Der Vortrag "Ohne Gysi nicht so easy – Erfindet sich Die Linke neu?" fand im Rahmen einer Ringvorlesung der Fachschaft Politikwissenschaft anlässlich der diesjährigen Bundestagswahlen statt. Vor einem überfüllten Saal und interessierten Zuhörenden aller Altersklassen, stellte eine Vertreterin der Fachschaft Politikwissenschaften Herrn Bartsch zunächst vor: 1958 in Stralsund geboren studierte er in Berlin Politische Ökonomie und engagiert sich seit vielen Jahren in der Partei Die Linke. Seit 2015 ist er neben Sahra Wagenknecht Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag.
Der Vortrag widmete sich zwei zentralen Fragen, auf die Bartsch während seines Vortrags immer wieder zurückkam: Er sprach darüber, ob Gregor Gysi, inzwischen Vorsitzender der Europäischen Linkspartei, die Partei definiert habe, und ob deren Programmatik nun nach dem Weggang des Politikers einen höheren Stellenwert in der Öffentlichkeit bekommen wird.
Bartsch, der Gysi praktisch seit Parteigründung begleitete, betonte zunächst, dass Gysi vor allem für die Menschen in Westdeutschland eine Identifikationsperson mit der Linkspartei darstelle. 1989 wurde er Vorsitzender der SED und habe ab dann maßgeblich ihre Umwandlung aus einer stalinistischen Partei in die demokratische PDS begleitet. Als Anwalt in der Öffentlichkeitsarbeit versiert und ein erfahrener Redner, sei er schnell zum Aushängeschild und Hoffnungsträger der Partei geworden. Viele andere Politikerinnen und Politiker seien ebenso stark am Aufstieg der Partei beteiligt gewesen, "Eine solche Partei baut man nicht alleine auf", so Bartsch. Sie seien in der Öffentlichkeit jedoch weniger sichtbar gewesen als Gysi.
Anders als die anderen Parteien, die versuchten sich vom Westen aus im Osten zu etablieren, musste die Linkspartei den umgekehrten Weg gehen, erklärte Bartsch. Sie sei deshalb im Westen immer irgendwie Ostpartei mit geringer kommunaler Verankerung geblieben. Deshalb sei es zwar noch immer schwierig, in Wahlen im ehemaligen Westen Unterstützung zu finden; dennoch sei es der Linkspartei mithilfe von Gysi und seit 2005 auch Oskar Lafontaine, heute Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Saarland, gelungen, eine parlamentarische Verankerung im Bundestag zu finden.
Letztendlich sei sogar der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am Erfolg der Linkspartei beteiligt gewesen, denn viele enttäuschte SPD-Wähler seien zur Linkspartei übergelaufen und hätten dieser so einen großen Mitgliederzuwachs verschaffen. Zwar sei Die Linke als Opposition erfolgreich gewesen, doch konnte bis dahin wenig programmatische Klärung geschehen, so Bartsch.
Dies sei nachgeholt worden. Der starke Rechtsruck in Europa zwinge die Linken in die Defensive und werde ein wichtiges Thema im Wahlkampf werden. Als Beispiele nannte Bartsch die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Griechenland und die nicht bewältigte Finanzkrise. "Da wächst eine ganze Generation ohne Hoffnung auf, und das führt zu einem Rechtsruck", analysierte Bartsch. Das Abwenden von der jetzigen Austeritätspolitik stelle deshalb einen zentralen Punkt in der Politik der Linkspartei dar.
Das zweite wichtige Thema sei die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland, welche sich Bartsch zufolge in einer deutlichen Schieflage befinde. Während 1,2 Millionen Vermögensmillionäre in Deutschland ihren Erstwohnsitz hätten, seien 2 Millionen Kinder von Armut bedroht. Diese Schieflage sei eine große Gefahr für Deutschland, denn so kämpften letztendlich "die Schwachen gegen die Schwächsten", das erkenne man schon an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
"Das soll die Politik lösen, und das kann sie auch", so Bartsch. Dazu will die Linkspartei das Steuersystem erneuern und gibt sich, so Bartsch wörtlich, kämpferisch gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Es müssen Dinge verändert werden, deshalb kämpfen wir als Linke dafür, dass Merkel nicht Kanzlerin bleibt. Wenn die Austeritätspolitik von Merkel und Schäuble so fortgeführt wird, ist das jetzige Europa stark gefährdet."
Bartsch trete deshalb mit seiner Partei für ein Mitte-Links-Bündnis ein. Dazu müsse jedoch der linke Flügel gestärkt und das Verhältnis zur SPD überdacht werden. Die Forderungen der Linkspartei für ein Bündnis seien eine Steuerreform und eine Senkung der Sozialabgaben bei gleichzeitiger Beitragserhebung für alle, eine Rentenreform zur Verhinderung der Altersarmut und eine Veränderung der Außenpolitik.
Dazu gehören für den Fraktionsvorsitzenden sowohl die Einschränkung von Waffenexporten als auch das Stoppen von Auslandseinsätzen, die seiner Überzeugung nach nur dazu führten, dass Länder zerfallen: "Letztendlich soll Politik Ausgleich und Ruhe schaffen. Die Auslandseinsätze haben nicht für Frieden gesorgt, deshalb ist diese Politik falsch. Es muss mehr Entwicklungshilfe, mehr Hilfe zur Selbsthilfe geben."
Nach langem Applaus nahm sich Bartsch Zeit für einen ausführlichen Diskussionsteil. Den Bedenken eines Hörers, dass durch die Politik der Linkspartei Unternehmen abwandern und die Produkte teurer würden, trat der Fraktionsvorsitzende gelassen entgegen. Die Verwertungsbedingungen in Deutschland seien ideal, viele Firmen kämen wegen der guten Infrastruktur und den Fachkräften nach Deutschland. "Aldi wird bestimmt nicht all seine Filialen unter den Arm packen und auswandern", so Bartsch.
Ein weiterer Student wollte wissen, warum die Politik der Linken es nicht schaffe, die Mehrheit der Bürger anzusprechen, obwohl sie sich so nah am Volk orientiere. In seiner Antwort verwies Bartsch auf die Vergangenheit der Partei und das fortwährend existierende Misstrauen. Die Doppelspitze Bartsch und Wagenknecht sei ein Versuch der Linkspartei, eine breitere Bevölkerungsschicht anzusprechen.
Auf die Frage, ob Die Linke sich nicht durch eine Regierungsbeteiligung selbst ihre Legitimation entziehe, entgegnete Bartsch: "Wir streben eine Regierungsverantwortung an. Wenn alles umgesetzt wird, was wir wollen, brauchen wir Die Linke nicht mehr. Es ist der Sinn von Politik, die Gesellschaft zu prägen und zu verbessern und nicht, eine Partei stark zu machen. Die ist dabei nur Mittel zum Zweck."
Bartsch nutzte den thematischen Rahmen der Ringvorlesung für eine Wahlkampfveranstaltung und stieß damit auf viel Zustimmung. Eine Studentin resümierte: "Mit seinen Themen hat er mich einfach abgeholt und mit seiner politischen Haltung und seinen Aussagen kann ich mich sehr identifizieren. Er ist auch einfach ein sympathischer Mensch und kann gut reden."
Ein anderer Student hätte sich jedoch noch mehr Diskussionsmöglichkeiten gewünscht. Doch auch nachdem der Oppositionsführer im Bundestag direkt im Anschluss an den Vortrag verschwand, fanden sich dazu genügend willige Gesprächspartner in Gruppen vor dem Raum und auf den Treppen des Philosophicums wieder und diskutierten die Inhalte des Vortrags und Bartschs abschließende Worte: "Ohne Gysi ist es zwar nicht so easy, aber es geht auch. Es wird nicht leicht, aber es gibt Chancen. Ich werde bis zum Ende für einen Politikwechsel kämpfen, und vielleicht macht der ein oder andere von Ihnen mit."
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