gesangsleistung, die den Rest des Ensembles zu übertrumpfen droht. Obwohl es ein paar recht blasse Darsteller gibt, so gleichen sich doch alle Mitwirkenden untereinander aus. Ein weiterer Pluspunkt des Abends ist Sinan Köylü, der den Teenager Sonny mit Gespür für gut getimte Komik spielt. Ebenso witzig sind Steffen Storck als nervöser Graffiti Pete und Armida Begeja als rassige Daniela.

Laura Saxler passt gut in die Rolle der Nina: klein, süß und stupsnasig, wie sie ist, muss man sich nicht wundern, wenn sich der etwas übereifrige Benny alias Lukas Witzel in sie verliebt. Beide beweisen den Mut zu schnellen Musiknummern ebenso wie zu gefühlvollen, ruhigen Balladen.

Hier zeigt sich der Ehrgeiz des gesamten Projektes: Man ist dazu bereit gewesen, anstrengende Choreographien einzustudieren und konsequentes Stimmtraining zu absolvieren. Das gesamte Ensemble strahlt Freude auf der Bühne aus. Konzentriert sich die Handlung in manchen Szenen aber auf die Einzelpersonen, wäre ein Schauspiel-Coaching von Vorteil gewesen, um dem einen oder anderen Leerlauf vorzubeugen. Weil die Musical Inc. bisher so viel Ambition gezeigt hat, wird sie auch diesen nächsten Schritt gehen können.

Musikalische Innovativkraft

Weshalb ist In the Heights sehenswert? Am Broadway kam sein Erfolg überraschend, obwohl es nach dem gängigen Rezept des amerikanischen Musicals gekocht hat, demzufolge die Songs die Handlung weitertragen und in die tänzerische Dimension gerückt werden. Weniger artifiziell und archetypisch als das legendäre West Side Story, ist sein Vorbild in diesem dennoch wiederzuerkennen. 

Hier wird den Minderheiten und Migranten eine Stimme gegeben – und zwar ihre eigene, die sich durch Rap, Hip-Hop, Rhythm and Blues und sehr viel Salsa ausdrückt. In the Heights ist im Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Broadway-Musicals kein vollständiges Produkt der New Yorker Theaterindustrie, sondern zieht seine Wurzeln aus künstlerisch-universitären Kreisen. Vielleicht ist mancher Dialog zu platt oder zu sentimental geraten, das Gesamtergebnis ist aber solide und hörenswert. 

Beweist die Musical Inc. weiterhin so einen guten Geschmack bei der Auswahl ihrer Stücke, stehen noch viele Jahre voll mitreißender Inszenierungen bevor.

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