Theaterkritik | 7 Minuten. Betriebsrat (DSE)

14.11.2017
Freizeit
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Ein renommiertes Textilunternehmen wird von ausländischen Gesellschaftern aufgekauft, die Arbeiterinnen bangen um ihre Jobs. Was sind sie wohl bereit in Kauf zu nehmen, nur um ihre Arbeit zu behalten?

Eine Mehrheitsentscheidung treffen

Es ist eine aktuelle Situation, wie man sie sich nach der Finanzkrise in vielen Unternehmen vorstellen kann. Das Staatstheater Mainz hat die deutschsprachige Erstaufführung "7 Minuten. Betriebsrat" seit diesem November im Programm. Studierende erhalten dank einer Kooperation des Theaters mit dem AStA ab drei Tage vor der Vorstellung freien Eintritt. 

Im Zentrum der Inszenierung steht der Betriebsrat des Unternehmens Picard & Roche, dort stehen die Bedingungen der neuen Eigentümer zur Diskussion. Dieser besteht aus elf Frauen unterschiedlicher Herkunft, Alter, Zugehörigkeit im Betrieb, neun Arbeiterinnen und zwei Angestellten. Die jüngste von ihnen ist gerade einmal 19 Jahre alt. 

Das Eintreffen der Betriebsratssprecherin Blanche (gespielt von Andrea Quirbach) wird mit Spannung erwartet: Sie sitzt seit Stunden gemeinsam mit den Unternehmern, welche der Betriebsrat despektierlich die "Krawatten" nennt, in Verhandlungen. Die quälende Länge der Wartezeit wird durch mehrere Lichtwechsel und eine große Uhr in der Mitte des in tristem Betongrau gehaltenen Mitarbeiterraumes des von Katrin Bombe entworfenen Bühnenbilds greifbar. 

Als Blanche schließlich eintrifft, bringt sie eine zunächst erleichternde Nachricht: Die Fabrik wird nicht geschlossen, alle Arbeitsverträge laufen weiter. Lediglich die Pause zwischen den Schichtwechseln soll um sieben Minuten gekürzt werden. Eine als lächerlich winzig wahrgenommene Bedingung der neuen Eigentümer, formuliert mit freundlichem Ersuchen und an jede persönlich gerichtet. 

Alle sind zur sofortigen Zustimmung bereit, nur Blanche hegt Zweifel. Sie stimmt als einzige gegen den Vorschlag – nicht wegen der sieben Minuten – sondern wegen dem, wofür sie stehen. Den Argwohn ihrer Mitstreiterinnen auf sich ziehend, verteidigt sie dennoch ruhig und klar ihre Überlegungen. Zunächst ist es das leise Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein, doch nach und nach konkretisieren sich die Bedenken. Mehrere Frauen wechseln ihre Meinung, möchten nun ebenfalls mit "Nein" stimmen. Sieben Minuten erscheinen zwar wenig, doch addiert man die Zeiten aller Arbeiterinnen, so wird deutlich, wie viel Arbeitszeit die Frauen dadurch jeden Monat ihren Arbeitgebern schenken, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten. Es entbrennt eine hitzige Diskussion und die Abstimmung wird wiederholt. Welche Entscheidung wird Blanche den Unternehmern überbringen? 

Starker Text, einfache Umsetzung

Vor allem der Text des italienischen Gegenwartsdramatikers Stefano Massini ist es, der durch Aktualität, Mut und absolute Schonungslosigkeit besticht. In knapp 90 Minuten entfaltet die Geschichte eine starke Sogwirkung. Besonders die Gruppendynamiken der Frauen sind von Bedeutung: In ihrer Not gehen die unterschiedlichen Gruppierungen des Betriebsrates aufeinander los, zeitweise steht die Gruppe vor der Selbstzerfleischung. Grund dafür ist der große Druck, denn die gewählten Frauen müssen nicht nur stellvertretend für 200 in der Fabrik beschäftigte Arbeiterinnen über ihre Zukunft abstimmen, sondern letztlich ein Zeichen für die gesamte Branche setzen. Wenn hier persönliche Eitelkeiten, Misstrauen und Neid ins Spiel kommen, ist das einer gemeinsamen Entscheidungsfindung nicht dienlich, aber doch zutiefst menschlich. So schafft es das Stück, zu berühren. Auf welche Seite würden wir uns in der Diskussion stellen, welche Argumente vorbringen? 

Die luxemburgische Theaterregisseurin Carole Lorang inszeniert das Stück werkgetreu und legt den Fokus auf die ausdrucksstarke Textvorlage. Im Ensemble besticht besonders Andrea Quirbach durch fein nuancierte Vielschichtigkeit. Es gelingt ihr, Blanche weit über die kühne Tapferkeit hinaus zu bringen, mit der sie zu Beginn antritt. Zuletzt sind es bittere Zweifel und tiefe Verletzungen, die Quirbach gekonnt und unaufdringlich darzustellen vermag. Vereinzelt bleiben Kolleginnen hinter dieser Leistung leider zurück. 

Ein Abend mit Bedeutung

Elf Frauen, ein Betriebsrat, ein Raum, eine Stunde, eine Entscheidung . Mit diesen Worten wird die deutschsprachige Erstaufführung, die in Kooperation mit dem Les Théâtres de la Ville de Luxembourg realisiert werden konnte, im Programmheft angekündigt. Ob eine Entscheidung gefunden wird und wie diese Entscheidung ausfällt, können die Zuschauer noch bis April 2018 im Kleinen Haus des Staatstheaters erfahren.     

Erfreulich ist der Umstand, dass das Publikum, konfrontiert mit essentiellen Fragen rund um Arbeitsethik und Moral, am Premierenabend über den Inhalt des Stücks und seine Aktualität heftig diskutierte. Für jede einzelne Erkenntnis, von denen es hier einige zu gewinnen gibt, lohnt sich ein Theaterbesuch. 

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