Psycho Slam: Eine Mischung aus Reinhard Mey und Hip Hop

27.09.2015
Freizeit
sb

Was haben Straßenbahnfahrer mit gestressten Ehepartnern und Bonsaibäumen zu tun? Fünf Forscherinnen und Forscher erklärten das und mehr beim Psycho Slam.

Wissenschaftliche Vorträge an Universitäten haben nicht unbedingt den Ruf, besonders unterhaltsam zu sein. Science Slams sollen das ändern, indem Wissenschaft auf humorvolle Art verständlich gemacht wird. Ähnlich wie bei Poetry Slams haben die Vortragenden einen begrenzten Zeitraum, um dem Publikum das eigene Forschungsthema näher zu bringen.

Beim Psycho Slam auf der 9. Fachgruppentagung Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie am Donnerstag ging es, wie der Name schon vermuten lässt, um Psychologie. Fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Marburg bis Braunschweig hatten jeweils 10 Minuten Zeit, das Publikum im RW 1 auf dem Campus mit ihren Erkenntnissen zu begeistern.

Du rastest aus, weil dein Mitbewohner nicht abspült? Die Arbeit ist schuld!

Dana Unger beschäftigt sich am liebsten mit der berüchtigten Work-Life-Balance, oder eher mit dem Teil, der weniger ausgeglichen ist. Sie hat sich gefragt, welche Faktoren im Arbeitsleben dafür sorgen, dass man nach Feierabend schneller aus der Haut fährt und kam zu dem Schluss, dass Willenskraft wie ein Muskel funktioniert – je mehr auf der Arbeit schief geht, desto genervter ist man abends vom Partner. Die Arbeitsbelastung an sich ist jedoch nicht das, was die Nerven belastet. Es sind die "arbeitsorganisatorischen Probleme", also Dinge wie stockende PCs, abbrechende Internetverbindungen oder kaputte Kopierer. Die gute Nachricht? Wenn du abends reizbarer bist und es an Freund/Freundin/Mitbewohnern auslässt, kannst du eigentlich gar nichts dafür. Die Arbeit ist ja schuld.

zum Video: Dana Unger - Work-Life-Balance

"Was will man machen, man kann ja nicht ausweichen"

Solche Situationen gehören für Florian Henze, der in Halle wissenschaftlicher Mitarbeiter ist, dazu. Denn neben seiner Beschäftigung an der Uni versucht sich Florian als Straßenbahnfahrer. Zu dem eher ungewöhnlichen Nebenjob hat ihn sein Forschungsprojekt inspiriert, welches sich den arbeitstechnischen Belastungen von Straßenbahnfahrern widmet. Natürlich helfen die eigenen praktischen Erfahrungen bei der akademischen Arbeit: "Sei acht Stunden aufmerksam zu 100 Prozent, aber bei einer Tätigkeit, die dich in absolute Monotonie versetzt." Man werde als Straßenbahnfahrer 45 Minuten am Stück in eine kleine Kabine eingeschlossen, die Isolation sei hart. "Bei meiner ersten Fahrt alleine habe ich nach vier Stunden Geräusche gemacht.", beschreibt Florian und erzählt weiterhin, wie er einmal fast eine Studentin überfuhr, die tags darauf bei ihm in der Sprechstunde saß.

zum Video: Florian Henze - Monotonie beim Straßenbahnfahren

Feierabendbier als Debriefing

Ein weiteres handfestes Thema präsentiert Timo Kortsch alias Theobald von Krotsch: Was die Psychologie vom Handwerk lernen kann. Stichwort: "Arbeitsintegrierte Kompetenzentwicklung", also wie man während der Arbeit bzw. durchs Arbeiten lernt. Da sei das Handwerk für Timo ein gutes Beispiel, denn die lernen weniger durch digitale oder analoge Quellen, sondern mehr von anderen Kollegen oder sich selbst. Wie man Handwerker dazu bekommt, 18-seitige Fragebogen auszufüllen? Mit Gummibärchen und einer angemessenen Sprache. Handwerker "debriefen" schließlich nicht, die genießen ihr Feierabendbier. Was, wie eine Zuschauerin bemerkt, keine richtige Studie sei, da Timo den Menschen stereotype Aussagen in den Mund lege. Da niemand Timos Fragebogen während des Slams zu Gesicht bekam, wird die Frage offen bleiben, wie sich Handwerkersprache eigentlich anhört.

zum Video: Timo Kortsch - Sprache des Handwerks

"Ich beschäftige mich leidenschaftlich gerne mit Verkehr"

In Merseburg kann man Angewandte Sexualwissenschaften studieren. Zwar beschäftigt sich Juliane Brachwitz auch gerne mit Verkehr, allerdings arbeitet sie in Jena und erforscht den rollenden Verkehr auf der Straße. Wie wirken sich Systeme, die Autofahren sicherer bzw. einfacher machen sollen, aufs Fahrverhalten aus? Leider nicht nur positiv: "Wir zeigen kein aufmerksames Verhalten mehr", erklärt die Diplompsychologin. Schuld ist die sogenannte Risikokompensation: Für jedes Risiko, was von einem solchen System reduziert wird, fügt der Mensch ein anderes hinzu. Fahren wir mit Navi, achten wir nicht richtig auf den Weg. Frühwarnsysteme verführen zu waghalsigerem Verhalten und Einparkhilfen können noch schlechtere Parkfähigkeiten hervorrufen.

zum Video: Juliane Brachwitz - Risiko bei Verkehrsfrühwarnsystemen

"Mein Medium ist die Gitarre"

Sebastian Jakobi ist nicht nur Diplompsychologe, sondern auch Poetry Slammer, Kletterfan und Liedermacher. Seine Erklärungen zu Change Management verpackt er deshalb ganz einfach in ein Lied, statt eine aufwendige Bildschirmpräsentation zu erstellen. Das Ergebnis ist laut ihm eine Mischung aus "Reinhard Mey und Hip Hop", garniert mit der Metapher vom Bonsaibaum als Symbol für Change Management. Will man, dass ein Bonsai kurvig wächst, schneidet man in die Rinde und bringt einen Draht in der gewünschten Wuchsrichtung an.* Für ihn sei das Change Management: "Man verlangt dem lebenden Wesen eine Veränderung ab und managt das." Es geht also um Veränderungen, die Lebewesen betreffen bzw. in Unternehmen die Mitarbeiter. Aus diesem Grund ist Change Management von Unternehmen für Sebastian auch ein psychologisches und nicht nur ein wirtschaftliches Thema.

zum Video: Sebastian Jakobi - Der Bonsai im Change Management

Testnote: Gut

Wer glaubt, dass man im RW 1 keinen guten Abend haben kann, den hat der Psycho Slam eines besseren belehrt. Witzig, interessant, abwechslungsreich und mit einigen Aha-Momenten zeigte diese Veranstaltung, dass Forschung mehr sein kann als Vorlesungen und Hausarbeiten. Die Vortragenden hatten Spaß bei der Sache, wovon sich so mancher Professor wohl eine Scheibe abschneiden kann. Wer jetzt Lust bekommen hat, sich selbst mal einen Science oder Poetry Slam anzusehen, der wird in unserer Linksammlung sicher fündig.

 

*Nachtrag vom 25.10.2015: Jakobi spricht in seinem Beitrag vom Change Prozess. Man will, dass ein Bonsai kurvig wächst, biegt man einen Ast mit Draht in die gewünschte Wuchsrichtung. Der Kern der Bonsai-Metapher.

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