Sprache leicht gemacht? – Das Leichte Sprache Graduiertenkolleg Mainz

12.06.2022
Studium
cah

Das Lesen und Verstehen langer Texte ist für die meisten ein Leichtes – nicht so für Menschen mit Leseschwierigkeiten. Doch kann Leichte Sprache dem Abhilfe schaffen?

Nach einer Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2018 haben 6,2 Millionen Deutsch sprechende Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Das bedeutet, sie sind nur gering literalisiert. Dies entspricht einem Anteil von 12,1 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. 

 

Von den 6,2 Millionen gering literalisierten Menschen haben mehr als die Hälfte Deutsch bereits als Erstsprache erlernt. Anhand dieser Zahlen wird zum einen die gesellschaftliche Relevanz und zum anderen die nötige Forschung zu Leichter Sprache deutlich. 

So wurde im Jahr 2014 eine neue Forschungsstelle, eigens für Leichte Sprache, an der Universität Hildesheim errichtet. Dort werden wissenschaftliche Regelwerke für die Nutzung Leichter Sprache auf Grundlage sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse erarbeitet und überprüft.  

Und auch die Politik setzte mit der Nivellierung des Behinderungsgleichstellungsgesetz des Bundes (BGG) von 2016 ein Zeichen, indem Leichte Sprache verstärkt für die Beratung bei Behörden und Ämtern eingesetzt werden soll. Leichte Sprache soll somit zur Barrierefreiheit unserer Gesellschaft beitragen. 

Aber was ist überhaupt unter Leichter Sprache zu verstehen, wer profitiert davon und was hat die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) damit zu tun? 

Was ist Leichte Sprache und welche Funktionen erfüllt sie?

Das Graduiertenkolleg "Einfach komplex! Ein multimodaler und interdisziplinärer Ansatz zur Untersuchung von sprachlicher Komplexität in der Leichten Sprache" der JGU definiert Leichte Sprache als "eine auf verschiedenen sprachlichen Ebenen vereinfachte Form der deutschen Sprache, die für Menschen konzipiert ist, die standardsprachliche Texte nicht ohne Weiteres verstehen können (z. B. Menschen mit Lernschwierigkeiten)."

Leichte Sprache ist demnach als barrierefreie Kommunikation zu verstehen, welche sich die gesellschaftliche Teilnahme aller zur Aufgabe macht. Zunächst ist Leichte Sprache aus der Praxis heraus entstanden. Eine erste Verschriftlichung der noch wenig spezifischen Regeln Leichter Sprache wurden im Jahr 2009 von "Inclusion Europe" und dem "Netzwerk Leichte Sprache" auf den Weg gebracht. 

Mit den sprachwissenschaftlichen Untersuchungen der Forschungsstelle Leichter Sprache an der Universität Hildesheim gelang schließlich 2015 die Veröffentlichung des ersten Regelwerkes im deutschsprachigen Raum. Dieses wird nun fortlaufend aktualisiert und überarbeitet. 

Die Regeln Leichter Sprache sind sehr umfangreich, sodass hier nur ein grober Überblick gegeben werden kann. So ist bspw. eine Regel, Sätze kurz zu halten und keine Verbklammer zu verwenden. Ein Satz sollte zudem auch nur eine Botschaft übermitteln und nicht verschachtelt sein. Fremdwörter sollten vermieden und durch einfachere Synonyme ersetzt werden. Falls dies nicht möglich ist, sind diese ausreichend zu erklären. Ferner können komplexe Wörter auch optisch durch einen sogenannten Mediopunkt getrennt werden, um das Lesen auch visuell zu vereinfachen.  

Wichtig ist: Leichte Sprache, und das Übersetzten von Texten in Leichte Sprache, verfolgen das Ziel, zu vereinfachen, nicht zu verfälschen. Die Inhalte vom Originalausgangstext müssen ebenso im Zieltext wiederzufinden sein. Dadurch soll Leichte Sprache bestenfalls eine Partizipationsfunktion erhalten, welche es allen Menschen ermöglicht, an gesellschaftlichen Themen Teilhabe zu erlangen. 

Möglicherweise kann Leichte Sprache aber auch, insbesondere für Zweitspracherwerber:innen, eine Lernfunktion bereitstellen, indem durch sie der Einstieg in eine komplexe Grammatik und Orthographie erleichtert wird. Außerdem ist Leichter Sprache eine Brückenfunktion zuzuschreiben: Sie ist als Ergänzung zur Standardsprache zu verstehen und ermöglicht es damit, Konsument:innen ein individuelles Wechseln zwischen beiden Sprachen vorzunehmen, abhängig vom eigenen Leistungsniveau. 

Für wen ist Leichte Sprache gedacht?

Adressat:innen Leichter Sprache sind sehr heterogen. Ihre Einschränkungen, Texte und lange Sätze lesen sowie verstehen zu können, haben somit sehr unterschiedliche Ursachen. 

So haben Menschen, die Leichte Sprache in ihrem Alltag konsumieren (in der Forschung auch als Primäradressat:innen bezeichnet), z. B. eine Behinderung, Lernschwierigkeiten wie etwa Legasthenie, Demenz, Gehörlosigkeit oder Aphasie. Des Weiteren können Konsument:innen Leichter Sprache auch Analphabet:innen sein oder Deutsch erst als Zweitsprache erlernt haben. 

Es wird hierbei deutlich: das Regelwerk für Leichte Sprache muss für ein großes Publikum praktikabel sein. Konsument:innen Leichter Sprache befinden sich, wie zuvor bereits verdeutlicht, auf sehr unterschiedlichen Leistungsniveaus oder sind vielleicht auch nur für einen gewissen Zeitraum darauf angewiesen. 

So wurden in der Forschung bereits sprachwissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, welche meist als Grundlage für die aktuellen Regelwerke Leichter Sprache dienten. Diese waren damit theoretisch motiviert. Bis jetzt sind jedoch noch keine empirischen Untersuchungen dazu erfolgt, die Auskunft darüber geben könnten, ob die benannten Zielgruppen von den Regeln auch vollends profitieren. Werden die Texte von den Betroffenen unter der Anwendung Leichter-Sprache-Regeln wirklich besser verstanden? Hier setzte das Leichte Sprache Graduiertenkolleg Mainz mit seiner Forschung an. 

Das Graduiertenkolleg Leichter Sprache Mainz und seine Aufgaben 

"Einfach komplex! Ein multimodaler und interdisziplinärer Ansatz zur Untersuchung von sprachlicher Komplexität in der Leichten Sprache" ist der Name eines von vier "Minigraduiertenkollegs" (MGRK) in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es wurde seit April 2018 vom Gutenberg Nachwuchskolleg (GNK) der JGU mit rund 730.000 Euro für zwei Jahre lang gefördert.  

Dabei stellte das Graduiertenkolleg Leichter Sprache in Mainz eine Zusammenarbeit zwischen dem Department of English and Linguistics und dem Arbeitsbereich Englische Sprache- und Übersetzungswissenschaften in Germersheim dar. 

Forschungsziel des Minigraduiertenkollegs war es, "die vorhandenen Leichte-Sprache-Regeln in Verbindung mit Erkenntnissen aus der linguistischen Komplexitätsforschung auf empirische Validität zu prüfen und evidenzbasiert weiterzuentwickeln". 

Kurz gesagt: Funktionieren die in der Theorie erarbeiteten Regeln Leichter Sprache auch in der Praxis und erfüllen sie damit den gewünschten Effekt? 

Das Graduiertenkolleg Leichter Sprache führte dazu multimodale experimentelle Studien durch, um die Regeln Leichter Sprache in der Praxis zu überprüfen. Ziel der Studien war es auch, neurobiologische Modelle Leichter Sprache erstellen zu können. Die einzelnen Studien, hier als Promotionsprojekte angelegt, verfolgten dabei ebenfalls unterschiedliche Schwerpunkte und Fragestellungen: 

So untersuchte eine der Studien unter anderem, ob komplexe Wörter durch eine optische Gliederung (wie z. B. dem Mediopunkt oder auch einem Bindestrich) in Leichter Sprache wirklich besser verständlich sind. Die ersten Studienergebnisse zeigen: Die Gliederung von komplexen Wörtern mit einem Bindestrich haben die Studienteilnehmer:innen wohlmöglich mehr verwirrt, als das Lesen vereinfacht zu haben. Ebenso wenig stand die Segmentierung komplexer Wörter durch einen Mediopunkt mit einem signifikant besseren Leseverständnis der Proband:innen in Zusammenhang.  

In einem anderen Experiment wurde wiederum untersucht, ob Sätze von Leser:innen anders verarbeitet werden, wenn insbesondere Verneinungen typographisch im Text hervorgehoben werden. Das heißt, dass Wörter wie "kein" oder "nicht" im Text fettgedruckt sind oder in Großbuchstaben auftreten. Ferner wurde untersucht, ob manche Negationsformen leichter verständlich sind als andere. 

Aber auch hier konnten keine signifikanten Zusammenhänge zwischen einer typographisch hervorgehobenen Negation und einer schnelleren Reaktionszeit oder besseren Trefferhäufigkeit der Teilnehmer:innen festgestellt werden. Ebenso wenig ließ sich eine einzelne Negationsform als leichter verständlich als andere einstufen.

Das Graduiertenkolleg Leichter Sprache in Mainz hat mit seinen hier benannten Studien somit vorerst gezeigt, dass die in der Theorie auf sprachwissenschaftlicher Basis erarbeiteten Regeln für Leichte Sprache in der Praxis nicht immer auch zu den gewünschten Ergebnissen führen. Gleichzeitig wurde damit deutlich, dass sich die Forschung zu Leichter Sprache hier noch in ihren Anfängen befindet. Man kann daher auf weitere Studienergebnisse und zukünftige Forschung gespannt sein. 

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