Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland in Gefahr

16.05.2023
Campus-News, Studium
jos

Nachwuchs finanzieren – Zukunft sichern. Das ist das Motto, unter dem am 04. Mai eine Demonstration der Psychologiestudierenden zur Sicherung der psychotherapeutischen Versorgung stattfand.

 

17,9 Millionen Menschen in Deutschland sind laut der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.“ (DGPPN) aktuell von einer psychischen Störung betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Jahres an einer psychischen Störung zu erkranken, liege bei 28 %. Im Durchschnitt würden Betroffene insgesamt sechs Monate nach der ersten Kontaktaufnahme mit einem Psychotherapeuten auf einen Therapieplatz warten müssen. In den nächsten Jahren könnte sich diese Lage noch verschlimmern.

Der Aktionstag

Am 04. Mai 2023 gab es einen bundesweiten Aktionstag der Psychologiestudierenden. Auch in Mainz wurde mit einer Demonstration vor dem Staatstheater auf die Gefahr einer Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung aufmerksam gemacht. In verschiedenen Redebeiträgen wurde auf die Relevanz der Psychotherapie aufmerksam gemacht. So sagte Lukas Wagner, Mitglied der Fachschaft Psychologie der Uni Mainz „Was passiert, wenn es in Zukunft viel zu wenig Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gibt? Dann haben wir ein verdammtes Problem. Die schlechte Nachricht: Genau dieses Szenario droht gerade Realität zu werden.“

Die Petition

Pünktlich zum Aktionstag wurde eine Petition veröffentlicht, die noch bis zum 01. Juni 2023 unterschrieben werden kann. Darin fordern die Studierenden, dass gesetzliche Regelungen zur Finanzierung von Weiterbildungsplätzen getroffen werden, um die psychotherapeutische Versorgung sowie ihre berufliche Zukunft sicherzustellen. Denn, so Renée Chiara Matthes, Sprecherin der Mainzer Fachschaft Psychologie, die Finanzierung sei aktuell nicht ausreichend geregelt. Damit gefährdet „die fehlende Finanzierung grundlegend die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland.“ Damit die Petition im Petitionsausschuss des Bundestages verhandelt wird, werden mindestens 50 000 Stimmen benötigt. Die Studierenden bitten darum, dass jeder, dem psychische Gesundheit am Herzen liegt, sich eine Minute Zeit nimmt, um die Petition zu unterschreiben.

Aber warum ist die Finanzierung der Weiterbildungsstellen und die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland wichtig? Und wie ist es so weit gekommen?

Die Relevanz psychotherapeutischer Versorgung

Laut der DGPPN erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Störung. Zu den häufigsten Störungen gehörten Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch. Diese würden zu (unterschiedlich) starken Einschränkungen im sozialen sowie beruflichen und privaten Bereich führen. Dadurch könnten auch die Angehörigen und Freunde der Betroffenen negativ beeinflusst werden.
Das Gute: Psychische Störungen können behandelt werden. Dafür bedürfe es jedoch einen stetigen Nachwuchs an Psychotherapeut:innen um ein angemessenes Versorgungsangebot zu sichern. Denn Psychotherapie sei für (fast alle) psychischen Erkrankungen die Behandlung der ersten Wahl. 

Die Reform

Im August 2020 ist eine Reform des Psychotherapeutengesetzes in Kraft getreten. Diese sieht vor, dass die Psychologiestudierenden nach dem klinischen Master-Abschluss eine Approbationsprüfung absolvieren. Um dann mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu dürfen, müssen sie daraufhin eine fünfjährige Weiterbildung durchlaufen. Laut der Bundespsychotherapeutenkammer und der Psychologie-Fachschaften-Konferenz ist die Finanzierung dieser Weiterbildung zum aktuellen Zeitpunkt allerdings nicht gesichert und es stehen kaum bis gar keine Weiterbildungsplätze zur Verfügung. 

Der alte Weg

Studierende, die ihr Studium vor 2020 begonnen haben, konnten mit einem Bachelor und Master in Psychologie eine Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten mit anschließender Approbationsprüfung machen. Während dieser Ausbildung wurden sie kaum bezahlt. Nach der Reform haben die Absolvent:innen des alten Masters noch bis 2032 Zeit die Ausbildung abzuschließen.
Studierende im neuen System müssen nun einen approbationskonformen Bachelor und daraufhin den Masterstudiengang „Klinische Psychologie/Psychotherapie“ mit Approbationsprüfung abschließen und beginnen dann die fünfjährige Weiterbildung zu Fachpsychotherapeut:innen. Geplant sei, dass die Weiterbildung in hauptberuflicher Tätigkeit mit einem angemessenen Gehalt erfolgt.

Das Problem

Die Studierenden weisen darauf hin, dass solange die Finanzierung und Bereitstellung von Weiterbildungsplätzen nicht gegeben ist, auch die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland und die berufliche Zukunft der nachkommenden Psychotherapeut:innen gefährdet ist.
Denn während der Aus- bzw. Weiterbildung würden die Psychotherapeuten in Ausbildung (PiAs) beziehungsweise die zukünftigen Psychotherapeuten in Weiterbildung (PtWs) schon einen erheblichen Beitrag zur psychotherapeutischen Versorgung leisten. Fehle es nun an Weiterbildungsstellen, sei die Versorgung mittel- bis langfristig nicht mehr gesichert. Bereits seit Herbst 2022 gibt es die ersten Absolvent:innen des neuen klinischen Masters. Spätestens im Sommersemester 2025 wird der erste „reguläre“ Jahrgang die Approbation abschließen. Aufgrund der ungeklärten Finanzierungslage der Weiterbildungsplätze blicken viele Psychologiestudierende aktuell in eine ungeklärte Zukunft.

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