CM: Im März waren Sie auf der Programmkonferenz des Qualitätspakts Lehre in Berlin. Was können sich Mainzer Studierende unter dem Qualitätspakt vorstellen?
Dr. Persike: Der Qualitätspakt Lehre ist ein Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Verbesserung der Hochschullehre. Im Rahmen des Programms gab es eine Vielzahl von Initiativen an nahezu allen Hochschulen in Deutschland, die verschiedene Projekte durchgeführt haben, um die Qualität der Lehre zu verbessern. Studierende können sich aber wahrscheinlich insofern gar nicht so viel darunter vorstellen, als dass sie hoffentlich vor allem Nutznießer der Maßnahme sind.
Sind die Studierenden der Uni Mainz auch mit diesen Initiativen in Berührung gekommen?
Auch die Uni Mainz war an einigen der Initiativen beteiligt. Solche Projekte fallen den Studierenden aber meist nicht unmittelbar auf, weil man ihnen nicht zwingend kommuniziert, dass eine Maßnahme zur Verbesserung der Lehre aus einem Programm der Bundesregierung finanziert wird.
Das ist aber auch nicht unbedingt notwendig. Ich war zum Beispiel als Studierender immer froh, wenn einer unserer Dozenten eine neue Lehridee ausprobiert hat und habe mich nicht unbedingt gefragt, wo denn das Geld dafür hergekommen ist oder wie der Dozierende auf die Idee gekommen ist.
Sie haben an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Programmkonferenz teilgenommen. Würden Sie sagen, dass Sie ein Vorbild in Sachen "gute Lehre" sind?
Ich glaube ich bin ein Vorbild dafür, dass man Ideen oft einfach ausprobieren muss. Ich habe relativ früh, als es in Deutschland noch nicht unbedingt üblich war, mit der Digitalisierung der Lehre angefangen. Aus heutiger Sicht würde man die entstandenen Lehrmittel als weitgehend normal betrachten, zum damaligen Zeitpunkt waren sie aber nur wenig verbreitet. Insofern kann man vielleicht sagen, dass ich jemand bin, der digitale Lehre ziemlich schnell angenommen und ausprobiert hat. Ob das dann immer auch gut ist, sei dahingestellt.
Was waren das für erste digitale Versuche? Ich kenne ja ihre Statistik-Videos...
Exakt. Ungefähr zwei Semester bevor die massive Open-Online-Course-Welle 2011/ 2012 losgerollt ist habe ich die ersten Lehrvideos produziert. Einfach weil ich festgestellt habe, dass der Aufwand zur Erstellung von Videos so klein geworden war und man sie zum Beispiel über YouTube leicht an die Studierenden ausspielen konnte. Und da kam mir der Gedanke, den video-basierten Weg zur Digitalisierung meiner Lehre einfach auszuprobieren.
Neben dem Einsatz von Videos war mir dabei wichtig, weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre einzusetzen. Dazu gehört, dass sich die Studierenden regelmäßig über ihren eigenen Fortschritt informieren können. Das heißt, regelmäßige Leistungsüberprüfungen mit automatischer Rückmeldung einzusetzen und sich gleichzeitig auch immer anzuschauen, wie gut die Studierenden dabei lernen und ob sich Unterschiede zu vorher feststellen lassen.
Ist gute Lehre also für Sie digitale Lehre?
Ich würde immer behaupten, gute Lehre ist Lehre, die meine Studierenden am Ende schlauer macht und sie besser für den Beruf oder die akademische Forschung befähigt als früher. Dieses "besser" ist aber sehr schwer zu messen und man erlebt oft Enttäuschungen, wenn man genau das versucht.
Grundsätzlich kann gute Lehre ganz unterschiedliche Gesichter haben. Man kann auch mit Tafel und Kreide extrem gute Lehre machen. Alles andere würde ja bedeuten, dass wir in den letzten 500 Jahren kaum etwas richtig gemacht hätten. Ich glaube aber, dass moderne Lehre einen digitalen Anteil beinhalten muss, weil man nur so dem gerade stattfindenden Wandel der Lern- und Arbeitswelt gerecht werden kann.
Macht "gute Lehre" auch "gute Studis"?
Im Qualitätspakt Lehre geht es bei vielen Projekten um die Umstellung der Lehre auf digitale Prozesse. In diesem Rahmen muss man sich immer auch mit der Wirkungsforschung beschäftigen und überprüfen, ob die Bemühungen etwas bringen. Dabei geht es um Fragen wie: Werden die Studierenden besser oder schließen sie früher ab? Gibt es weniger Studienabbrecher? Sind sie zufriedener oder motivierter?
Wenn man sich mit der Forschung zu diesen Fragen beschäftigt, ist man oft mit dem "no significant differences"-Problem konfrontiert – das meinte ich, als ich gerade über die Enttäuschungen sprach. Es stellt sich nämlich allzu häufig heraus, dass sich bei den gewünschten Wirkungen nur marginal etwas verändert: Es bleiben etwas mehr Studierende am Studienort, ihre Leistungen werden etwas besser und sie fallen etwas seltener durch Prüfungen.
Indikatoren wie diese bewegen sich oft nur wenig durch den Einsatz digitaler Lehr- und Lernformate. Andere Indikatoren hingegen verbessern sich deutlicher, wie zum Beispiel die Zufriedenheit der Studierenden mit ihrem Studium. Der Zusammenhang zwischen guter Lehre und guten Studis ist also komplexer als erhofft. Ich würde deshalb eher sagen: Gute Lehre ist, wenn möglichst viele Studierende möglichst optimal lernen können.
Ist gute Lehre für die meisten Dozierenden sehr wichtig oder ist sie nur Beiwerk zur Forschung?
Niemand möchte absichtsvoll schlechte Lehre machen. Auf Veranstaltungen wie der Programmkonferenz des Qualitätspakts Lehre bekommt man allerdings manchmal den Eindruck, dass Forschung und Lehre inzwischen als gleichwertig betrachtet werden. Wenn man dann aus den Kontexten, in denen sich engagierte Lehrende treffen, in die reale Welt an Universitäten hinausschaut, sieht man aber doch, dass die Forschungstätigkeit immer noch der Teil ist, der Fördergelder, Reputation und Positionen bringt. Wer erfolgreich forscht, hat gute Aussichten, sich im akademischen Kontext durchzusetzen. Insofern steht die Lehre wahrscheinlich immer noch auf dem zweiten Platz.
Wird gute Lehre an deutschen Universitäten also noch zu wenig wertgeschätzt?
Das hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Ich vernehme deutlich, dass der Ruf lauter geworden ist, gute Lehre auch entsprechend zu belohnen. An vielen Hochschulen ist es inzwischen so, dass gute Lehre zu einem maßgeblichen Auswahlkriterium für neue Mitarbeiter wird. Das ist zwar weiterhin nicht immer und überall angekommen, aber vor fünf oder sechs Jahren sah man diesen Anspruch noch deutlich seltener umgesetzt.
Es wird heute tatsächlich deutlich, dass viele Hochschulen auf gute Lehre Wert legen und dass sie in vielen Berufungskommissionen ein relevantes Kriterium darstellt. Kurzum: Gute Lehre ist in Deutschland ein Thema, das wichtiger geworden ist, aber immer noch wichtiger werden muss.
Wie sieht es an der Uni Mainz aus?
An der Uni Mainz gibt es eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre. Ein Beispiel ist das Gutenberg Lehrkolleg, das Lehrende bei der Umsetzung innovativer Lehrprojekte fördert. Lehrende erhalten für ihre innovativen Lehrideen eine finanzielle Unterstützung. Das ist vor allem deshalb eine tolle Sache, weil die Modernisierung von Lehre, gerade im digitalen Bereich, niemals zum Nulltarif kommt.
Als Gegenstück zum Forschungsfreisemester, bei dem Dozenten ein Semester lang von vielen Verpflichtungen befreit werden, um sich auf ihre Forschung zu konzentrieren, hat das Gutenberg Lehrkolleg unter anderem das Lehrfreisemester geschaffen. In dieser Zeit kann man sich voll auf die Entwicklung einer Lehridee konzentrieren. Das Lehrfreisemester ist ein Angebot, das es in Deutschland nahezu kein zweites Mal gibt.
Die Liste der Maßnahmen zur Unterstützung guter Lehre ließe sich problemlos fortsetzen. Man darf also durchaus behaupten, dass die Uni Mainz weit vorne ist, was die Umsetzung moderner Lehrkonzepte betrifft. Nicht zuletzt deshalb ist sie in diesem Jahr als eine von drei Universitäten für den Genius Loci Preis für Lehrexzellenz nominiert der vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft vergeben wird.
Haben Sie auch schon einmal das Lehrfreisemester in Anspruch genommen?
Ja, ich habe diese Förderung auch wahrgenommen. Meine MOOC’s (Anm. d. Red.: Massive Open Online Courses) zur Statistik habe ich in dieser Zeit entwickelt. Inzwischen haben mehrere zehntausend Studierende daran teilgenommen. Ohne das Lehrfreisemester wäre mir das nicht möglich gewesen.
Gute Lehre kostet also, gleichzeitig muss die Uni jedoch sparen. Denken Sie, dass die Qualität der Lehre an der Uni Mainz unter den Kürzungen im Bildungshaushalt des Landes leiden wird?
Es besteht kein Anlass zu glauben, dass sich die Lehre verschlechtern wird. Sie wird sich aber womöglich nicht hinreichend modernisieren. Und das ist einer der Punkte, bei denen man größere Sorgen haben darf. Zwar können wir nicht mit Sicherheit vorhersagen, ob man mit Smartphone, Tablet und Notebook besser lernen kann, als mit Papier, Buch und Bleistift, aber natürlich ist es so, dass bei geringerer Finanzierung auch das Geld für Innovationen in der Lehre nicht mehr in dem Maße zur Verfügung steht, in dem es benötigt wird.
Auf Seiten der Dozierenden kann dann das Interesse an Innovationen verloren gehen, wenn man sieht, dass es nur wenig Unterstützung gibt, sie umzusetzen. Ich muss aber sagen, dass die Uni Mainz bisher trotz der Sparmaßnahmen gut gearbeitet hat, und ich hoffe, dass wir es auch mit den Kürzungen schaffen, die eingerichteten Strukturen aufrechterhalten zu können.
Das wäre sicherlich im Sinne aller Studierenden der Uni Mainz. Wie ist es denn mit Ihren Lehrangeboten? Sind sie nur für die Psychologiestudierenden?
Nein. Hier ist ein großes Thema im Rahmen des Qualitätspakts Lehre angesprochen, dass in Zukunft immer relevanter wird: die Frage der offenen Bildungsressourcen. Dozierende an öffentlichen Hochschulen werden mit öffentlichen Geldern bezahlt und nicht von der Privatwirtschaft. Unsere Aufgabe ist es demnach, für diese öffentlichen Gelder etwas zu leisten: Unsere Studierenden mit guten Lehrveranstaltungen zu versorgen und gute Forschung zu machen.
Ich halte es in diesem Licht für eine Verschwendung von Ressourcen, jede Lehrveranstaltung an jedem Studienort immer wieder neu zu halten und nur die eigenen Studierenden davon profitieren zu lassen. Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden. Die Erstellung eines Lernvideos oder die Programmierung eines Lernspiels kosten Zeit und Geld.
Warum sollte man ein solches Lernmedium nur für die eigenen Studierenden einsetzen, anstatt es für andere Dozierende und Studierenden freizugeben? Der Fokus sollte deshalb darauf liegen, gute Lehrmaterialen zu erstellen und offen zur Verfügung zu stellen. Das ist einer der Trends, die wir im Moment sehen und von denen ich glaube, dass sie Hochschullehre nachhaltig verändern werden.
Also wünschen Sie sich, dass es mehr öffentlich zugängliche Lehrangebote gibt?
Ich denke, dass es eine gute Idee ist, nicht nur auf die eigenen Lehrveranstaltungen zu schauen oder zu überlegen, wie man nur die eigenen Studierenden gut versorgt bekommt. Ich erhalte von überall in Deutschland, Österreich oder der Schweiz Rückmeldungen über meine offenen Kurse. Es gehen fast täglich Mails von Studierenden ein, die sich mit meinen YouTube-Videos auf ihre Prüfungen an anderen Hochschulen vorbereitet haben.
Das ist der Grundgedanke einer offenen Hochschule: Studierende haben frei verfügbare Lernmaterialien genutzt und mit ihnen vielleicht ein bisschen mehr verstanden als bei ihrem eigenen Dozenten. Was kann man als Dozierender mehr wollen?
Das war übrigens eines der wesentlichen Ziele, mit dem ich damals angetreten bin: Nicht nur meinen eigenen Studierenden digitale Lernformate zur Verfügung zu stellen, sondern auch anderen, die sich für das Thema interessieren – oder damit konfrontiert werden, wie es bei der Statistik vielleicht häufiger der Fall ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
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