Einen kritischen Standpunkt haben wir alle zu lange vermissen lassen. Warum der wichtig gewesen wäre? Mit Stéphane Hessels Worten: "Empörung und das daraus resultierende Engagement sind ein unverzichtbarer Teil der Menschlichkeit." Besonders an einer Universität sollten Empörung und Engagement keine Fremdwörter sein.
Nun sollte man einer Studierendenschaft nicht sagen, wann sie sich zu empören hat. Und sie sicherlich nicht an den Maßstäben des französischen Diplomaten Hessel bemessen. Der Kontext war ein anderer – Äpfel und Birnen und so. Der Ausgangspunkt jedoch ist der gleiche: Ist es wirklich zu hoch gegriffen, uns allen eine Pflicht des kritischen Reflektierens zuzuschreiben?
Hoffentlich nicht – und zu diesem Freitag im Juni wäre eben dies geboten gewesen. Denn plötzlich war da dieser milliardenschwere Großkonzern aus dem Salzburger Land. Fährt seine gepanzerten Werbefahrzeuge spazieren, hängt sein Logo aus, verkauft seine Produkte zum Sonderpreis – alles auf dem Campus. Wer nicht da war, waren diejenigen, die dagegen aufbegehrten.
Lediglich das Haus Mainusch äußerte Kritik, machte auf Facebook mobil und verteilte konzern-kritische Flyer vor dem Haupteingang. Das Problem: Die Ansichten des selbstverwalteten linken Kulturzentrums waren nicht Teil einer kontroversen Debatte, sondern nicht mehr als eine Einzelmeinung. Einen Diskurs hätte es auf einem kritischen Campus jedoch geben müssen.
Denn der Milliardenkonzern und Gründer Dietrich Mateschitz sind keine Rosenkavaliere. Problematisch ist zum einen der Aspekt, dass eine öffentliche und unabhängige Universität ihren Campus nicht bedingungslos zur Werbefläche eines Großkonzerns machen sollte, dessen aggressives Marketingkonzept sogar auf die Preise in der Mensa Einfluss nimmt, wenn ein Energydrink in der Aktionswoche plötzlich nur noch 1,50 Euro kostet.
Zum anderen ist da dieser bittere Taurin-Beigeschmack einer Firma, die tote Extremsportler bei eigenen Sponsoring-Events unter den roten Teppich kehrt. Eine Firma, deren Chef und Gründer regelmäßig seine Sympathien für das rechte Spektrum bekundet und es strukturell unterstützt. Sein Sender Servus TV lud in der Vergangenheit regelmäßig Rechtsextreme für lockere Gespräche in hauseigene Talkformate ein. Auch sein aus dem Boden gestampftes Recherche-Portal bekleckerte sich nicht mit Ruhm, als es mal eben das Recht auf Asyl grundsätzlich in Frage stellte. In Frage stellen sollte man an dieser Stelle unser aller Maß an Akzeptanz.
Wer empört sich eigentlich noch? Wo waren die kritischen Einzelpersonen? Wo die StuPa-Hochschulgruppen? Wo die Campusmedien? Am Ende des Tages schienen fast alle von der Beteiligung des Taurin-Riesen so stark zu profitieren, dass sich Kritik verbot. Was aus moralischer Sicht äußerst bedenklich ist, scheint aus rationaler Sicht bis zu einem gewissen Grad verständlich. Denn an einem Zusammentreffen auf dem Campus an einem lauen Sommerabend ist nichts auszusetzen. Prinzipiell zu begrüßen ist auch die Tatsache, bekannte Künstler für umsonst live zu sehen. Aber alles hat seinen Preis – und Red Bull den freien Eintritt.
Dazu kommt: Der AStA hat nicht nur sein Sommerfest verkauft, sondern auch ein Stück Campuskultur. Bei einer Universität mit über 30.000 Studis sollte es nicht zu viel verlangt sein, ein Fest aus dem kreativen wie finanziellen Potential der Universität zu stemmen. Nein, es mag am Ende des Tages kein Label bekommen, das größte Campus-Open Air in Deutschland zu sein. Aber wer benötigt wirklich noch einen solch kapitalistischen Superlativ, um sich damit zu brüsten?
Scheinbar der AStA, der gleichzeitig in der Allgemeinen Zeitung betont: "Wir haben das letzte Wort." Das macht den Umfang des Engagements des Brausegiganten noch absurder. Und so muss sich der gemeine Mainzer Studi von Rapper Serious Klein geschätzte 23 mal in 5 Minuten nach der "Energy" der "Energy people" fragen lassen. Spekulationen über rhetorische Parallelen zum Sponsor verbieten sich – und kleine, lokale, uninahe Künstler:innen bleiben fast in Gänze außen vor.
Dass dieses Event in der Form stattfinden konnte, dass ein Großkonzern in diesem Ausmaß Narrenfreiheit auf dem Campus zugesprochen wurde, ohne dabei Gegenwind zu erfahren, wirft die Frage auf, wie politisch dieser Campus im Jahre 2019 noch ist. Was braucht es noch, um Kritik zu äußern? Wie viel Potential zur Empörung und zum Engagement steckt noch in den Mainzer Studis, in uns?
Wir reden hier nicht von einem Appell von 1968, sondern von Grundtugenden einer kritischen Campuskultur. Die haben wir an jenem Freitag im Juni 2019 vermissen lassen, das sollte uns bewusst sein. Es sollte an einer Universität immer diejenigen geben, die den Status quo hinterfragen. In diesem konkreten Fall sind sie in der schweigenden Masse untergegangen. Auch, weil sie sich nicht genug Gehör verschafften. Das wird hoffentlich nicht zum neuen universitären Status quo. Fürs nächste Mal: Stéphane Hessels "Empört euch!" hat 23 Seiten und kostet 5 Euro.
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