Wenn ein neuer Studiengang entstehen soll, fließen in diesen langen Prozess viele Überlegungen. Zu dieser Thematik haben wir mit Univ.-Prof. Dr. Holger Tost gesprochen. Er ist stellvertretender Leiter des Instituts für Physik der Atmosphäre und war maßgeblich an der Konzeption des neuen Studiengangs beteiligt.
Der Bachelor-Studiengang “Umweltwissenschaften mit Schwerpunkt Atmosphäre und Klima“ siedelt sich im Fachbereich 08 Physik, Mathematik und Informatik an. Hier gehört er zum Institut für Physik der Atmosphäre. Zudem müssen Veranstaltungen aus einem der Wahlbereiche belegt werden: Audiovisuelles Publizieren, Geographie oder Geowissenschaften. Somit ist das Studium fachlich breit angelegt und bietet eine interdisziplinäre Ausbildung in den angewandten Naturwissenschaften.
Tost berichtet, dass der Bachelor-Studiengang Meteorologie wohl mit einer sehr hohen Abbrecherquote kämpfe - von 50 Prozent und mehr. Er erklärt dies damit, dass Leute zum Teil mit falschen Vorstellungen ihr Studium beginnen würden, obwohl sie an den Fragestellungen rund um Wetter und Klima interessiert seien.
Um diese Probleme anzugehen, habe man sich vor fünf Jahren zu einem ganztägigen “Retreat“ mit Studierenden und Dozierenden zusammengesetzt. An diesem Tag entstand bereits die Idee, einen neuen, alternativen Studienangebot zu generieren, welches die Fragestellungen Klima und Atmosphäre behandelt: “Aber vielleicht ohne den Hauptabbrechungsgrund, [...] nämlich sehr viel Mathe, theoretische Physik, viele theoretische Konzepte“, so Tost. Denn in der Meteorologie beschäftige man sich drei Semester lang viel mit Mathematik und Physik und die eigentliche Meteorologie sei nur ein “winzig kleiner Teil“ des Studiums.
So führt er aus: “Das ist auf der einen Seite nicht unbedingt das, was die Leute gerne hätten oder erwarten und auf der anderen Seite ist es eben auch durchaus eine Hürde für Leute, die [...] sich an den Fragestellungen begeistern, aber nicht mathematisch so versiert sind“.
Der neue Studiengang solle eben nicht durch einen hohen Mathematik-Anteil abschrecken. Man hätte nicht ganz ohne Mathematik auskommen wollen, sodass “ein bisschen mathematische, physikalische und auch chemische Grundlagen [...] dann jetzt auch in den Studiengang eingeflossen“ seien. Da es aber keine “billige Kopie“ werden sollte, hätte es “spannende Inhalte“ gebraucht, welche “im normalen Meteorologie-Studium [...] nicht drin sind.“ Der neue Bachelor sei nun für diejenigen, die sagen: “Mathematik ist nicht ganz so mein Ding, aber ich möchte trotzdem sowas machen“.
Obwohl man sich seit dem “Retreat“ Gedanken zum neuen Studiengang gemacht habe, sei die intensive Arbeit daran erst in den letzten zwei Jahren begonnen worden. Hierbei seien Studienpläne, Module und Veranstaltungen konzipiert und die Ideen von Studierenden beachtet worden. Ebenso seien Kooperationsvereinbarungen mit anderen Fächern getroffen, sowie ein Langfristkonzept mit passendem Personal aufgestellt worden.
Tost sei mit dem konzipierten Studiengang “bisher [...] sehr zufrieden“. Da es sich aber um den ersten Jahrgang handele, “wird sich vieles da einfach noch zeigen müssen.“ So wurden noch nicht alle Veranstaltungen durchgeführt, weshalb man “vielleicht auch noch bei Inhalten nachjustieren muss“.
Es sei ein enger Kontakt zu den Fächern, die für eine Kooperation in Frage kamen, entstanden: Hauptsächlich mit Geographie und Geowissenschaften, aber auch mit Physik und Chemie. Zudem sei der Bereich Audiovisuelles Publizieren (AVP) auf den Studienmanager zugekommen und hätte angestoßen, “was Gemeinsames [zu] machen“. Nun ist AVP Wahlbereich im neuen Studiengang für diejenigen, die sich in Richtung Wissenschaftskommunikation oder Wissenschaftsjournalismus bewegen wollen.
“Den Klimaschwerpunkt an einer Universität in den Umweltwissenschaften gibt es gar nicht“, erklärt Tost. Es gebe zwei oder drei Standorte, die das Thema Klima behandeln würden, aber “den Schwerpunkt Atmosphäre und Klima eigentlich so gut wie gar nicht“. Stattdessen würde hier der Fokus auf Biologie oder Ökologie liegen.
In der Nähe von Mainz sei die Technische Hochschule in Bingen “durchaus eine Alternative, [welche] natürlich auch noch praxisnäher“ sei. Allerdings ist dies keine Universität. Außerdem handele es sich in Mainz aktuell noch um einen kleinen Studiengang, der auch die Möglichkeit biete, die Studierenden “dicht an unsere Forschung direkt heranzubringen“. Die Studis sollen nämlich in Arbeitsgruppen am Institut integriert werden und dort Fragestellungen behandeln, die die aktuellen Forschungsthematiken abbilden, um direkt “praxisnah“ zu arbeiten.
Für den Umweltwissenschaften-Bachelor sei eine maximale Kapazität von 45 Studierenden angesetzt worden. Zum Wintersemester 2023/24 habe es circa 28 Einschreibungen gegeben. Obwohl die Werbung für diesen Studiengang “nicht extrem umfangreich“ gewesen sei, sehe man an diesen Zahlen trotzdem schon deutlich, dass „wirklich [...] eine Zielgruppe angesprochen“ wurde, merkt Tost erfreut an. Die Bewerber:innen hätten noch nicht auf die Erfahrungswerte letzter Jahrgänge bauen können, weshalb er froh sei, dass die Studierenden sich „auf dieses Experiment mit uns eingelassen“ hätten.
Um direkt an den Bachelorabschluss anschließen zu können, sei aktuell ein englischsprachiger Master “Earth System Sciences“ in Planung. Dieser Studiengang solle eng mit dem Institut für Geowissenschaften entstehen und eine Fortsetzung des Bachelors und dessen Inhalten sein, erklärt Tost im Gespräch. Der Master stehe dann den Absolvent:innen des Bachelors in Umweltwissenschaften sowie des Bachelors in Geowissenschaften offen.
Ein großer Vorteil dieses Masterangebots sei dabei, dass die Absolvent:innen in Mainz bleiben und nicht für den Master die Universität wechseln müssten. “Eigentlich ist es unser Ziel, sie bei uns zu behalten“, sagt Tost. Deshalb solle dieses Masterangebot auch in zweieinhalb Jahren verfügbar sein, “dass, wenn unsere ersten Absolventen fertig sind [...], die Leute fließend dahin überwechseln können.“
Bei der Konzeption sei man davon ausgegangen, dass die Hauptzielgruppe nicht zwingend den Einstieg in die Forschung sucht, auch wenn dies möglich sein werde, so Tost. Eher dachte man, dass ein Berufseinstieg in der Umweltberatung sowie in der Nachhaltigkeitstransformation von Industrieunternehmen und Firmen passend wäre. Aktuell suchen auch Städte und Landkreise Umweltberater:innen.
“Wir bilden unsere Leute generell auch gut im analytischen Problemlösen [...] und mit einer soliden IT-Statistik und Datenanalysetechnik aus“, betont Tost. Deshalb könnten die Absolvent:innen in verschiedenen Sektoren arbeiten.
Mit dem neuen Master “Earth System Sciences“ könnte sich Tost auch eher vorstellen, dass einige Absolvent:innen in die Forschung gehen. Allerdings nicht in die theoretische Forschung, sondern eher im praktischen Bereich, zum Beispiel in der Messgeräteentwicklung oder in Feldstudien. Mit dem Masterabschluss hält er auch einen Einstieg im Energiesektor im Bereich der erneuerbaren Energien für möglich. “Final werden wir es erst in ein paar Jahren sehen, [...] was die Leute wirklich machen.“, schätzt Tost ein.
Tost sieht in Deutschland einen Personalbedarf, der nicht allein mit den Meteorologie-Absolvent:innen in Deutschland abgedeckt werden könne: “Aber wo sollen die Leute alle herkommen, wenn sie nicht eine richtige Fachausbildung darin genossen haben?“
Gerade im Umstieg oder in der Transformation von Gesellschaft, öffentlichem Leben, Politik und Industrie seien Expert:innen notwendig. Denn diese Posten müssten “von kompetent ausgebildetem Personal besetzt werden und nicht von Leuten, die darüber reden, aber eigentlich keine Ahnung haben, wovon sie da reden. Das ist zumindest unser Ansporn und unsere Hoffnung.“
Damit möchte er nicht behaupten, dass alle Leute, die über diese Thematiken reden, keine Ahnung davon hätten. Allerdings sei es an einigen Stellen gut, sagen zu können “Ich weiß das, weil ich mich damit drei Jahre lang beschäftigt und das studiert habe. Und nicht, weil ich mal ein Buch gelesen oder einen Zeitungsartikel oder einen Wikipedia-Artikel gelesen habe und weiß deshalb darüber Bescheid.“
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