Offener Brief aus Lehre und Forschung: "Ein Semester kann warten"

28.03.2020
Studium
lbl, eb

Auch Hochschulen sind von den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie betroffen. Wie ist so das kommende Semester zu gestalten? In einem offenen Brief plädieren Lehrende, Forschende und Studierende für ein Nicht-Semester.

Initiiert wurde der offene Brief von Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky (LMU München), Prof. Dr. Andrea Geier (Universität Trier) und Prof. Dr. Ruth Mayer (Leibniz Universität Hannover). Addressaten sind Universitäten, Hochschulen, Akademien und Ministerien in ganz Deutschland.  

Seitdem der Brief auf der Webseite nichtsemester.de veröffentlicht wurde, kamen zu den 1380 Erstunterzeichner:innen aus der Wissenschaft bereits über 4600 weitere Unterstützer:innen hinzu. Unter den ersten Unterschriften befinden sich auch 32 von Wissenschaftler:innen der JGU Mainz. 

Schutz derer, die die schlechtesten Voraussetzungen haben

In dem Brief sprechen sich die Initiator:innen für die Belange ohnehin Benachteiligter aus: Wegen der Einschränkungen im öffentlichen Leben zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie hätten viele Studierende ihre Jobs bereits verloren, auf die sie oftmals angewiesen seien, um sich ihren Lebensunterhalt neben dem Studium zu verdienen. Alternativen müssten kurzfristig organisiert werden und seien häufig schlecht bezahlt. Ebenfalls dazu zählten Studierende mit Sorgfaltspflichten für Kinder oder Familienangehörige und Studierende mit Visums- und Aufenthaltsauflagen.

Dazu kämen befristet Beschäftigte an den Hochschulen: Mindestens 85 Prozent der Lehrenden und Forschenden befänden sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen. "Nur wenn das Semester nicht (regulär) zählt, ist gesichert, dass denjenigen, die die schlechtesten Voraussetzungen haben oder im Verlauf des Sommers neuen Belastungen ausgesetzt sein werden, keine Nachteile entstehen", heißt es in dem Brief.

Was bedeutet "Nicht-Semester"?

Hinter dem Vorschlag des Nicht-Semesters steckt jedoch nicht die Idee, das kommende Semester komplett zu streichen. Die Verfasser:innen erklären: Es solle für Studierende im Sommersemester 2020 die Möglichkeit geben, Leistungspunkte zu erwerben, Prüfungen zu absolvieren und Abschlussarbeiten zu schreiben. Es dürften jedoch keine Nachteile für diejenigen entstehen, die es aufgrund der erhöhten Belastung durch die Corona-Präventionsmaßnahmen nicht schaffen, Studienleistungen zu erbringen. 

Zu diesem Zweck solle eine generelle Fristverlängerung bis zum Ende des Sommersemesters gewährt werden. So werde den Studierenden ermöglicht, Prüfungsleistungen und Arbeiten fertigzustellen, die aufgrund der Universitätsschließungen im Wintersemester 2019/20 nicht fertiggestellt werden konnten. Daher sollen für das Sommersemester auch keine Semestergebühren anfallen, so die Verfasser:innen. 

Außerdem sollen internationale Studierende, die von Einreisebeschränkungen betroffen sind, keine Anträge auf Urlaubssemester stellen müssen und die BAföG-Regelungen müssten angepasst werden (campus-mainz.net berichtete). 

Des Weiteren bedeute die aktuelle Lage auch große Veränderungen für Lehrende, gerade solche mit Sorgfaltspflichten und befristet Beschäftigte. Die Initiator:innen fordern, befristet beschäftigten Mitarbeiter:innen eine Vertragsverlängerung um mindestens ein Semester anzubieten und Lehraufträge aufrechtzuerhalten. Lehrenden, die streng nach Semesterwochenstunden in der Lehre bezahlt würden, müsse Zeit zur Entwicklung alternativer Lehrkonzepte eingeräumt werden.

Herausforderungen für die Lehre

Weiteres Argument für ein Nicht-Semester ist laut Initiator:innen die technische Infrastruktur an den Universitäten: "Weder Lehrende noch Studierende sind in den meisten Fälle mit den Methoden und Tools des E-Learning hinreichend vertraut", heißt es in dem offenen Brief. 

Die Anforderungen an alternative Lehrkonzepte seien zudem individuell fach- bzw. themenabhängig. Bei der Entwicklung angepasster Lehrformate könne es nicht darum gehen, "so schnell wie möglich den Status quo des herkömmlichen Lehr- und Prüfungssystems online wiederherzustellen". Daher fordern die Initiator:innen eine Entlastung aller Studiengänge.

Die Entwicklung alternativer Lehrkonzepte erfordere zudem mehr Zeit als die aktuelle Verschiebung des Vorlesungsbeginns auf Ende April. Die Initiator:innen geben zu bedenken, dass auch Angestellte in der EDV durch Einschränkungen im öffentlichen Leben und die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten aktuell privat mehr Zeit für Kinderbetreuung und Pflege aufwenden müssen. Die Schließung von Universitäten und Bibliotheken machten außerdem Ressourcen für Lehrende und Studierende unzugänglich, die für elektronische Lehre erforderlich sind. Dazu gehörten Computerpools, Laptopausleihe, die Räumlichkeiten der Universitäten und Bibliotheken und der Internetzugang auf dem Campus.

Aus diesen Gründen könne das Sommersemester 2020 nicht regulär stattfinden. "Die solidarische Bewältigung der COVID-19-Pandemie hat oberste Priorität. Ein Semester kann warten", so die Verfasser:innen des offenen Briefs.

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