Renée Matthes macht ihren Master im Bereich der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) und könnte nächstes Jahr ihr Studium abschließen. Doch ihre berufliche Zukunft ist ungewiss. Denn nach dem Master müsste sie eine fünfjährige Weiterbildung absolvieren, um als Fachpsychotherapeutin arbeiten zu dürfen. Diese Weiterbildung ist notwendig, um später die Möglichkeit zu haben, mit gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen zu dürfen.
„Wir brauchen eine gesetzliche Regelung zur Finanzierung der Weiterbildung im ambulanten, stationären und institutionellen Bereich. Im besten Fall jetzt“, sagt Matthes mit Nachdruck. Diese sei aus zwei Punkten relevant: Zum Einen sorge die Situation für Frustration, Wut und Zukunftsängste unter Psychologie-Studierenden. Aber auch die langfristigen Folgen für die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland seien problematisch.
Für Matthes sei eine staatlich geregelte Finanzierung entscheidend: „Keine Finanzierung der Weiterbildung, keine Fachkräfte, keine Therapieangebote. Und das ist katastrophal für Patient*innen. Das können und dürfen wir uns nicht leisten!“
Prof. Dr. Michael Witthöft, Professor für klinische Psychologie, Psychotherapie und experimentelle Psychopathologie an der JGU, verweist darauf, dass ein möglicher Versorgungsengpass auf Grund fehlender Finanzierung der Weiterbildung eher langfristig zu sehen sei. Die aktuellen Engpässe würden seines Erachtens nach auf eine nicht dem Bedarf entsprechende Vergabe von Kassensitzen zurückgehen. Was bedeutet: es gibt aktuell mehr Psychotherapeut:innen, allerdings sind diese nicht für gesetzlich Krankenversicherte verfügbar.
Die Bundespsychotherapeutenkammer verweist in einer Pressemitteilung vom 12.11.2024 darauf, dass Deutschland „mit voller Wucht“ auf einen Fachkräftemangel zusteuere, wenn die Finanzierung der Weiterbildung nicht umgehend gesetzlich gesichert werde. Bereits Anfang der 2030er Jahre könne es zu Versorgungslücken kommen, wenn ein Großteil der aktuellen Psychotherapeut:innen in Rente gehe.
Durch die Reform des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG), die am 1. September 2020 in Kraft getreten ist, haben sich die Anforderungen geändert, wie man zum/zur Fachpsychotherapeut:in (ehemals: psychologische:r Psychotherapeut:in) werden kann.
Vor der Reform mussten Personen nach einem Master in Psychologie eine dreijährige Ausbildung mit anschließender Approbationsprüfung zum/zur psychologischen:r Psychotherapeut:in machen. Während der Ausbildung wurden sie für den praktischen Teil oftmals schlecht bezahlt und der theoretische Teil der Ausbildung war mit hohen Kosten verbunden.
Durch die Reform sollen Studierende nach einem approbationskonformen Bachelor- und Masterabschluss eine Approbationsprüfung ablegen. Daraufhin folgt eine fünfjährige Weiterbildung zur Fachpsychotherapeut:in. Dabei sollen die Absolvent:innen angemessen bezahlt werden und in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung arbeiten. Die Bezahlung solle sowohl praktische als auch theoretischen Inhalte abdecken. Die Finanzierung der Weiterbildung sei allerdings bisher ungeklärt.
Die Weiterbildung sei essenziell, um die Qualität der psychotherapeutischen Versorgung weiterhin sicherzustellen, so Prof. Witthöft. Auch im Hinblick darauf, dass die Befugnisse von Psychotherapeut:innen in den letzten Jahren ausgeweitet wurden – zum Beispiel im Bereich der Verschreibung bestimmter Leistungen wie Soziotherapie und Rehabilitation.
Das Konzept einer Weiterbildung statt einer Ausbildung orientiere sich unter anderem an der Weiterbildung aus dem medizinischen Bereich, bei der Personen einen Abschluss zum Facharzt:in erhielten.
Kritik gäbe es von einigen Expert:innen an den Universitäten allerdings an der Dauer der Weiterbildung. Grund dafür sei, dass bereits im vorhergegangen Bachelor- und Masterstudium viel patient:innenorientierte Lehre stattfände und die Dauer es erschwere, nach der Weiterbildung zusätzliche akademische Qualifikationen, wie etwa eine Promotion, zu absolvieren.
Matthes engagiert sich seit Jahren, um die zukünftigen Auswirkungen nicht Realität werden zu lassen: So ist sie zum Beispiel im bundesweiten Sprecher:innenteam der deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) aktiv. In den vergangenen Jahren habe sie in Mainz Demonstrationen, Informationsveranstaltungen und ein Gespräch mit einem Politiker mit organisiert, erzählt sie. Allein in Mainz hätten sie 4000 physische Unterschriften für eine Petition zusammengetragen, die bundesweit 72.000 Unterschriften erreichte und zu einer Anhörung vor dem Petitionsausschuss führte. Auf bundesweiter Ebene waren sie an Postkartenaktionen und E-Mailaktionen an Bundestagsabgeordnete beteiligt.
Zu Beginn sei das Ziel gewesen „die Bevölkerung und die Politik auf das Thema aufmerksam zu machen und Unterstützer:innen zu gewinnen". Mittlerweile gehe es mehr darum, die Politik „zum Handeln zu zwingen“. Es sei aktuell sinnvoller, in Berlin und auf bundesweiter Ebene zu unterstützen – deshalb seien in nächster Zeit keine konkreten physischen Aktionen in Mainz geplant.
„Das ist ein gutes Beispiel wie aus Hochschulpolitik auch Berufspolitik werden kann. Ohne studentisches Engagement wären wir nicht an dem Punkt, wo wir heute sind.“, findet Matthes.
In Rheinland-Pfalz gäbe es aktuell fünf Vollzeitstellen im ambulanten Bereich, die durch individuelle Förderkonzepte gefördert würden, sagt Matthes. Gefordert seien von der Bundespsychotherapeutenkammer und den Berufsverbänden allerdings deutschlandweit mindestens 1500 ambulante Stellen pro Jahr für alle deutschlandweiten Absolventen. Zusätzlich werden auch im stationären und institutionellen Bereich Stellen benötigt, da diese drei Bereiche bei der Weiterbildung durchlaufen werden.
Flächendeckend sei die Finanzierung also nicht geregelt und ohne gesetzliche Regelungen werde es bei den einzelnen Modellplätzen bleiben, sagt Matthes.
Witthöft weist darauf hin, dass es neben den Unsicherheiten bei der Finanzierung der Weiterbildung es auch im Bereich der Umsetzung der Reform in der universitären Ausbildung einige Herausforderungen gibt. Die Reform habe dazu geführt, dass „ein dysfunktionaler Leistungsdruck und ungesunder Wettbewerb unter Studierenden um die besten Noten im Bachelorstudium weiter verschärft wird, da die Anzahl der Masterstudienplätze mit Zugang zur psychotherapeutischen Approbation und Weiterbildung äußerst limitiert ist“. Zudem zwinge es die Studierenden zu einer sehr frühen Festlegung der Berufswahl.
Durch die vermehrt patienten:innenorientierte Lehre würden die psychologischen Institute zudem vor „eine personelle und konzeptuelle Zerreißprobe gestellt, da finanzielle und personelle Ressourcen einseitig in die klinischen Studiengänge verschoben werden mussten.“
Außerdem sorgten die aktuellen Unsicherheiten „für ein hohes Maß an Verunsicherung und Belastung im täglichen Studienalltag der Studierenden“.
Am 13. November 2024 gab es eine Anhörung im Bundestag zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). In diesem Rahmen wurde auch über die Finanzierung der Weiterbildung gesprochen, die durch das Gesetz geregelt werden soll. So wie das Gesetz jetzt ist, fehle eine Regelung in verschiedenen Bereichen allerdings nach wie vor komplett und die bisher enthaltenen Regelungen für andere Bereiche seien nicht ausreichend, so Matthes. Die Vorschläge der Bundespsychotherapeutenkammer zu Änderungen im Gesetz wurden bisher nicht umgesetzt.
Ihr Fazit zur aktuellen Politik: „ich würde schon sagen, die Mühlen mahlen. Aber sie mahlen sehr, sehr langsam. Und vor allem nicht schnell genug.“
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