Während die Vorbereitungen zur Wahl des 72. Studierendenparlaments (StuPa) liefen, wurden von Seiten der derzeitigen Opposition schwere Vorwürfe am Verhalten der jetzigen Regierungskoalition aus Campusgrün und der Linken Liste erhoben.
Das Studierendenparlament, zu dessen Aufgaben u. a. die Wahl, Entlastung, Abberufung und Kontrolle der Mitglieder des Allgemeinen Studierendenausschusses AStA gehören, trifft sich momentan online zu seinen Sitzungen. Darin debattieren die Mitglieder über Ausschüsse wie dem Finanzausschuss sowie über Erlasse, Änderungen und Aufhebungen von Regelungen der Studierendenschaft. Die Mitglieder des bisherigen Studierendenparlaments setzen sich dabei aus fünf Gruppen zusammen: Campusgrün, Linke Liste, Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), die Juso- und die liberale Hochschulgruppe.
Soweit so gut. Das Parlament ist dabei, genauso wie der Bundes- und Landtag, bestimmten Regeln unterworfen, die in der entsprechenden Satzung niedergeschrieben sind. Die Auslegung und Ausübung dieser Satzung durch die Koalition ist jedoch in den Augen der Opposition regelwidrig, was neben der Veröffentlichung einer gemeinsamen Stellungnahme auch zu dem Rücktritt des Vizepräsidenten und JuSo-Abgeordneten Fabian Stephan im August geführt hat. Erst auf Anfrage hat nun auch die Koalition auf die Vorwürfe in den beiden Statements der Opposition reagiert – alle drei Reaktionen wurden der Redaktion von campus-mainz.net zur Verfügung gestellt.
- aus Sicht der Opposition: -
Der Erste, der auf die Situation im Studierendenparlament aufmerksam gemacht hat, war der damalige Vizepräsident Fabian Stephan, der im Juli 2021 seinen Rücktritt aus dem Präsidium des Studierendenparlaments eingereicht hat. In seiner Erklärung kritisierte er, dass die beiden anderen Mitglieder des Präsidiums des Studierendenparlaments (die Präsidentin der Linken Liste sowie deren Vizepräsidentin, die der gleichen Gruppe angehört) ihre Ämter nicht neutral ausführen würden. Dabei führte er in seinem Statement vor allem rechtswidriges Verhalten bei Wahlen und Abstimmungen an: Bei der Auszählung von Wahlzetteln sei zunächst geschaut worden, "von wem ein Wahlzettel [käme], bevor über die Gültigkeit entschieden" wurde. Außerdem seien "Mehrheitsbeschlüsse innerhalb des Präsidiums […] gefällt [worden], bevor Argumente ausgetauscht werden" konnten.
Eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit" sei unter solchen Umständen nicht weiter möglich, weshalb er sein Amt zum 16. August niederlegte.
Im Rückblick gab Stephan an, dass zu seinem Bedauern "die Koalition dadurch leider nicht wachgerüttelt" worden wäre. Stattdessen kam es bei der Sitzung des Studierendenparlaments vom 10. November zu einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Koalition und Opposition, die letztere zur Veröffentlichung einer gemeinsamen Stellungnahme veranlasste. Während Unstimmigkeiten im politischen Alltag normal und zum Erhalt der Demokratie auch absolut erwünscht seien, bezeichneten die drei Gruppen RCDS, Juso und Liberale das Verhalten von Campusgrün und der Linken Liste als "respektlos": "Ein demokratisches Verfahren im StuPa ist essentiell. Auch ein Antrag, der nicht zur eigenen Meinung passt, aber vom StuPa angenommen wird, muss respektiert werden."
Hierbei bezog man sich auf mehrere Regelverstöße während der Online-Sitzung. Dies begann damit, dass ein Mitglied des AStA-Vorstands den Entwurf für eine neue Finanzordnung, der aus Beiträgen aller Fraktionen erarbeitet worden war, als Zeitverschwendung deklarierte und die Vorschläge und Anträge der Opposition als "nicht sinnvoll" bezeichnete, da diese keine Mehrheit erreichen könnten. Jedoch entscheidet in solchen Fällen nicht allein die Koalition über die Annahme von Vorschlägen, sondern alle 35 Abgeordneten des Parlaments. Der sich daraus ergebende Widerstand führte daher zur Abstimmung, bei der die neuen Änderungen mit 12 Ja- zu 10 Nein-Stimmen abgesegnet wurden.
Mit diesen Worten leitet die Opposition in ihrer Stellungnahme rückblickend das weitere Geschehen ein: Von Seiten der Linken Liste wurde nach der Abstimmung das Gesuch nach einer Fraktionspause eingereicht, in der mehrere Koalitionsabgeordnete die digitale Sitzung mit dem Ziel verließen, eine Beschlussunfähigkeit und damit den Sitzungsabbruch des Parlaments hervorzurufen.
In solch einem Fall muss laut Satzung ein sogenannter "Geschäftsordnungsantrag zur Feststellung der weiteren Beschlussfähigkeit" gestellt werden, bevor die Sitzung offiziell abgebrochen bzw. vertagt werden kann. Dies wurde von der Leiterin der Sitzung, einer Abgeordneten der Linken Liste, auch getan. Bevor es jedoch zur eigentlichen Abfrage der Mitglieder des StuPa kommen konnte, wurde die digitale Sitzung bereits geschlossen.
Neben diesem Verstoß kritisiert die Opposition in ihrer Stellungnahme, dass die Sitzungsleitung keinerlei Rücksprache mit ihrem Vizepräsidenten, einem Abgeordneten der Juso-Hochschulgruppe, gehalten habe, wenngleich es dafür genügend Präsidiumspausen gegeben hätte. Des Weiteren prangern die drei Parteien an, dass die eigentliche Präsidentin des StuPa und damit das dritte Mitglied des Präsidiums – ebenfalls ein Mitglied der Linken Liste – bereits seit September an keiner Sitzung teilgenommen habe. Ebenso wenig sei der Satzungs- und Ordnungsausschuss hinzugezogen worden, der eigentlich eine beratende Funktion innehat, falls es während einer Sitzung zu Streitigkeiten hinsichtlich der Satzung und der Ordnung der Studierendenschaft kommt.
"Durch diese satzungswidrigen Handlungen wird die Verantwortung des Parlaments und insbesondere der Opposition unterminiert" – damit resümiert die Opposition ihre Kritik. Die Sitzung vom 10. November war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, da in der Stellungnahme auch vorangegangene Verstöße wie satzungswidrige und willkürliche Fristverlängerungen bei der Beantwortung von parlamentarischen Anfragen an den AStA sowie bei der Briefwahl angesprochen wurden.
- aus Sicht der Koalition -
Auf Nachfrage haben nun auch die Parteien der Koalition reagiert und erläuterten ihre Sicht auf die Geschehnisse des vergangenen Jahres. Dabei erklärten sie ihr bisheriges Schweigen damit, dass "die meisten Punkte im Statement der Opposition […] dermaßen überzeichnet bzw. grotesk verzerrt [seien], dass wir damals keine Notwendigkeit sahen, öffentlich darauf einzugehen. Zumal es, wie sonst auch, Ende November wichtigere Projekte und Aufgaben gab, für die unsere Ressourcen besser angewendet waren, als uns außerhalb der StuPa-Sitzungen […] mit destruktivem Verhalten der Opposition zu befassen."
Die Koalitionsparteien aus Linker Liste und Campusgrün betonten die Arbeitsweise innerhalb eines (Studierenden-) Parlaments, in dem es durch Koalitions- und Oppositionsbildung automatisch dazu käme, dass erstere die Mehrheit der Abgeordneten stelle. StuPa-Sitzungen würden durch das StuPa-Präsidium geleitet, das aus einer Präsidentin bzw. einem Präsidenten und zwei Vizepräsident:innen bestehe, wobei es im StuPa Tradition und keine Vorschrift sei, dass ein:e Vizepräsident:in aus der Opposition stamme. Im Folgenden hob die Koalition die Neutralität des StuPa-Präsidiums hervor, dass dann beratend in Funktion träte, wenn keine Einigung im Parlament erreicht werde. Hierbei führten die beiden Parteien einen Vorfall bei der Konstituierung des AStA im ersten Wahlgang an, bei der das StuPa-Präsidium gegen die Wünsche der Koalition gestimmt hatte.
Erst im nächsten Schritt gingen die beiden Parteien konkret auf die Stellungnahmen der Opposition ein, der sie vorwarfen, diese Prinzipien des StuPa falsch auszulegen und zu ihren Gunsten zu verdrehen: "In demokratischen Abstimmungen kommt es üblicherweise vor, dass Personen überstimmt werden, wenn ihre Ansichten keine Mehrheit erreichen, so auch im StuPa-Präsidium. Dieses Überstimmen kann natürlich auch das oppositionelle Mitglied betreffen, das sollte wenig überraschen."
Dabei beziehen sich Campusgrün und Linke Liste vor allem auf die knappen Mehrheitsverhältnisse im 71. StuPa, die oftmals in den entsprechenden Sitzungen durch fehlende Mitglieder nicht korrekt dargestellt würden. Die daraus resultierenden fälschlichen Mehrheitsverhältnisse könnten in Sitzungen dann dazu führen, dass Anträge abgesegnet würden, die von der tatsächlichen Mehrheit nicht bewilligt worden wären. Ein Mittel, dies zu verhindern, sehen die beiden Parteien dabei im Verlassen der Sitzung mit dem darauffolgenden Antrag auf Beschlussunfähigkeit, der die Vertagung erzwingt. Dabei betont die Koalition, dass das gleiche Mittel zum identischen Zweck wenige Wochen später, am 12. Januar 2022, von der Opposition ebenfalls genutzt wurde.
Erneut bezeichnen die beiden Parteien die öffentliche Stellungnahme der Opposition als übertrieben, wenn diese die mehrmaligen Fraktionspausen und fehlende Kommunikation mit entsprechenden Ausschüssen anprangern. Hierbei betonen Campusgrün und Linke Liste, dass "Präsidiumspausen […] aus verschiedenen Gründen genommen werden [können], [ohne dass] eine interne Beratung […] automatisch […] erfolgen [muss]". Hierbei müssten Satzungs- und Ordnungsausschuss nicht zwingend einbezogen werden.
Im gleichen Atemzug werden Maßnahmen der Opposition zur Verzögerung von Sitzungen aufgezeigt – wie etwa unnötige und ungerechtfertigte Anträge zur "Feststellung der Beschlussfähigkeit" bei vollständigen Sitzungen. Ebenso sei eine automatische Schließung einer StuPa-Sitzung bei eindeutiger Nichtbeschlussfähigkeit ohne Antrag keine fremde Praxis für die Opposition, die dies zu Beginn der Legislaturperiode ebenfalls durchgeführt hätte.
Darüber hinaus werden "Unterstellungen bzgl. 'unsachgemäßer' und 'respektloser' Beantwortung von Anfragen" zurückgewiesen und mit der momentanen Coronasituation erklärt, die für alle JGU-Studierenden – und damit auch für die gewählten Abgeordneten – neue Herausforderungen stelle. Tatsächlich sei es nur zwei Mal zu einer Verzögerung der 14-Tage-Frist zur Beantwortung von Anfragen gekommen, was in keiner Satzung zu Sanktionen führen würde.
Campusgrün und Linke Liste wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der:die zweite Vizepräsident:in nicht verpflichtend aus den Reihen der Opposition stammen müsse. Dass nach den bereits erkannten Konflikten zwischen Opposition und Koalition dennoch ein Juso-Mitglied durch Enthaltung der Koalitionsabgeordneten und fehlendem Gegenkandidaten bzw. fehlender Gegenkandidatin gewählt wurde, würde daher vielmehr den Willen zur Einigung von Seiten der Koalition zeigen. Hierbei hoben die beiden Parteien hervor, dass das neue Präsidiumsmitglied "sich bisher nicht zum Rücktritt 'genötigt'" sähe.
Des Weiteren seien Schritte nach Stephans Vorwürfen eingeleitet worden: Die Vorwürfe hätten weder von ihm noch von einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten belegt werden können.
Die Abgeordneten, die sich nun zu Wort gemeldet haben – die beiden Abgeordneten der Linken Liste, Sabrina Heinze und Joscha Bär, sowie die beiden Abgeordneten von Campusgrün, Hannah Waplinger und Sarah Niedrich, kamen daher in ihrem Fazit zu der Aussage, dass es kein Fehlverhalten der Koalition gegeben habe, sondern sich die öffentlichen Anschuldigungen wohl eher aus "mangelndem Demokratieverständnis seitens der Opposition sowie einer empfundenen politischen Handlungsohnmacht gegenüber der Koalition" ergeben hätten. Die Opferrolle, in der sich die Oppositionsparteien zeigten, spiegele daher keinesfalls die realen Verhältnisse wider. Allgemein sei es nicht nachvollziehbar, dass daraus ein öffentlichkeitswirksames Statement gemacht wurde.
- Ende der Statements -
Da die Auseinandersetzungen in die Wahl des 72. Studierendenparlaments gefallen sind, werden keine weiteren Folgen innerhalb der zu Ende gehenden Legislaturperiode mehr zu erwarten sein. Wer am Ende tatsächlich Unrecht hat und ob diese Frage überhaupt gestellt werden kann, lässt sich kaum klären, da sowohl Opposition als auch Koalition auf die meisten Anschuldigungen mit Gegenbeschuldigungen reagieren. Es bleibt zu hoffen, dass die Zusammenarbeit und insbesondere die Kommunikation innerhalb des StuPa im kommenden Jahr reibungsloser verlaufen wird. Denn letztlich geht es darum, die Interessen der Studierenden der JGU Mainz zu vertreten, was nur so gebührend gewährleistet werden kann.
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