Kommentar | Fantastisches in dunklen Sälen, oder: Stell dir vor es ist Symposium und keiner geht hin

02.12.2017
Freizeit
lcu

Vor verwaisten Publikumsreihen sprach Dr. Rasmus Greiner über das Verschwinden der Kinder in "Die Vermissten" – bezeichnend für die Mainzer Filmwissenschaft. Über das Fantastische im leeren Saal.

Die Crème de la Crème der Mainzer Filmwissenschaft hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Denn dem von Studierenden ihres Fachs (!) im Rahmen des FILMZ Festivals organisierten Symposium, Aorta des kommunikativen Austauschs zwischen Wissenschaftlern, blieben die Lehrenden an beiden Sitzungstagen in allergrößter Überzahl fern. Von den Zeichen ganz zu schweigen, welche an die Lernenden, insbesondere an die Organisatorinnen und Organisatoren und zahlreichen Helfern gesandt wird, ist der Umgang mit erweiterten Veranstaltungen im eigenen Haus leider kein Einzelfall, sondern eher Usus. Von Grund auf wird jede Anstrengung einer zwischenmenschlichen Anbindung an das Medienhaus durch ein Klima des Desinteresses und der Verantwortungsdelegation sabotiert und das darf nicht sein. Es mag wiederum sein, dass Studierende kommen und gehen. Wenn das aber alles ist, werden sie bald vor allem eins. Gehen. 

Kein Wunder also, dass auch Studierende des Fachs nicht anzutreffen waren. Das verschwundene Publikum darf sich dabei einmal mehr an die eigene Nase fassen und hoffen, dass man wenigstens diese findet. Trägheit und mangelnde Bereitschaft lassen bekanntlich die eigene Hand recht schwer werden und mit Nichtstun kennt man sich auf den blauen Stühlen im Medienhaus bestens aus. Bevor auch das mit Schulterzucken quittiert wird, sollte man sich fragen, was passiert, wenn sich diese Kunde nach Berlin, Ludwigsburg, Bremen, München oder Marburg herumspricht, also in den Heimatstädten der diesjährigen Redner. Der Standort Filmwissenschaft in Mainz hätte es bald hinter sich. Pars pro Toto spiegeln die Besucherzahlen des diesjährigen Symposiums die übergreifende Verdrossenheit der Filmwissenschaft wieder und sind ein bemerkenswert trauriges Zeugnis für das Jahr 2017. Wir sind weit entfernt vom "stets bemüht".

Deutsche Ängste

Mehr als bemüht waren die Organisatoren Sarah Beicht und Christian Alexius, die zum Thema "Science-Fiction, Horror und Fantasy im jungen deutschen Film" eine möglichst klangvolle Rednerschaft nach Mainz lotsten, um der steigenden Aktualität des fantastischen Genre Rechnung zu tragen. Mit Prof. Dr. Marcus Stiglegger haben sie damit sicherlich eine Koryphäe der Genre-Forschung verpflichten können, der das Symposium im CinéMayence auch gleich mit einem Vortrag zur "German Angst" eröffnete. Gewohnt souverän und auskunftsfreudig ließ Stiglegger in seinem Vortrag aber die Frage nach der sozio-kulturellen Verbindung zwischen der German Angst und dem deutschen Genre-Film unbeantwortet und konzentrierte sich mehr auf eine recht fadenlose Aneinanderreihung deutscher Genre-Filme durch die Jahrzehnte, die am Ende nicht mehr als den Eindruck eines persönlichen Querschnitts hinterließ. So blieb zum Beispiel die Frage, ob die Studien Lotte Eisners zur Verbindung zwischen dem Charakteristikum des Dämonischen und dem "deutschen Wesen" heute noch von Bedeutung sind, ungestellt. 

Eher en vogue und im weiteren Verlauf des Symposiums teils bestätigt, ist ein Eindruck, der vielleicht mit Dominik Grafs und Johannes Sieverts Film Verfluchte Liebe deutscher Film seinen Beginn im vergangenen FILMZ Festival nahm und ein von vielen Seiten rege Unterstützung erhaltenes Jammertal eröffnet hat. Während Stiglegger noch reflektiert darstellte, warum der phantastische Film in Deutschland so schwer Finanzierung und Publikum findet, dabei aber kein Selbstmitleid erweckte, sondern Forderungen der Dringlichkeit stellte, eröffnete Filmemacher Huan Va eine gemeinsame Trauerfeier um das geliebte, aber kaum geschätzte Genre-Kino in Deutschland. 

Alles ist Außenseiter, alles ist Nische, alles ist Desiderat 

Das Problem beim Einstimmen in dieses Klagelied ist nicht der Anstoß dieser Debatte. Die angeklagten Missstände sind unter keinen Umständen von der Hand zu weisen. Deutschland hat keine über(genre-)parteiliche, unbürokratische oder gar risikofreudige Filmförderung. German Angst, in diesem Fall die Sehnsucht nach finanzieller Sicherheit und Rentabilität, ist eben auch auf Ebene der Produktion und Distribution ein Hemmstoff. Doch sind es alle (!) Kulturschaffenden aller Kunst- und Kultursparten, die unter diesem repressiven und konservativen System leiden. Die Problematik wird aber zu gerne auf jenes Horror-Genre beschränkt, dessen Filme nun als stilisierte Außenseiter scheinbar problemloser zu den ganz großen, aber fälschlicherweise vergessenen Filmen erklärt werden. Vielleicht aber ist auch ein Ausspruch Michael Hanekes nicht ganz von der Hand zu weisen: Das Publikum hat immer recht. 

Es entsteht dabei der Eindruck, dass es Genre-Filme in Deutschland scheinbar nicht mehr gebe. Doch das ist  Unsinn. Es gibt die deutsche Komödie im Kino und den deutsche Krimi im Fernsehen. Traurig, aber wahr. Horror oder Thriller-Genre liebt der Deutsche eigentlich auch  –  aber eben nicht den hausgemachten. Wer sich einmal in Du hast es versprochen  von Alex Schmidt verirrt hat, weiß auch zaghaft, warum. Die Frage nach Qualität soll hier aber gar nicht thematisiert werden. Fakt ist, dass Unterscheidungen bezüglich der Genre-Situation im deutschen Kino bei aller berechtigter Kritik an der immer noch bestehenden Unterscheidung zwischen high und low culture getroffen werden müssen. Deutsche Kinogänger rennen schließlich auch keinem Kunstfilm die Kinosäle ein. 

Warum die berechtigte Kritik nun bald nur noch wie selbstgerechtes Gejammer klingt, zeigte auch der Filmemacher Huan Vu, der in seinem Vortrag "Lange Schatten" irrwitzige Verbindungen zwischen der deutschen Historie zog, um die fehlende Akzeptanz für das fantastische Genre quasi-genealogisch zu beweisen. Die präsentierte chain-of-ignorance führte von Friedrich Schiller über die Weimarer Republik hin zur Rolle der 68er und der Wiedervereinigung. Im Nebensatz erklärte er dabei Ideologiekritik à la Kracauer erst für beliebig und dann zu einem der vielen schuldigen Schattenmacher. Bei so wenig Reflexion und so viel offener Paradoxie, die in einem ideologiekritischen Plädoyer für das "Verbot der Zensurbehörde FSK [Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH. Die Einrichtung prüft die Altersfreigabe von Medien.]" gipfelte, war das mangelnde Interesse im Saal rückwirkend berechtigt. Nur gut, dass Marcus Stiglegger dagegenhielt und davon zu berichten wusste, dass zum Beispiel die Deutsche Film- und Medienbewertung mittlerweile auch Psychothrillern häufiger Prädikate verleihe; auch wenn er im gleichen Atemzug unerwähnt lies, dass die Behörde mit Sitz in Wiesbaden in den letzten zwei Jahrzehnten bei immer weniger Filmeinreichungen quasi dazu gezwungen ist, immer mehr Prädikate zu verleihen.  

Quo vadis, Deutscher Film?

Die nachfolgenden Vorträge, namentlich Dr. Vera Cuntz-Leng über Wir sind die Nacht, Dr. Rasmus Greiner und seine Thematisierung des Films Die Vermissten und Dr. Lars R. Krautschick über Rammbock und Blutgletscher, sollten das wissenschaftliche Niveau erhöhen, weil sie, statt sich dem tendenziösen Vorwurf des Tendenzkinos anzuschließen, Filme des letzten Jahrzehnts im close reading untersuchten und dabei adaptierfähige Erkenntnisse zur Mythenbildung, Kapitalismuskritik, Entfremdung und Utopie lieferten. Genau daran gilt es anzusetzen, um die Außendarstellung, die Akzeptanz und das Interesse in den Kinosälen nachhaltig, wenn auch in kleinen Schritten, zu steigern. Wäre da nicht das verschwundene Publikum.

Vielleicht muss man die Werbung für das nächste Symposium schlicht näher an die Bedingungen seiner platonischen Herkunft rücken, dann kommen die Studierenden in Scharen. In Das Gastmahl lädt Agathon nämlich zum Besäufnis ein. 

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