Tausche Tierleben gegen wissenschaftliche Ausbildung

14.01.2021
Studium
sho

Viele Hochschulen verteidigen Tierverbrauch aus Angst vor Einbußen in der Lehre. Studierende werben derweil für Alternativen. So stehen sich zwei Plädoyers für wissenschaftlichen Weitblick gegenüber.

Müssen Studierende, die eine Karriere im Bereich der Wissenschaft bzw. der Forschung anstreben, bereit sein, im Zuge ihrer Ausbildung ein Tierleben zu beenden? Diese Frage kommt gerade in den letzten Jahren, im Zuge eines verstärkt nachhaltig geprägten Denkens und Handelns, immer wieder auf.

Grundsätzlich müssen diverse Anträge gestellt und die Auflagen des Tierschutzgesetzes erfüllt werden, um hierzulande legal mit und an einem Tier experimentieren zu können. Bei einem Tierversuch wird ein Experiment an einem noch lebendigen Tier durchgeführt. Im Zuge des Tierverbrauchs hingegen werden Tiere getötet, um sie für Lehrzwecke einzusetzen.  Diese Lehrzwecke umfassen beispielsweise das Sezieren eines Tieres, um dessen Anatomie zu erlernen, oder auch die Verwendung tierischer Zellen für weitere Versuche.

Widerstand gegen Tiernutzung in Baden-Württemberg

Anfang 2020 haben die Grünen in Baden-Württemberg auf den Umgang mit Tieren im Zuge des Studiums aufmerksam gemacht. In einem Gesetzesentwurf zur Erneuerung des dort geltenden Hochschulgesetzes forderte die Partei, dass Tierversuche und Tierverbrauch für Ausbildungszwecke künftig weitestgehend verboten werden sollen.

Dieses Verbot solle greifen, wenn bewiesen werden kann, dass für die jeweilige Lehrmethode gleichwertige, tierverbrauchsfreie Materialien zur Verfügung stehen. Zu beachten ist hierbei, dass sich der vorgelegte Entwurf explizit auf eine studentische Ausbildung und nicht auf andere Forschungsbereiche, wie etwa die Medikamentenforschung, bezieht.

Während diese Forderung vielen Tierschutzorganisationen und Tierversuchsgegner:innen entgegenkam, wurden von Seiten der Universitäten und Hochschulen, aber auch aus der CDU in Baden-Württemberg, klare Gegenstimmen laut. Etliche Lehrende sowie Mitarbeitende aus Fachbereichen der wissenschaftlichen Ausbildung stellten sich gegen striktere Regulierung tierverbrauchender Methoden. Sie befürchten, dass die Einschränkungen dazu führen könnten, dass das Niveau und die Expertise einer Ausbildung im jeweiligen Bereich drastisch sinken.

Nichtsdestotrotz konnten die Grünen ihr Anliegen gesetzlich verankern: Durch eine Novellierung des Hochschulgesetzes soll künftig der Tierverbrauch während der studentischen Ausbildung weitestgehend unterbunden werden. Das Verbot nach Paragraf 30a greift, wenn wissenschaftlich gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen. Das Mitte Dezember 2020 beschlossene neue Hochschulgesetz soll nun Anfang 2021 in Kraft treten; und auch wenn eine Novellierung des aktuellen Hochschulgesetzes von vielen Seiten klar befürwortet wird, sehen Universitäten es vielerorts als Gefährdung für eine exzellente studentische Ausbildung an.

Folgen auch für Hochschulen in Rheinland-Pfalz

Auch in anderen Bundesländern wird die Tiernutzung während des Studiums über die Hochschulgesetze geregelt. Neben Baden-Württemberg haben Rheinland-Pfalz, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen ebenfalls ihre Hochschulgesetze angepasst und dabei auch die Richtlinien für die Tiernutzung reformiert.

Seit Oktober 2020 gilt in Rheinland-Pfalz, dass in Forschung und Lehre so weit wie möglich auf Tierversuche sowie auf die Verwendung von Tieren im Sinne des Tierschutzgesetzes verzichtet werden solle. Zudem sollen von Seiten der Universitäten geeignete Alternativmethoden zu herkömmlichen, tierverbrauchenden Forschungsmethoden entwickelt und bereitgestellt werden.

Studierende sollen ein Hochschulstudium erfolgreich absolvieren können, ohne an Tierversuchen oder Tierverbrauch teilnehmen zu müssen (§3, Abs. 8). Ein solcher Beschluss erfordert, dass Praktika und Module, die vorher tierisches Material als Anschauungsmaterial verwendet haben, fortan auf alternative Lehrmethoden umsteigen.

JGU schränkt seit 15 Jahren Tierverbrauch in der Lehre ein

Kathrin Voigt, Pressereferentin der JGU Mainz, betont derweil auf Anfrage, dass in der Lehre der JGU bereits vor der Novellierung des Hochschulgesetzes vollends auf Tierversuche verzichtet worden sei. Ihr zufolge werden "keine lebenden Tiere zu Versuchszwecken in der Lehre eingesetzt".

Stattdessen würden etwaige Tierversuche bereits seit 2005 durch alternative Lehrmethoden ersetzt. Zudem werde auch der Tierverbrauch im Rahmen des Sezierens auf ein Minimum beschränkt. In der Humanmedizin und der Zahnmedizin wird laut der JGU Mainz bereits vollständig auf das Sezieren von Tieren verzichtet.

Alternativen zum Tierverbrauch

Sezierübungen sind nach wie vor u. a. Bestandteil eines Grundkurses im Fachbereich 10 (Biologie). Im Zuge dieses Grundkurses besteht jedoch bereits die Möglichkeit, komplett auf tierisches Anschauungsmaterial zu verzichten und stattdessen ein alternatives Lehrpraktikum zu absolvieren. Sowohl die Stabsstelle Kommunikation der JGU als auch Lehrende des Fachbereichs betonen, dass sich alle Studierenden hier frei für oder gegen die Tiernutzung entscheiden dürften.

Auch die Fachschaft Biologie bestätigt, dass alternative Lehrmethoden zur Verfügung stehen und bereits Anwendung finden. Studierende, die auf etwaigen Tierverbrauch verzichten möchten, würden hier ein Alternativprogramm absolvieren, das parallel zum "normalen" Praktikum verlaufe. Studierende, die nicht selbst ein Tier sezieren möchten, könnten sich neben Studierende setzen, die ein Tier sezieren. Der Fokus liege darauf, einen Lerneffekt an echtem Anschauungsmaterial zu erzielen, ohne selbst aktiv an der Lehrmethode teilzunehmen.

Außerdem stellt die JGU den Studierenden, die das alternative Lehrprogramm absolvieren wollen, weitere Lehrmethoden wie beispielsweise Bildmaterial zur Anatomie des jeweiligen Tieres, Ganzkörper-Dauerpräparate und Plastik-Dummys des Tieres und seiner Organe zur Verfügung. Zusätzlich können auch Videosimulationen von medizinischen Versuchen als Alternative genutzt werden.

Ein solches alternatives Lehrangebot wird grundsätzlich von vielen Studierenden der wissenschaftlichen Fachrichtungen klar befürwortet. Tierverbrauch solle ihrer Ansicht nach nur dann stattfinden, wenn keine alternativen, gleichgestellten Lehrmethoden zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zu den Universitäten selbst findet ein Großteil der Studierenden nicht, dass eine Einschränkung in Bezug auf den Tierverbrauch zu einer Verschlechterung ihrer Ausbildung führen wird.

Kein vollständiger Tierverzicht für Lehre und Forschung möglich

Auch über die JGU hinaus sind Alternativmethoden im Gespräch und in Gebrauch. Einige Universitäten in Baden-Württemberg beharren jedoch weiter darauf, dass echtes tierisches Material als Lehrmethode weitaus effizienter sei als eine Computersimulation. Weiterhin sind die Alternativmethoden oft auch teurer als herkömmliches, tierisches Material: Computerbasierte Lehrprogramme brauchen beispielsweise ein gewisses Maß an technischen Voraussetzungen und diverse kostenpflichtige Lizenzen.

Aus den Reihen der Lehrenden der JGU, die in der wissenschaftlichen Ausbildung tätig sind, kommen ebenfalls Zweifel an einem kompletten Verzicht auf tierisches Material auf: Zwar wird hier klar betont, dass der Tierverbrauch auf ein Minimum beschränkt werden solle und dass ein bewusster Umgang mit tierischem Material essenziell sei. Allerdings werden auch viele wichtige Substanzen, wie beispielsweise Proteine oder Antikörper, aus tierischem Gewebe gewonnen. Diese Stoffe werden vielfältig in der wissenschaftlichen Lehre sowie der Forschung eingesetzt. Ein Verzicht auf solches tierisches Material wäre also, nach aktuellem Stand der Wissenschaft, momentan noch nicht möglich.

Kontroverse mit Tendenz zum Tierwohl

Bei den zahlreichen Argumenten und Diskussionspunkten zur Tiernutzung im Studium steht oftmals die Frage im Raum, ob es nicht bereits genügend geeignete Alternativen zu den herkömmlichen, tierverbrauchenden Lehrmethoden gebe. Nach Ansicht der Grünen sowie diverser Tierschutzorganisationen sind Tierversuche im Studium aufgrund der fortschrittlichen Forschungsgrundlage in Deutschland mittlerweile weitestgehend verzichtbar. Auch wenn bereits ein breites Spektrum an Alternativen vorhanden ist, kann aber noch nicht jeder tierverbrauchende Versuch durch alternative Materialien ersetzt werden.

Die Debatte zwischen Tierschutzorganisationen und Umweltparteien auf der einen Seite und einigen Universitäten und Forschungseinrichtungen auf der anderen Seite wird wohl noch andauern, bis man einen Kompromiss findet, der die Interessen beider Seiten gleichermaßen beachtet. Zwar ist derzeit für einige Forschungsbereiche noch kein vollständiger Verzicht auf den Tierverbrauch möglich. Doch die aktuellen Debatten und die Suche nach ebenbürtigen Alternativen deuten darauf hin, dass die Frage nach dem Wert eines Tierlebens vielerorts immer stärker ins Bewusstsein rückt.

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