Roger Willemsen zu Gast beim SWR unitalk

03.12.2014
Freizeit
ml

Der deutsche Publizist und leidenschaftlich intellektuelle Roger Willemsen zeigte sich im Gespräch mit SWR Chefredakteur Fritz Frey als eloquenter Talkgast zum deutschen Parlament, Afghanistan, öffentlich-rechtlicher Unterhaltung und Heidi Klums Vater.

Wenn es eines Beweises für die öffentlich-rechtliche Unterhaltungskrise und einer Untermauerung der Kritik von Roger Willemsen an ARD & ZDF bedurft hätte, dann war der vor der Veranstaltung mit dem Publikum einstudierte Witz eine letzte Klarstellung. Auf die Frage „Hat hier jemand ....  dabei?“ sollte das Publikum (unwissend ob des Inhalts) lautstark mit „Pfui!“ antworten.

Artiges Pfui

Nach der Aufklärung, dass der Schulversager Willemsen in der Vergangenheit viel gekifft hat, lautete die Frage: Hat hier jemand Gras dabei? Und auf das artige „Pfui!“ aus dem Publikum kam das unvermeidliche „Die Studenten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.“

Doch der Unterhaltung, die Roger Willemsen mitgebracht hatte, tat das keinen Abbruch. Die rund 250 ins RW1 auf dem Campus gekommenen Gäste quotierten das Potpourri aus Anekdoten aus dem Leben des Publizisten Willemsen und seinen Feststellungen zur Lage der Republik abwechselnd mit Applaus, Gelächter und manches Mal mit nachdenklichem Zögern.

Gutes Sitzfleisch

Der in diesem Jahr als Buch erschienene Bericht zu seinem Jahr im Parlament und seinen Erkenntnissen zur Lage der Nation, die er durch das gute Sitzfleisch auf der Zuschauertribüne des Bundestags gesammelt hat, wurde von einigen im Publikum als Schelte gegenüber Politiktreibenden und der Elite verstanden. In diesem Punkt fühlte sich Roger Willemsen missverstanden. Denn die Tiefe in der er die Arbeit des Parlaments beschrieb, zeugte von Respekt, besonders auch vor den Hinterbänklerinnen und Hinterbänklern. Ihn beeindruckte in einigen Sachfragen ihre Fachkompetenz. Dennoch blieben sie einer breiten Öffentlichkeit oft verborgen. Die Plattitüden aus der Spitze der großen Koalition hätten ihn dagegen in ihrer Fülle und Redundanz genervt. Er ermutigte die Anwesenden, sich mehr mit „ihrem Parlament“ zu beschäftigen.

Afghanistan und der Westen

Wer erwartet hatte diesen Abend thematisch eng entlang bundesdeutscher Grenzen zu erleben, wurde überrascht. Der leidenschaftlich in Afghanistan engagierte Roger Willemsen übte Kritik an der pauschalen Beschäftigung des Westens mit dem Konflikt am Hindukush. Seiner Erfahrung nach sei der Diskurs vor Ort und in der arabischen Welt wesentlich differenzierter. So seien schon die ersten Aufklärungsflüge der Bundeswehr in Afghanistan als Eintritt Deutschlands in den Krieg gewertet worden. In den westlichen Medien wurde darüber nie berichtet. Dadurch verlor Deutschland seinen vorher exzellenten Ruf in der Region.

Es waren die persönlichen und individuellen Geschichten, die das Publikum interessiert zuhören ließen. Diese zeigten die Menschen und ihre Probleme hinter dem Konflikt. Willemsen mahnte mehrfach zu mehr Aufmerksamkeit für diese Menschen und den direkten Kontakt nach Afghanistan. Er war überrascht, dass bekennende Feministinnen ihm in Kabul erzählten, dass sie noch nie Kontakt zu europäischen Feministinnen gehabt hätten um sich über ihre Situation auszutauschen. Auch von skurrilen Situationen wusste er zu berichten: Auf der Toilette des Hauptquartiers der radikalen Taliban in Kabul zweifelte Willemsen, ob er noch jemals lebend aus diesem Gebäude herauskommen würde. Doch der Kämpfer, der gerade so energisch gegen die Tür geklopft hatte, hinter der er sich verschanzt hatte, reichte ihm nur Klopapier.

Attacke auf den Vater von Heidi Klum

Eine andere Radikalität beklagte Willemsen dann an der Heimatfront. Er verteidigte seine „Hassattacke auf Heidi Klum“, wie die BILD-Zeitung sein Urteil über die Organisatorin von Germanys Next Top-Model genannt hatte. Ihre Art mit 17 jährigen Models umzugehen, beraube sie ihrer Persönlichkeit und sei unverantwortlich. Gegenüber dem Vater von Heidi Klum teilte der Publizist an diesem Abend besonders hart aus. Aufgrund seiner Verträge, die er mit jungen Models schließe, „wäre es besser, wenn er aus dieser Form des Mädchenhandels entfernt wird.“

Paderborn, Dschungelcamp und Böhmermann

Viel Positives hatte Roger Willemsen auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht übrig. Gelandet seien wir bei einer Sammelkläranlage mit Unterhaltungen aus den 60gern und 70gern. „Ich kann nicht mehr eine Showtreppe herunterkommen und sagen: Ich freue mich in Paderborn zu sein.“

Für die Zukunft des Fernsehens wünscht er sich einen Ansatz, der die Menschen das ein oder andere Mal aus ihrer Komfortzone herausführt und auf die Vielfalt unserer Welt hinweist. Durchaus wohlwollend zeigte er sich gegenüber dem Dschungelcamp. Hier würden Menschen in ihren Facetten gezeigt. Für die öffentlich-rechtlichen Sender erhofft er sich mehr Mut, aber fände es in der derzeitigen Lage kühn, wenn das ZDF Jan Böhmermann vor Mitternacht im Programm auftauchen lassen würde.

Der Uni Probleme machen

Auch für die anwesenden Studierenden hatte Roger Willemsen einen Tipp: Der Uni Probleme machen und das, was wirklich interessiert, verfolgen. Dementsprechend stellte er zu seinem eigenen Lebensmotto fest: „Ich habe mich entschieden frei zu leben und vom Schreiben zu leben.“

Im kommenden Jahr feiert er seinen 60. Geburtstag, dennoch bleibt er der Intellektuelle, zu dem der jüngere Teil der Republik den größten Bezug herstellen kann.

Auf die Frage, ob Marihuana legalisiert werden sollte und er noch selbst kifft, antwortete er nach der Veranstaltung: „Legalisieren? Auf jeden Fall! Es ist schon peinlich genug, dass uns die Amerikaner in diesem Punkt etwas vormachen.“ Öffentlich wollte er jedoch nicht bestätigen, dass er kifft um nicht das gleiche Schicksal wie Xavier Naidoo zu erleiden, der nach seiner Marihuana Beichte jetzt an jedem Flughafen durchsucht wird.

Sendetermine

Sonntag, 14.12., 19:30 Uhr einsplus
Montag, 15.12., 22 Uhr tagesschau24

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