Kürzungen: Bibliothek verliert Zeitschriftenlizenz

15.03.2017
Studium, Campus-News
Gastbeitrag: Elisabeth Neuhaus

Für die nächste Hausarbeit schnell in die neueste Ausgabe von “New Media & Society“ schauen? Das ist seit Jahresbeginn nicht mehr möglich. Ein Vertrag mit dem Wissenschaftsverlag Sage ist ausgelaufen. Von ihr hatten auch andere Institute profitiert. Die Publizistik trifft der Wegfall der Zugriffsrechte aber wohl am stärksten.

Eigentlich ist alles ganz einfach. Wenigstens scheint es so, denn schon ein paar Klicks auf der Webseite der Universitätsbibliothek (UB) führen in die schier endlosen Weiten der Bücherkataloge, Fachzeitschriften und Datenbanken. Als Studierende nehmen wir das so hin – mit spärlicher Dankbarkeit – und lassen uns höchstens dann zu Gefühlsausbrüchen hinreißen, wenn das eine Buch, das eine Journal, die eine Ausgabe, die wir gerade so dringend brauchen, an der Mainzer Uni nicht verfügbar ist.

Was am Bildschirm so einfach erscheint, erfordert einen großen Verwaltungsapparat, der im Hintergrund agiert. Dass es hier nicht immer reibungslos zugeht, zeigt ein aktuelles Beispiel: Seit dem 1. Januar 2017 sind einige wissenschaftliche Zeitschriften im Netz der Uni nicht mehr uneingeschränkt einsehbar. Es geht um die aktuellen Jahrgänge von Titeln des Wissenschaftsverlages Sage, der für die Publizistik wichtige Journals wie New Media & Society, Mobile Media & Communication oder die International Communication Gazette im Programm hat. Publizisten sind laut Abrufstatistik auch diejenigen, die Sage-Journals in Mainz am häufigsten nutzen.

Wie sieht es mit älteren Ausgaben aus?

Es gibt deutschlandweit eine Lizenz für Sage-Titel, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Damit sind circa 650 E-Journals des Verlags für staatliche Bibliotheken, zu denen auch Universitätsbibliotheken zählen, dauerhaft frei zugänglich. Dieser sogenannte Allianzlizenzvertrag umfasste auch die aktuellsten Ausgaben der Zeitschriften, er lief jedoch Ende 2016 aus. Dadurch ist der Zugriff auf die Archive der Zeitschriften, und somit auf ältere Ausgaben, zwar weiterhin möglich, der Zugriff auf aktuelle Ausgaben bleibt der Uni dagegen verwehrt. Davon sind erst einmal alle 650 Titel betroffen, auch solche aus anderen Disziplinen wie der Psychologie oder der Medizin.

Doch es gibt Ausnahmen: Von den 650 Zeitschriften waren 30 zusätzlich an der Uni in verschiedenen Fachbereichen abonniert, teilweise in Print, teilweise online. Denn eine Bedingung für die Teilnahme am Lizenzvertrag war bis Ende 2016, dass die an der Mainzer Uni bestehenden Abonnements nicht gekündigt werden. Die besagten 30 Abos blieben demnach in dem Format (Print oder online) zugreifbar, in dem sie ursprünglich geordert wurden. Und bleiben es auch weiterhin – es sei denn, sie sind, wie es bei den Politikwissenschaftlern verstärkt vorkam, ab 2017 abbestellt worden. Das Institut für Publizistik (IfP) kann durch diese Abonnements noch auf vier verschiedene Sage Zeitschriften zugreifen, allerdings bei dreien nur in gedruckter Form.

Wieso gibt es keinen neuen Vertrag?

Um den Zugriff weiter zu gewährleisten, hat die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) für einen Verbund von Universitäten und staatlichen Einrichtungen mit Sage einen sogenannten Konsortialvertrag über die neuesten Jahrgänge seiner Zeitschriften ausgehandelt. Einzelne Unis konnten sich diesem Vertrag anschließen, das Angebot erreichte die UB im Spätsommer 2016. Kostenpunkt: 11.000 Euro – zusätzlich zu den Kosten für vorhandene Abos, die gemäß den Vorgaben von Sage ja hätten weiterlaufen müssen.

Weil überwiegend Sozialwissenschaftler die Sage-Publikationen nutzen, war Dr. Marianne Bartsch, Abteilungsleiterin Medienbearbeitung und E-Medien-Referentin, mit dem Angebot der BSB an den Fachbereich 02 herangetreten. Anschließend setzten sich Vertreter einzelner Institute zusammen, um die Angelegenheit zu besprechen.

Nun sieht die Hauspolitik der Uni Mainz vor, dass die Institute selbst für fachbereichsspezifische Literatur aufkommen müssen. Sie erhalten von der Uni einen Jahresetat, der sich nach verschiedenen Kennwerten wie etwa der Zahl der Studierenden oder der Zahl der abgeschlossenen Promotionen bemisst. Nach dieser Logik wäre jedes Institut selbst dafür zuständig, die nun ausgefallene Literatur für sich bereitzustellen.

Doch die Summe sprengte den Rahmen: “Für uns war klar, dass wir das nicht alleine zahlen können“, erklärt der IfP-Bibliotheksbeauftragte Dr. Philipp Müller. “Der Gedanke war, dass es ja nur fair wäre, wenn die Kosten aufgeteilt würden. Schließlich beinhaltet das Paket auch Literatur aus anderen Disziplinen.“ Die anderen Institute des Fachbereichs 02 sahen sich finanziell nicht in der Lage dazu, mitzumachen. Die UB hätte lediglich die Kosten für jene Zeitschriften anderer Fachbereiche übernommen, die ansonsten abbestellt worden wären, um die Voraussetzungen für den Vertragseinstieg zu schaffen. Zu den 11.000 Euro hätte sie nichts zugeschossen.

Steigende Kosten, stagnierende Etats

Dazu kommt, dass die 11.000 Euro als Momentaufnahme zu verstehen sind. Denn der vorgelegte Vertrag müsste jedes Jahr neu verhandelt werden, was wahrscheinlich mit jährlichen Preiserhöhungen einhergehen würde. Das ist nicht ohne weiteres finanzierbar, sagt Prof. Dr. Christian Schemer vom Institut für Publizistik: “Oft werden Verträge nur kurzfristig geschlossen, daher stehen in immer kürzerer Frist Nachverhandlungen an. Wir können aber nicht im gleichen Maße mithalten wie die Verlage jährlich teurer werden.“

Was das Geld für Literatur anbelangt, steht die Mainzer Universität zwar nicht schlecht da, ist jedoch auch nicht in der Spitzengruppe, wie Philipp Müller erklärt. An einigen anderen deutschen Hochschulen wie der Ludwig-Maximilians-Universität in München seien die Etats höher. “Wir haben sowieso schon viele Journals nicht. Jetzt reduziert sich der Bestand durch den Wegfall der aktuellen Sage-Titel noch weiter. Die Lage ist eigentlich schon prekär, sie wird jetzt noch prekärer“, fügt Schemer hinzu.

Fragwürdige Modelle der Wissenschaftsverlage

Indem die DFG-Allianz deutsche Hochschulen bündelt, vergrößert sie deren Verhandlungsmacht. Doch die Verlage agieren global: “Selbst ein Zusammenschluss von Unis ist für sie eher irrelevant. Wenn der als Kunde wegfällt, bricht denen kein Zacken aus der Krone. Die Verlage haben eine mächtige Verhandlungsmacht, der man ausgeliefert ist“, so Schemer.

Der Fall Sage macht damit auf ein generelles Problem in der Wissenschaft aufmerksam. Prof. Dr. Gregor Daschmann, Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften, Medien und Sport, sagt, man habe es hier mit “monopolisierten Strukturen am Markt“ zu tun: “Die Preise für die Sage-Zeitschriften diktiert uns der Verlag. Wir Wissenschaftler sollen also für die Aufsätze, die wir selbst schreiben, immer mehr bezahlen.“

Auch Philipp Müller sieht die Geschäftsmodelle der Wissenschaftsverlage kritisch. Im Prinzip laufe es dort so ab: Die Verlage vertreiben über ihre Journals wissenschaftliche Studien von Personen, die in erster Linie bei staatlichen Unis beschäftigt sind und somit vom Staat bezahlt werden. Die Studien werden von diesen Angestellten erarbeitet und in der Regel ohne Honorar (in einigen Fällen sogar nur gegen eine Zahlung) abgedruckt. “Und dann soll der Staat, der schon das Gehalt der Autoren bezahlt halt, nochmal dafür zahlen, dass wir das wieder lesen können?“, so Müller.

Als Lösung des Problems sieht er vor allem Open Access. Damit sind Plattformen gemeint, auf denen Wissenschaftler ihre Forschungsarbeiten frei zur Verfügung stellen können – und so große Verlage und langwierige Prozesse umgehen. Eine Gegenbewegung, mit der sich auch Schemer angefreundet hat: “Für viele Wissenschaftler ist das der Ausweg, nur noch über Open Access zu publizieren. Das wäre konsequent, aber so weit sind wir noch nicht.“ Genau das sei die Krux: Die allermeisten Aufsätze erscheinen eben immer noch bei Verlagen.

Kein Einzelfall

Bleibt die Frage, inwiefern die Uni einspringen und in Fällen wie diesem mehr Geld in die Institute geben sollte. Bartsch, die Chefin der UB-Abteilung für Medienbearbeitung, erklärt, es stünde den Fachbereichen frei, um höhere Zuwendungen zu bitten. “Das Präsidium wird aber wahrscheinlich nach der zehnten Anfrage sagen: Moment, wir können nicht immer mehr dazu geben.“ Denn Sage sei kein Einzelfall, das bestätigt auch Schemer. Ähnliche Situationen habe es bereits mit den Verlagen Wiley oder Elsevier gegeben. Andere Institute, sagt er, kämpften mit anderen Verlagen, die die Preise für Flaggschiff-Publikationen angezogen haben. Bartsch glaubt: “Es gibt so viele Verträge mit so vielen Beteiligten, da würde wahrscheinlich jede Woche jemand vor dem Präsidenten stehen.“

Die Beteiligten auf Universitätsseite versuchen aktuell in Gesprächen miteinander zu klären, wie groß der Bedarf der verschiedenen Institute für den Zugriff auf einzelne Zeitschriften ist. Die Relevanz eines Lizenzpakets für alle beteiligten Fachbereiche zu bewerten ist wichtig, da viele Institute einzelne Abonnements gerne abbestellen würden, durch laufende Lizenzverträge aber zum Halten dieser Zeitschriften gezwungen sind. Bartsch meint dazu, man habe sich vorgenommen, die Pakete zu analysieren und zu versuchen, gemeinsam mit den betroffenen Fachbereichen Inhalt, Nutzungsfrequenz und Kosten im Konsens aller Beteiligten in Einklang zu bringen: “Wenn wir das für alle Pakete – große und kleine – schaffen, haben wir, Fachbereiche und UB, Transparenz in der Sache erreicht und können besser feststellen, welche Pakete wir halten müssen und auf welche wir verzichten können.“ Hierbei handle es sich jedoch um einen langfristigen Prozess: “Die Thematik ist sehr komplex und die Menge der Teilnehmer groß. Deshalb wird es noch dauern, bis wir ans Ziel kommen“, sagt die Abteilungsleiterin.

Mehr Probleme als nur Sage

Dass sich Kontroversen mit Uni-externen Akteuren auch regeln können, macht hingegen der Fall VG Wort deutlich. Im Dezember hatte das JGU-Präsidialbüro mitgeteilt, dass Textmaterialien ab 2017 nicht mehr online geteilt werden dürften, da die VG Wort, die in Deutschland die Urheberrechte von Autoren vertritt, eine neue Abrechnungsmethode forderte. Tatsächlich konnte sich eine von der Hochschulrektorenkonferenz, der Kultusministerkonferenz und der VG Wort eingesetzte Arbeitsgruppe Mitte Dezember auf eine Übergangslösung  einigen. Das Ergebnis: Bis zum 30. September 2017 soll sich vorerst nichts an der bisherigen Praxis ändern. Was nach diesem Stichtag gilt, darüber entscheiden die beteiligten Institutionen derzeit – und wollen sich dafür noch bis März Zeit lassen.

Sowohl bei Sage als auch bei VG Wort geht es um elementare Bestandteile einer guten Wissenschaftsinfrastruktur: den Zugang zu Forschungs- und Lehrmaterialien. Daschmann sieht noch einen weiteren Berührungspunkt: “Beiden Fällen ist gemein, dass externe Stakeholder hier künstlich und übertrieben an der Preisschraube drehen – und somit die Lehrbedingungen an den Universitäten erschweren.“

Die Lehre ist zusätzlich auch von Kürzungen aus dem Landesetat bedroht. Wegen sinkender Studierendenzahlen soll die Universität mehrere Millionen Euro weniger vom Land Rheinland-Pfalz bekommen. Der sowieso schon hohe Kostendruck in den einzelnen Fachbereichen und Instituten ist dadurch nochmal gestiegen. Viele Institute können die nun geforderten Einsparungen nur noch über Personalkürzungen kompensieren: Weniger Stellen im akademischen Mittelbau und vakante Professorenstellen drohen die desolate Personalsituation zusätzlich zu belasten. Leidtragende werden die Studierenden sein, weil Kurse zusammengelegt und pro Vorlesung mehr Leute von einem Dozenten betreut werden müssen.

Wie geht es weiter?

Wenigstens die umstrittene VG-Wort-Neuregelung ist vorerst vom Tisch, eine Einigung in der Mache. Und die nun erscheinenden Sage-Journals? Werden nach jetzigem Stand ab 2018 zugänglich sein. Und im Jahr 2018 besteht zumindest die Chance, dass neue Titel wieder aktuell verfügbar sind. Denn der von der BSB ausgehandelte Vertrag ist auf zwölf Monate angelegt. “In der zweiten Jahreshälfte 2017 wird man uns ein neues Angebot auf den Tisch legen“, so Bartsch. Ob sich die Institute und Fachbereiche dann zusammenraufen können, lässt sich noch nicht sagen.


Dieser Artikel wurde in ähnlicher Form im Publizissimus, der studentischen Institutszeitung der Publizisten, im Wintersemester 2016/17 veröffentlicht. Die Bearbeitung für die Redaktion von campus-mainz.net übernahm Daniel Böcher. Dem Publizissimus kann man auf Facebook und Instagram folgen.

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