Interview | Sing mal wieder!

22.10.2017
Freizeit
mgw

Felix Koch ist Professor für Alte Musik und Musikvermittlung, Direktor des Collegium musicum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und somit auch Dirigent von UniChor und UniOrchester.

CM: Am 18. September hat das ColMusiKuss Grundschulsingen auf dem Mainzer Domplatz stattgefunden. Wie wurde es angenommen?

Koch: Sehr gut! 1200 Kinder! Der Bedarf an solchen Aktionen wird bei Grundschulen hoch eingestuft. Denn erstens motiviert und begeistert das Singen in der Grundschule und zweitens hat die JGU KinderUni ColMusiKuss in den letzten Jahren einen großen Stamm an interessierten Kolleginnen und Kollegen und Schulen gewonnen.

Du dirigierst den UniChor der JGU Mainz, der sich an dieser Aktion beteiligt hat…

Für diesen Anlass dirigiere ich nicht nur, nein, ich choreographiere auch! [lacht] Die Sängerinnen und Sänger des UniChores haben zu bestimmten Kinderliedern entsprechende Choreographien vorgemacht, die die Kinder übernommen haben. Durch die Kombination mit Bewegung lernt man schneller, man prägt sich Texte besser ein.

Verbindung von Kunst und Pädagogik

Ich habe gelesen, dass du eigentlich auch aus dem Grundschulbereich kommst.

Zuerst habe ich Orchestermusik mit Schwerpunkt Cello studiert. Nach diesem Abschluss folgte ein zweiter im Studium der Alten Musik beziehungsweise der Historischen Aufführungspraxis. Das ist meine Leidenschaft – meine liebste Sprache! Dann habe ich gemerkt, dass mir ein wichtiger Baustein zur Musikvermittlung fehlt – nämlich der große pädagogische Bereich – und habe genau den Weg eingeschlagen, den ich von meinem Vater kenne, der zunächst Lehrer und dann Dozent an der Musikhochschule des Saarlandes war.

Also sogar noch ein drittes Studium?

Nach meinem zweiten künstlerischen Abschluss habe mit einem Ensemble viele Kinderkonzerte gespielt. Das hat echt gut funktioniert, ich habe gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit mit Kindern macht. Ich habe beschlossen, zusätzlich zu meinen künstlerischen Abschlüssen Grundschulpädagogik zu studieren, um mir fundierte Kenntnisse und pädagogische Fähigkeiten anzueignen. Das war super – ich hatte immer noch einen Lehrauftrag für Musikvermittlung/Konzertpädagogik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (HfMDK) und konnte gleichzeitig in Frankfurt studieren.

Dass so etwas überhaupt geht, höre ich zum ersten Mal…

Ich hatte ja schon meine künstlerischen Abschlüsse und dank einer Sonderregelung war das dann möglich. Die HfMDK hat ja auch davon profitiert. Ich konnte mich genau in dem Teilbereich weiter qualifizieren, in dem ich an der Hochschule gebraucht wurde. 

Und nach dem dritten Abschluss ging es als Musiklehrer an die Schule?

Erstmal kam ein Praktikum an einer Schule. Ich war total begeistert, der Kontakt mit den Kindern war so genial. Durch Musik kann man Kindern ein ganz anderes Zusammenleben in der Klasse ermöglichen und ihre Schule gestalten. Inklusive Referendariat war ich insgesamt neun Jahre lang im Schulbetrieb. Das war meine wichtigste und prägendste Zeit.

Inwiefern?

Zum einen, weil ich erfahren habe, wie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren im Schulsystem funktioniert und das Fach Musik die Kommunikation in allen Schulbereichen positiv beeinflussen kann. Zum anderen habe ich gelernt, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen dem pädagogischen und dem künstlerischen Bereich ist. Beide Bereiche müssen extrem professionell kommunizieren. Leider habe ich da schon viele Negativbeispiele erlebt. Ich muss dir sagen: Wenn ich einen Schüler im Konzertgeschehen verliere, muss ich mich zunächst selbst befragen, was bei mir – an meiner pädagogischen Vermittlung oder der künstlerischen Qualität der musikalischen Ausführung – nicht stimmt. Das habe ich immer wieder neu gelernt, durch Versuch und Irrtum. Und außerdem… Kinder sind einfach toll!

Sorgfalt bei der Musikauswahl

Siehst du es als deine Lebensaufgabe, Kinder an Musik heranzuführen?

Sagen wir, es ist eines meiner großen Anliegen.

Aber warum genau ist es dir so wichtig? Was ist das Ausschlaggebende?

Über das Singen und Musizieren haben wir die Möglichkeit, Emotionen in uns selbst zu entdecken und zu verpacken, um unsere Zuhörer zu berühren. Das ist ein viel tieferer, direkterer Kommunikationsstrang. Und die Reaktion des Empfängers ist Bestätigung und Motivation für das, was man tut: Es ist toll, was du machst.

Ist das nicht auch in anderen Kunstformen so?

Musik ist etwas Einzigartiges. Sie berührt unmittelbar. Man zeigt sich, man macht sich aber auch verletzbar, angreifbar, weil man so offen ist beim Singen. Für mich ist es eine der schönsten Kommunikationsmöglichkeiten. Bei Kindern kommt noch etwas wichtiges dazu. Sie lernen: “Ich kann was, also bin ich was.“ Sie gewinnen Selbstvertrauen. Und ein gemeinsames öffentliches Sing-Event wie das ColMusiKuss-Singen zeigt die Kraft und Wichtigkeit der Musik. Gemeinsames Singen ist die Sprache, die von allen wieder gesprochen werden muss. Und wir haben damit sogar den Oberbürgermeister Michael Ebling erreicht. Er hat mitgemacht, er hat so gelacht – ich glaube, es war einer der lustigsten Termine in seinem Kalender diese Woche und ich bin froh, dass er uns als Schirmherr für diese Veranstaltung zur Verfügung gestanden hat.

Du sprichst von der Kraft der Musik. Kann sie nicht auch manipulieren? Was ist zum Beispiel mit singenden Nazis?

Eine berechtigte Frage. Musik ruft Emotionen hervor und kann daher auch missbraucht werden, wie wir das im Dritten Reich erlebt haben. Das hat ja auch Adorno 1956 in seiner Kritik am Singen auf den Punkt gebracht: Durch Gesang wurde ein ganzes Volk auf Parteilinie gebracht. Diese Emotionalisierung durch das Singen kann zur anderen Seite der Medaille führen. Deswegen obliegt dem Initiator eine extreme Verantwortung. Ich muss Lieder auswählen, die nicht stigmatisieren oder politische Dinge transportieren, die ohnehin schon schwierig sind. Musik dient oft als Transportmittel. Aber was wird transportiert? Lieder müssen sensibel ausgewählt werden.

Geht es mit dem ColMusiKuss-Singen weiter?

Das wird definitiv für die Grundschulen immer wieder aufs Programm kommen. Es gibt so viele schöne Singanlässe fürs Publikum, die für Kinder – aber auch für Erwachsene – genutzt werden können. Singen funktioniert bei allen Generationen. Man muss nur entsprechende Methoden auswählen, um die Angst vorm Singen zu nehmen.

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