Prüfungen abschaffen: Was spricht dafür, was dagegen?

03.02.2021
Studium
ms, lr

Spätestens in der Klausurenphase klingt eine Idee mehr als verlockend: Prüfungen an der Uni sollten abgeschafft werden. Doch ist das umsetzbar – und überhaupt sinnvoll?

Der Januar dürfte ein heikler Moment sein, um zu diskutieren, ob Prüfungen an der Universität abgeschafft oder beibehalten werden sollten. Aber doch, es gibt tatsächlich Argumente, die dafür sprechen, Prüfungen auch in bekannter Form beizubehalten. Wir haben Argumente für und gegen die Abschaffung von Prüfungen an der Universität zusammengestellt.

Pro: Die Basics müssen sitzen

Laura: Prüfungen machen keinen Spaß. Das würde sicher jeder Studierende an jeder beliebigen Universität so unterschreiben. Trotzdem bin ich für sie und sehe das nicht als Widerspruch. Denn was in Prüfungen abgefragt wird, sind die Grundlagen. Und bevor man sich an kleinere oder auch größere Projekte heranwagt, müssen eben diese Basics bei jedem sitzen.

Die Klausuren zu Beginn des Studiums – und damit meine ich die, die mich dazu gebracht haben, einige Stücke Schokolade mehr zu atmen, als meine Neujahrsvorsätze für den Januar üblicherweise vorsehen – haben mich gewissermaßen das kleine Einmaleins meines Studiums gelehrt. Zwar waren sie anstrengend, doch ich sehe sie als die fairste und objektivste Form an, sicherzustellen, dass alle Studierenden mit einem Grundwissen ausgestattet sind und mit den gleichen Voraussetzungen in spannendere Veranstaltungen starten können.

Contra: Für die Basics braucht es keine praxisferne Klausur

Madeleine: Was wäre, wenn dieses sich jedes Semester wiederholende Auswendiglernen kurz vor der Klausur durch langfristiges Lernen ersetzt werden könnte? Genau dies wird und kann durch Hausarbeiten oder ähnliche Formate wie etwa Lerntagebücher umgesetzt werden. Während einer Hausarbeit wird sich intensiver mit einer Thematik auseinandergesetzt. An den Inhalt der Statistikklausur oder einer anderen Klausur können sich viele vermutlich kaum erinnern - aber an den der Bachelorarbeit wahrscheinlich schon.

Die ersten Klausuren in meinem Studium der Geographie behandelten Klimatologie, Geomorphologie und Humangeographie. Eine wilde Mischung aus sehr unterschiedlichen Fachgebieten innerhalb der Geographie. Nach diesen Klausuren hat sich meine Abneigung gegenüber Klimatologie und Geomorphologie ausgebildet. Einerseits ist dies positiv zu sehen, da ich nun weiß, dass ich in die Humangeographie gehöre. Aber werden Klausuren wirklich den Fachgebieten gerecht?

Ich finde, dass auch diese Themen durch Projekte oder Hausarbeiten interessanter für Studierende gestaltet werden können. In einem Projektstudium, wie das in der Geographie auch möglich ist, werden theoretische Grundlagen und praktische Kenntnisse, aber auch empirische Arbeitsmethoden in Gruppen erlernt und angewendet. Und von diesem Gedanken, dass selbst trockenere Themen spannender gemacht werden könnten, möchte ich mich noch nicht verabschieden.

Pro: Prüfungssituationen bereiten auf die Arbeitswelt vor

Laura: Insbesondere Klausuren sind nichts als eine Momentaufnahme. Umso schlimmer, dass es nicht unbedingt die Art von Schnappschüssen sind, die man für seinen Instagram-Feed wählen würde. Jedoch hinterhältig, lauernd auf den kleinsten Fehler? Solche Aufgabenstellungen gibt es, meiner Erfahrung nach waren das bisher aber meist nur meine Verdächtigungen, wenn ich einmal auf dem Schlauch stand.

Sehr allein in der Welt habe ich mich zunächst in der halben Stunde vor meinen drei mündlichen Prüfungen im Bachelorstudium gefühlt. Nur ich vor zwei Personen sitzend, die mich bewerten? Kein gutes Gefühl. Prüfungssituationen an der Universität lassen einen aber langfristig lernen, mit Nervosität umzugehen - oder auch, sie sich nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

Vergleichen kann man eine Prüfung dann vielleicht mit dem Familienfoto an Weihnachten: Man weiß lange vorher, dass es kommt und man kann sich ziemlich gut darauf vorbereiten. Und, wenn man wirklich die Augen geschlossen hat oder allzu unvorteilhaft steht, dann muss im Zweifelsfall ein neues her. Der geschützte Rahmen mit der Möglichkeit, eine Prüfung zu wiederholen, ist dabei sogar noch deutlich freundlicher als manche Situationen im späteren Berufsleben.

Merkwürdig vertraut war mir das ungute Gefühl dann auf den letzten Metern vor den Bürotüren, an die ich bisher für Vorstellungsgespräche anzuklopfen hatte. Ähnlich wie bei der mündlichen Prüfung gilt es auch hier, die Schultern zu straffen, das Teufelchen von der Schulter zu fegen und sich bloß nicht um Kopf und Kragen zu reden.

Contra: "Note: schlecht, aber nicht schlecht genug."

Madeleine: Natürlich kann man Klausuren wiederholen, aber nur wenn man kläglich versagt hat. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Wer mehr als vier Punkte hat, kann die Klausur nicht noch einmal ablegen. Wer also fünf Punkte hatte, hat bestanden, was nicht wirklich für jeden zufriedenstellend ist.

Vielleicht hat mir der Klausurendruck geholfen, mich gut auf Vorstellungsgespräche vorbereiten zu können, aber dies bezweifle ich. Diese Handvoll Klausuren, die ich geschrieben habe, haben eher mein Selbstwertgefühl gedrückt. Nicht die besten Noten, sondern nur durchgekommen. Erst bei Hausarbeiten lernte ich, dass mir Schreiben Spaß macht, was dann auch meinem Sebstwertgefühl zugute kam.

Ein anderes System habe ich während meines Auslandssemester 2018 in Finnland erfahren: Denn dort konnte man eine Klausur ebenfalls wiederholen, auch wenn man mit einer Note nicht zufrieden war. Das nahm ich zweimal in Anspruch und verbesserte mich in einer Klausur von einer Vier auf eine Zwei. Zugegeben: In der Hausarbeit hat das nichts gebracht, die war danach fast genauso schlecht wie zuvor. Aber das gehört wohl dazu. Jedenfalls hat man die Chance, sich zu verbessern, ohne vorab durchfallen zu müssen. Warum wird es uns hier in Deutschland nicht gegönnt, aus Eigeninitiative heraus unsere Noten verbessern zu können? Ist das denn zu viel Arbeitsaufwand für den Massenabfertigungsbetrieb Universität? 

Pro: Dankbar für Deadlines

Laura: Hand aufs Herz: Wer kann ohne Deadline arbeiten? Es soll diese Menschen geben, aber es soll auch den einen oder anderen geben, der erst unter Druck zu Höchstleistungen aufläuft. Natürlich ist das nichts für das ganze Jahr, aber Prüfungsphasen beschränken sich normalerweise auch auf zwei Spießrutenläufe jährlich. Dabei ist das eigentlich nicht der richtige Begriff. Denn wer den Stress gering halten will, fängt frühzeitig an zu lernen. So spießig das klingt, stimmt es doch.

Für Vorlesungen, die freiwillig waren, habe ich allerdings nach der ersten Woche eigentlich nichts mehr gemacht. Während ich sie in der ersten Semesterwoche noch aus voller Überzeugung besuchte, fielen sie schon in der zweiten Woche einem längeren Mittagessen zum Opfer. Eine Studienleistung, eine Klausur ohne Note oder nur ein Reflexionsbogen - so ein kleiner Hinweis, dass es etwas zu tun gibt, hilft mir, meinen Stundenplan zu strukturieren und Vorlesungen auch tatsächlich zu hören. 

Contra: Wir müssen nicht immer nur Leistung erbringen.

Madeleine: Durch unsere heutige Leistungsgesellschaft sind wir auf Erfolg getrimmt. Alles muss sofort klappen. Und wenn nicht, sind wir der Herausforderung nicht gewachsen oder sehen uns als minderwertig an. In den letzten Jahren häuften sich Burnout-Fälle. Dies ist ein Warnruf an uns alle.

Denn auch in den Universitäten stellen Studierende nur noch Matrikelnummern innerhalb dieses großen universitären Betriebes dar. Doch dabei geht das Individuelle und Persönliche verloren. Viele Studierende erzielen unter Druck schlechtere Ergebnisse als andere. Wäre denn dann eine andere Prüfungsform, die nicht nur eine Momentaufnahme ist, nicht leistungsfördernder? 

Fazit: Prüfungen ja oder nein – Veränderungen sind möglich

Brauchen wir also einen kompletten Bruch mit dem uns bekannten Prüfungssystem? Einen, der es ermöglicht, ausschließlich frei und kreativ zu lernen? Prüfungen und Klausuren haben Vor- und Nachteile, insofern lässt sich die Frage nicht pauschal beantworten.

Veränderungen benötigen viel Zeit, doch wir sind uns einig: Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass sich Dinge schnell ändern können und nichts feststeht. Auch wenn Grundlagen gelernt werden müssen, sollte immer der Mensch im Mittelpunkt stehen. Wir sind mehr als eine Matrikelnummer.

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