March for Science: Ein Protest gegen "alternative Fakten"

23.04.2017
Studium, Freizeit
fsc

Am Samstag demonstrierten in Frankfurt rund 2500 Menschen für die Wissenschaft. Auch eine Mainzer Professorin hielt eine Rede. Weltweit fanden zeitgleich in über 500 Städten Protestmärsche statt.

Erst scheint es so, als würde die Demonstration buchstäblich ins Wasser fallen. Das Wetter entscheidet dann aber doch ganz im Sinne der Wissenschaft und mehr und mehr Leute versammeln sich ab 13 Uhr an der Bockenheimer Warte in Frankfurt – 2500 insgesamt, 37000 in ganz Deutschland, sogar auf Helgoland. Weltweit gibt es zur selben Zeit Protestmärsche mit tausenden Demonstrierenden – allen voran jener in Washington, D.C. mit etwa 15000 versammelten Menschen. Der March for Science ist eine international angelegte Großdemonstration, die sich für Forschung und Wissenschaft und gegen "alternative Fakten" ausspricht.

Obwohl der Hintergrund ein ernster ist, ist die Stimmung in Frankfurt heiter. Viele sind mit ihren Kindern da. Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, Peter Feldmann, eröffnet den March for Science, indem er ein Plädoyer für Demokratie und Wissenschaft und gegen Populismus hält. In der ersten Vortragsreihe an der Bockenheimer Warte sprechen unter anderem die Präsidentin der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Birgitta Wolff, die die Wichtigkeit der Freiheit der Forschung betont sowie der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen, Joybrato Mukherjee, der unmissverständlich konstatiert: "Alternative facts sind Lügen, Fake News sind Erfindungen und Meinungen sind keine Fakten."

Im Vorhinein war die Kritik laut geworden, dass der March for Science nur eine elitäre Bewegung sei, die einen Großteil der Bevölkerung nicht betreffe. Als ein Redner das Publikum fragt, wer alles einen Hochschulabschluss habe, meldet sich fast jeder. Nicht umsonst rufen also gleich mehrere Redner dazu auf, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr mit Menschen in Kontakt treten müssen, die nicht aus dem tertiären Bildungsbereich kommen.

Der Ursprung des March for Science

Zur Entstehung der Bewegung hatten unter anderem verschiedene Aussagen und Ereignisse während des US-Wahlkampfes und im Monat der Amtseinführung von Donald Trump beigetragen. Etwa, als Trumps Beraterin Kellyanne Conway von "alternative facts" sprach, als es um die offensichtlich falschen Publikumszahlen während Trumps Amtseinführung ging, die Pressesprecher Sean Spicer genannt hatte. Oder der "Muslim ban", der Menschen aus sieben Nationen als potenzielle Terroristen kategorisierte, obwohl nachweislich kein einziger islamistischer Terrorist seit 2001 aus diesen Ländern stammte. Der Moment, als das Weiße Haus im Januar 2017 alle Informationen zum Klimawandel von seiner Webseite löschte, gilt jedoch offiziell als die Geburtsstunde des March for Science. Seit Jahren vielfach bewiesene Fakten zu leugnen, das geht gar nicht, fanden die Organisatorinnen und Organisatoren des March for Science.

"Das Vertrauen in wissenschaftliche Fakten ist abhandengekommen."

Eine von ihnen ist Nathalie Dehne vom Uni-Klinikum Frankfurt. Für die Molekularbiologin und Immunologin war die gegenwärtige Situation in den USA oder in der Türkei der Grund, warum "wir die Stimme erheben und sagen sollten, dass es so nicht weiter geht."

Die zentrale Forderung des March for Science sei es, wieder deutlicher zwischen Meinungen und Fakten zu unterscheiden, erklärt Dehne. Offenbar sei nicht hinreichend bekannt, "dass Wissenschaft keine Faktensammlung ist, sondern eine Methode, Fakten zu überprüfen und wenn sie überprüfbar sind, diese zu widerlegen oder eben zu bestätigen." Und bestätigten Fakten müsse man dann auch trauen. Genau dieses Vertrauen sei es, das in der Gesellschaft offenbar ein bisschen abhandengekommen ist, vermutet Nathalie Dehne. Im Fall des Klimawandels heiße das konkret: Anstatt die Zeit damit zu verschwenden, die schon so oft bewiesene Tatsache, dass der Klimawandel menschengemacht ist, zu hinterfragen, solle man doch lieber endlich handeln.

Mehr Wissenschaft, weniger Bauchgefühl

Dehne betont zudem, dass wir in Deutschland gegen eine ähnliche Dimension wie in den USA nicht gefeit seien: "Wir haben glücklicherweise im Moment noch keine politischen Führer, die das ausnutzen, so wie das in den USA der Fall ist. Das heißt aber nicht, dass das bei uns nicht auch kommen kann."

Schließlich sei auch hier ein großer Teil der Bevölkerung der Meinung, es würde zu viel auf Wissenschaftler gehört und zu wenig auf das eigene Bauchgefühl. "Bauchgefühl ist manchmal eine nette Sache, aber nicht bei wichtigen Entscheidungen für unsere Gesellschaft," mahnt die Wissenschaftlerin.

Eine Gratwanderung zwischen Einfachheit und Komplexität

Kritische Stimmen werfen dem March for Science vor, die Aktion würde komplexe Sachverhalte zu sehr vereinfachen und Wissenschaft politisieren. Der Mit-Organisatorin ist diese Gratwanderung durchaus bewusst, schließlich gebe es auch in den Naturwissenschaften keinen reinen Wahrheitsbegriff per se, aber Hypothesen, die man versuche zu überprüfen.

In Dehnes Augen sind Vereinfachungen häufig auch der Grund für politische Probleme. Für die Alternative für Deutschland (AfD) oder ähnliche Gruppierungen sei genau das der Nährboden: "Sie geben einfache Antworten auf komplizierte Fragen." Allerdings, merkt Frau Dehne an, seien Vereinfachungen manchmal auch nötig, um Botschaften zu transportieren und komplexe Sachverhalte für jeden zugänglich zu machen. Dabei solle aber die Komplexität nicht komplett verloren gehen.

Auf einen kritischen Umgang mit Quellen kommt es an

Weil wir in einer zunehmend komplexeren Welt leben, müsse man sich vor allem erst einmal vergegenwärtigen, dass niemand in der Lage ist, diese Komplexität voll zu begreifen. Das könne auch sie als Wissenschaftlerin nicht: "Ich kann nur einen ganz kleinen Teil, in dem ich Expertin bin, überblicken. In allen anderen Bereichen muss ich auch den Leuten vertrauen, die in ihren Feldern Experten sind." Wenn man sich für ein Thema interessiert, solle man immer mehr als eine Quelle lesen und mehr als eine Person befragen, empfiehlt Dehne. Gerade im Internet sei oft nicht klar, "wer welche Webseite aus welchen Beweggründen gemacht hat." Dort solle man kritisch hinterfragen, wie vertrauenswürdig die Informationen sind.

Die Message: "Because facts matter"

Nachdem der Protestmarsch durch die Frankfurter Innenstadt gezogen ist und am Römer sein Ziel erreicht hat, spricht im zweiten Redeblock unter anderem Prof. Dr. Concettina Sfienti von der Uni Mainz. Sie ist die Dekanin des Fachbereichs 08 – Physik, Mathematik und Information und Professorin im Institut für Kernphysik.

Das Besondere an ihrer Rede ist, dass sie anhand ihres eigenen Schicksals deutlich macht, warum "facts matter" – warum Fakten wichtig sind. Zum einen stottere sie eigentlich seit ihrer Kindheit, weil sie in den Siebzigerjahren dazu gezwungen worden sei, mit der rechten Hand zu schreiben, obwohl sie Linkshänderin war. "Rechtshändigkeit war eben die Norm. Schon damals gab es wissenschaftliche Beweise, Fakten, die darauf hingewiesen haben, dass erzwungene 'Umgewöhnung' zu Sprachstörungen bis hin zu physischen Störungen führen kann," betont Sfienti. Es sei jahreslanges Training nötig gewesen, damit sie heute fließend sprechen kann. Dafür bekommt sie respektvollen Applaus.

Wissenschaft gehört den Menschen

Im zweiten Teil ihrer Rede spricht sie über ihren "unmöglichen Vornamen", Concettina. In traditionstreuen italienischen Familien bekommen Töchter die Vornamen der Großmütter. Sfienti sollte nach ihrer Großmutter mütterlicherseits, Marina, benannt werden. Nur Eine war dagegen: Marina selbst. Sie erkrankte am 5. Juli 1957 an Polio, im selben Sommer kam die Impfung gegen Polio nach Italien, zu spät also für Großmutter Marina. Für sie stand fest: Concettina solle nicht Marina heißen, denn das bringe Unglück. Daher bekam sie den Vornamen der anderen Großmutter.

Frau Sfienti kommt zum Hintergrund der Anekdote: "Der Erfinder der Impfung ließ sie nie patentieren, da er der Meinung war, dass sie der Menschheit gehöre." Für Sfienti ist wichtig, vermutlich auch mit Blick auf Impfgegner Trump: "Jedes wissenschaftliche Ergebnis, jeder Fortschritt, den wir machen, gehört den Menschen. Und ihnen gehört auch alles, was dahinter steht – insbesondere die wissenschaftliche Methode, die es ermöglicht, auf faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Das macht jedes wissenschaftliche Ergebnis überprüfbar."

Und dann kam die Sonne

Schließlich kommt Sfienti zur Quintessenz der Kernphysik. Anstatt sie zu fragen, wann sie denn eine Bombe baue, solle man sich doch lieber darauf besinnen, dass es nichts Welt- und Menschenoffeneres gibt als die Kernphysik. Es folgt, so verspricht Sfienti, "die schönste Geschichte, die Sie jemals gehört haben." Sie verbringe ihr Leben damit, zu untersuchen, wie Kerne im Universum entstanden sind: "Nach dem Urknall gab es nur Wasserstoff und Helium. Danach sind die schwereren Atome, wie die in unseren Körpern, in den Sternen entstanden. Manche Sterne waren so freundlich und sind explodiert. Deshalb bestehen wir sozusagen alle aus Sternenstaub."

Genau deshalb, so fährt sie fort, sei es ihr "auf einmal egal, aus welchem Land du kommst, welche Sprache du sprichst, welche Hautfarbe du hast, an wen du glaubst, ob du überhaupt glaubst oder wen du liebst. Etwas Welt- und Menschenoffeneres ist nicht möglich."

Ihr Credo sei seitdem: "We are a possibility in an impossible universe." Sfienti erntet vielleicht deshalb tosenden Applaus, weil sie beides versuchte miteinander zu verbinden – Emotionen und Wissenschaft.

Zu allem Überfluss kam just im Moment des Sternenstaub-Teils der Rede die Sonne heraus. "Ich habe so eine Wahrheit gesagt, dass selbst die Sonne herauskommt. Das habe ich nicht mit Absicht gemacht, auch wenn ich als Sizilianerin eine besondere Verbindung zur Sonne habe," scherzt sie. Hätten wir nicht die Wissenschaft, wären wir uns da vielleicht nicht so sicher.

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