Interview | Studieren mit 60 Jahren und dreifacher Vorfreude

29.03.2017
Studium
hr

Wolfgang von Massow gehört der Spitzengruppe an: der 60-Jährige ist einer der ältesten Erstsemester, den die Uni zum SoSe 2017 auf dem Campus begrüßt. Nach knapp 40 Jahren Berufsleben beginnt er nun mit dem Studium der Politikwissenschaften. Und zwar “richtig und nicht nur hobbymäßig.“ Im Gespräch mit Campus Mainz verrät Wolfgang, warum er gleich in der Fachschaft aktiv ist und welche Bedingungen seine Frau an sein Studentenleben stellt.

Hallo Wolfgang, dein Vater war lange Jahre als Professor der Kernphysik an der Johannes Gutenberg-Universität tätig, dein Sohn hat hier Informatik studiert. Bist du jetzt auch deswegen an der Uni Mainz, damit eine Familientradition nicht abreißt?

(lacht) Nein. Das mag zwar eine nette Anekdote sein, aber da hat das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Ich fange hier am Campus an zu studieren, weil mich mein Interesse für Politikwissenschaft nie losgelassen hat. Soweit, so unspektakulär.

Die Neugierde am Fach verbindet dich mit den zahlreichen anderen Erstsemestern der JGU. Was dich unterscheidet: Du hast schon ein abgeschlossenes Studium und fast vier Jahrzehnte Berufserfahrung hinter dir.

Das stimmt. Ich habe nach meiner Schulzeit in Heilbronn Betriebswirtschaftslehre studiert und 1978 mit dem Diplom abgeschlossen. Anschließend habe ich direkt mit 22 Jahren angefangen zu arbeiten, ohne irgendeinen Schimmer vom Berufsleben zu haben. Aber ich hatte frühzeitig mein Ziel vor Augen: Ich wollte Personaler werden und habe schon im Studium alle Weichen in diese Richtung gestellt. Bei allen Univeranstaltungen, die mit mathelastigem Rechnungswesen zu tun hatten, habe ich meinen Soll erfüllt. Bei den Themen Vertrieb und Personal war ich hingegen begeistert dabei. Das hat mich richtig gepackt. 

Ließ sich dein Karriereplan am Ende realisieren?

Mit kleinen Umwegen schon. Ich habe bei einer Versicherung in Offenbach meinen Berufseinstieg gefunden, bin dann eine Zeit lang stellvertretender Geschäftsführer eines Großhandelsunternehmens für Tresore gewesen und habe meine Traumposten 1990 bekommen. Die letzten 27 Jahre meines Berufslebens war ich für den Personalbereich der Coface Niederlassung in Deutschland zuständig. Eine Tätigkeit, die sich heute ganz neudeutsch “Business Partners Human Resources“ nennt.

Im Prinzip hatte ich damit aber den Arbeitsbereich gefunden, auf den ich lange hingearbeitet habe und der mich ausfüllt. Ich hatte viel mit jungen Absolventen zu tun, die ich einstellen und begleiten durfte. Nur alles findet irgendwann ein Ende. Ich hatte 2013 auf ein Alterszeit-Modell umgestellt. Das hieß im Umkehrschluss auch, dass ich zum Jahresende 2016 aus dem Berufsleben ausscheide.

Und dann?  

Die Fragen “Und dann? Was mache ich mit meiner Zeit?“, waren exakt die Fragen, die ich mir auch gestellt habe. Ich habe ausgesprochen gerne gearbeitet, habe wirklich nie auf die Uhr schauen müssen. Aber mit Blick auf meinen Arbeitsvertrag war mir klar: In absehbarer Zeit werde in Altersteilzeit gehen und von meinem Job loslassen, der mich fast Zeit meines Lebens ausgefüllt hat. Ich wusste, der 31.12.2016 wird mein letzter Arbeitstag sein. Und ab da an bin ich frei von Pflichten, wollte aber nicht frei von Inhalten sein. 

Fernsehnachmittage, Wandertouren oder Karibikkreuzfahren. Hat dich so eine Form der Freizeitgestaltung nach dem Berufsleben nie gereizt?

Um damit meinen Lebensinhalt zu füllen, lastet mich das nicht aus. Was nicht heißen soll, dass ich nicht gern auch mal einen Tag gemütlich angehe. Aber ich habe bis zuletzt Vollzeit gearbeitet und bin fit. Ich kann vielleicht nicht mehr Nächte durchfeiern wie meine Kommilitonen mit Anfang 20. Aber ich fühle mich körperlich und geistig wie Anfang 30. So abgedroschen das jetzt klingen mag: Alter ist da wirklich nur eine Zahl auf dem Papier. Ich fände es extrem bedauerlich, von einem Tag auf den anderen nicht mehr aktiv zu sein und sich selbst nicht mehr zu fordern.

Die Uni Mainz hat eine große Fächerauswahl. War für dich schnell klar, dass dich Politikvorlesungen am meisten reizen?

Im Fachbereich finde ich auch andere Fächer spannend. In der Politikwissenschaft sehe ich aber einfach meine Interessen am besten abgebildet. Ich bin seit Kindesbeinen politisch interessiert. Als Junge von acht Jahren habe ich mir schon die Tageszeitung zuhause geschnappt und drin gelesen. Nicht nur zum Sportteil geblättert, sondern wirklich gelesen, ob ich den Inhalt verstanden habe oder nicht. Mit 15 Jahren bin ich dann in die SPD eingetreten und wurde vorher vom Ortsverband extra noch eingehend über meine Motivation befragt, weil ich noch so jung war.

Und dieses Politikinteresse hat dann mit der Zeit zugenommen. Ich habe mir nie vorgenommen Politikwissenschaften zu studieren. Dazu hatte ich einfach zu früh mein Berufsziel vor Augen und habe mit BWL das studiert, was mich auf dem direktesten Weg in den Beruf führt. Und in mit meiner Arbeit als Personaler konnte ich in gewisser Weise ja auch Politik machen – Unternehmenspolitik.

Seit Januar 2017 nimmst du an PoWi-Vorlesungen und -Seminaren teil. Zum SoSe geht es dann mit dem ersten kompletten Semester los. Wie sind deine ersten Eindrücke?

An der Stelle vielleicht ein kurzer Blick zurück. Das erste Mal inhaltlich mit dem Fach beschäftigt habe ich mich auf der Homepage von Fachbereich und Fachschaft. Bis auf Statistik haben mich wirklich alle Bereiche überzeugt und direkt mein Interesse geweckt. Ich bin also mit Vorfreude auf die Veranstaltungen an die Uni gekommen. Und in dem Moment, wo ich regelmäßig zu Veranstaltungen auf dem Campus war, hat sich mein Interesse nochmal verdreifacht. Gerade die tiefergehenden Diskussionen in Seminaren finde ich super spannend. Mit dem Studium habe ich etwas gefunden, was perfekt zu meinen Interessen passt, was mich wirklich motiviert. Auch ganz ohne Prüfungsdruck.

Ohne Prüfungsdruck? Das heißt, du wirst keine Klausuren und Hausarbeiten schreiben?

Mehr oder weniger gezwungenermaßen. Ich darf laut Hochschulgesetzgebung keine Prüfungsleistungen erbringen. Da schließt die Regelung alle über 55-Jährigen aus, die für zulassungsbeschränkte Studiengänge eingeschrieben sind.

Also eine Diskriminierung des Alters?

Das kann man so sagen. Nur es stört mich jetzt auch nicht weiter. Mein Interesse am Thema ist so groß, dass ich nicht auf irgendwelche Nachweise und Noten auf dem Papier aus bin. Mir ist nur wichtig, nicht hobbymäßig zu studieren. Ich melde mich über Jogustine verbindlich zu Veranstaltungen an, die mich interessieren. Das sind aktuell Vorlesungen und Seminare aus der Politikwissenschaft. Die besuche ich dann wie alle anderen auch. Nur mein Status als Gasthörer erlaubt es mir eben nicht, Klausuren zu schreiben und mich für Hausarbeiten anzumelden.

Ist dieses Interesse “richtig studieren zu wollen“ auch der Grund, warum du dich direkt der Fachschaft angeschlossen hast?

Absolut. Ich möchte mich voll und ganz ins Studentenleben integrieren. Und da ist die Fachschaftsarbeit ein wichtiger Teil in meinen Augen. Und deshalb bin ich schon gleich in meiner ersten Uni-Woche zum Fachschaftsraum gegangen und habe einfach mal angeklopft.

Mit Erfolg, wie es scheint?

Es war zufällig jemand da. Ich habe kurz gesagt, wer ich bin und dass ich mich gerne einbringen würde. Seitdem bin dort aktiv und der Fachschaft sehr dankbar, mit welcher Selbstverständlichkeit sie mich aufgenommen haben. Ich war auch mal Anfang 20 und hatte damals eine Perspektive gegenüber Menschen über 50 Jahren, die ich hier nicht so gerne zitieren möchte. Von daher freut es mich, wenn mir die jetzige Studi-Generation so vorbehaltslos gegenübertritt.

Wie schaut es andersherum mit Vorbehalten aus? Studierende sind faul, undiszipliniert und ständig am Smartphone. So lauten die gängigen Klischees. Wenn du dich im Hörsaal umsiehst und auf dem Campus umschaust, kannst du die Vorurteile bestätigen?

Eigentlich überhaupt nicht. Meine Erwartung war im ersten Moment auch, dass der typische Student in der Vorlesung alles macht, nur nicht zuhören. Aber das kann ich nach den ersten Wochen an der JGU überhaupt nicht bestätigen. In der Mehrzahl erlebe ich Studierende als sehr engagiert und interessiert. Spätestens wenn ein Professor die Inhalte interessant aufbereitet, legt die große Mehrheit ihre Smartphones zur Seite. Zumindest nehme ich das so wahr.

Du hattest beruflich viel mit Uni-Absolventen zu tun. Würdest du sagen, die Uni bereitet angemessen auf den Arbeitsalltag danach vor?

Rein fachlich muss man mit einem Uni-Abschluss keine Bedenken haben Fuß zu fassen. Im Gegenteil: Worauf in der Berufswelt in der Regel ankommt sind Grundrechenarten. Die Uni vermittelt hingegen oft abstrakte Mathematik. Bei aller fachlicher Ausbildung habe ich die Erfahrung gemacht, dass oft die sozialen Kompetenzen auf der Strecke bleiben. Wie gehe ich mit meinen Chefs um? Wie bringe ich mich in ein Kollegenteam ein? All das sind Anforderungen, die oftmals wichtiger sind als die Vorlesungsinhalte und an einer Universität zu kurz kommen. 

Wie können Studis trotzdem gut gewappnet sein für ihr späteres Berufsleben?

Ich denke es ist wichtig sich bewusst zu machen, dass es eine Welt jenseits des Botanischen Gartens gibt. Nur zu studieren und das komplette Jahr in Bibliotheken und Hörsälen zu verbringen halte ich nicht für zielführend. Mit Praktika, die nicht als Verlegenheitslösung gewählt werden, sondern interessengeleitet sind, kann man früh austesten, in welche berufliche Richtung es mal gehen soll. Das halte ich für einen guten Weg.

Zum Abschluss würden wir gerne nochmal auf deinen persönlichen Weg an die Uni zurückkommen. Musst du dir abends von deiner Frau einen Spruch anhören, wenn du nach einem langem Unitag nach Hause kommst? Oder hat sie Verständnis?

Der Vorteil ist, dass meine Frau selbst noch berufstätig ist. Es würde sie nur stören, wenn meine Uniaktivität unsere gemeinsame Urlaubsplanung tangiert. Aber da ich keine Hausarbeiten schreibe, sind wir da ganz ungebunden. Bei dem Thema gibt es aktuell keinerlei Konfliktpotenzial.

Lieber Wolfgang, vielen Dank für das ausführliche Gespräch. Für den Semesterstart und deine Zukunft wünschen wir dir alles Gute!

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