Marcel Reif wurde 1949 als Sohn eines polnischen Juden und einer deutschen Katholikin in Niederschlesien geboren und zog im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Kaiserslautern. Nach dem Abitur studierte er in Mainz Publizistik, Politikwissenschaft und Amerikanistik und arbeitete in der politischen Redaktion des ZDF.
Nach acht Semestern brach er sein Studium ab: Statt sich in seiner Doktorarbeit mit den Tücken der Inhaltsanalyse herumzuschlagen, startete er vom Lerchenberg aus seine Journalistenkarriere. Nach einer Tätigkeit im Londoner Auslandsstudio des ZDF wechselte er 1984 in die Sportredaktion, wo er vor allem als Fußball- und Eishockeykommentator zu sehen war. 1994 übernahm er die Stelle des Chefkommentators bei RTL. 1999 wechselte er zum Pay-TV-Sender Premiere (heute: Sky), wo er bis 2016 als Chefkommentator tätig war. Derzeit ist Reif regelmäßig als Experte im Sport1-Doppelpass zu sehen.
Publizissimus: Herr Reif, Sie haben Ihr Publizistikstudium in Mainz abgebrochen. Das gilt auch für Ihren Kommentatoren-Kollegen Béla Réthy. Muss man das Publizistikstudium hinschmeißen, wenn man später erfolgreicher Sportjournalist sein will?
Nein, der Umkehrschluss ist natürlich Quatsch. Dennoch muss man sagen, dass ich den damaligen Berufseinstieg nur machen konnte, weil ich das Studium nicht weitergeführt habe. Ich stand damals kurz vor meiner Promotion und nach meiner Bewerbung beim ZDF sagte man mir: "Wenn du den Job haben willst, dann jetzt!" Da war für mich klar, ich wage diesen Schritt. Das würde man heute nicht mehr so machen, aber damals hat mir das ZDF mit dem attraktiven Stellenangebot keine andere Wahl gelassen.
Welche Erwartungen hatten Sie an das Studium?
Ich habe mir erhofft, dass das Studium in Mainz vom Journalismus geprägt sein würde. Tatsächlich lag der Fokus dann aber unter Noelle-Neumann stark auf der Inhaltsanalyse. Ich fühlte mich eher wie im Allensbacher Institut. Mit Journalismus hatte das in meinen Augen wenig zu tun.
Der Name Elisabeth Noelle-Neumann ist auch heute noch jedem Publizisten am IfP ein Begriff. Was verbinden Sie mit der Institutsgründerin und Mrs. Schweigespirale?
Frau Noelle-Neumann war meine Doktormutter. Unter dem Titel "Das Deutschlandbild in den deutschen Massenmedien nach 1949" hatte ich begonnen, meine Doktorarbeit bei ihr zu schreiben. Dass das Werk dann letztendlich nicht fertig wurde, lag an besagter ZDF-Stelle. Ich hoffe aber, dass inzwischen mal jemand meine Arbeit zu Ende geschrieben hat.
Sie sind in Polen geboren, haben ein Jahr in Israel gelebt. Den größten Teil Ihrer Kindheit haben Sie in Kaiserlautern verbracht, ehe es Sie über Mainz nach London und in die Schweiz führte. Bei der Vielzahl Ihrer unterschiedlichen Stationen: Welche Rolle spielt Mainz?
In Mainz war meine Universität. Die Stadt ist sicher eine wichtige Station, aber nicht die entscheidende. Was in der Rückschau bleibt, sind einige schöne Erinnerungen an meine Studienzeit und ein paar alte Bekannte, die ich später beim ZDF kennenlernen durfte. Am aufregendsten war mit Sicherheit die Zeit in London. Dort war ich im Auslandsstudio tätig und war meinem Berufswunsch Auslandskorrespondent schon sehr nah.
Trotz ihrer zweijährigen Arbeit im Auslandsstudio: Heute sind Sie den allermeisten Fernsehzuschauern nicht als Auslandskorrespondent, sondern als Fußballkommentator bekannt. Wie kam es zum Seitenwechsel?
Das lag daran, dass ich damals den Job als Auslandskorrespondent nicht bekam. Ich schmollte, war beleidigt und bekam das Angebot, im Sport zu arbeiten. Wenn ich jetzt zurückblicke, dann bereue ich es wirklich nicht, zum Sport gegangen zu sein.
Über Ihren Wechsel waren zunächst nicht alle restlos begeistert: Franz Beckenbauer stänkerte über Sie: "Der spricht wunderbare politische Kommentare, aber bitteschön lasst ihn vom Fußball weg."
Es ist ein Stück weit normal, dass man als Quereinsteiger Kritik einstecken muss. Auch wenn ich jahrelang Fußball gespielt hatte, war ich dennoch ein Neuling auf dem Gebiet. Aber vielleicht konnte ich Franz Beckenbauer in all den Kommentatoren-Jahren auch noch vom Gegenteil überzeugen.
Mit Beckenbauer wären wir schon bei einer Fußballlegende. Mit dem brasilianischen Jahrhundertfußballer Pelé hätte Sie um ein Haar tragisch Bekanntschaft gemacht.
Oh ja. Ich war 1994 bei der WM im Einsatz und sollte das Finale zwischen Brasilien und Italien kommentieren. Gespielt wurde in der Abendhitze von Pasadena [Kalifornien, Anm. der Red.] in einem Stadion ohne Dach. Schon im Vorfeld meinten meine Kollegen zu mir, ich solle extrem viel trinken. Das tat ich dann auch.
Leider hatte ich dann so ab der 70. Spielminute das dringende Bedürfnis, das Getrunkene wieder los zu werden. Aber ich hatte absolut keine Chance, meinen Kommentatoren-Platz zu verlassen. Also fasste ich den Entschluss, einfach laufen zu lassen. Vorab wollte ich mich nur noch versichern, wer vor mir saß und potenziell getroffen werden könnte. Als ich dann direkt unter mir Pelé sitzen sah, dachte ich mir: Das geht nicht, du musst einhalten. Auf Pelé pinkelt man nicht! Unter tierischen Schmerzen habe ich dann an mich gehalten, aber ich habe meine Blase auf das Äußerste strapaziert.
Was würden Sie jungen Publizistik-Studierenden raten, die eine Kommentatoren-Laufbahn einschlagen wollen?
Im Endeffekt braucht es als Sportkommentator zwei Dinge. Zum einen die Sprache und zum anderen die Kompetenz. Die Sprache ist wichtig, um während des Fußballspiels nicht wie ein mittelmäßig begabter Schimpanse daherzureden. Das kann man aber üben und sprachlich immer wieder an sich arbeiten. Wie in allen anderen Bereich auch ist das spezifische Fachwissen die zweite Säule. Über Spieler, Statistiken und Hintergründe muss ich als Sportjournalist Bescheid wissen, um fachlich punkten zu können. Kommentator sein, das klingt immer so schick, weil jeder glaubt es zu können. Es ist aber unterm Strich ein Beruf, ein Handwerk, das man professionell erlernen muss.
Hat sich Ihrer Meinung nach das Kommentieren in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Ich denke schon. Die Zeiten und der Sport haben sich massiv geändert. Hin und wieder merkt man das auch am Kommentar zum Fußballspiel. Was sich jedoch nie ändert, ist man selbst. Jeder entwickelt für sich einen eigenen Stil und den behält man eben auch bei. Ich denke das ist auch gut so. Das rate ich auch jungen Journalistenkollegen: Versucht nicht Trends nachzulaufen, sondern die eigene Persönlichkeit einzubringen.
Der Hass im Netz nimmt genauso zu wie der Hass auf Journalisten. Welchen persönlichen Umgang haben Sie mit Hassbotschaften gefunden, die Sie persönlich erreichen?
Ich denke den richtigen Umgang mit Hass kann man nie finden. Hass hat im Umgang miteinander nichts zu suchen, weil Hass selbst eben nie die richtige Umgangsform ist. In der Vergangenheit habe ich es immer so gehandhabt, dass ich solchen Stimmen keine Aufmerksamkeit schenke. Ich bin immer gerne bereit für einen offenen Austausch, auch mit Kritikern. Aber dann eben auf einer sachlichen Ebene von Mensch zu Mensch und nicht in der Anonymität des Internets. Denn aus sozialen Medien werden schnell asoziale Medien.
Und genau deshalb, wandern E-Mails und Nachrichten, in denen man mich persönlich angreift, direkt in den Müll. Wenn aber meine Familie angegriffen wird, ist bei mir eine Grenze überschritten und ich schalte in einen komplett anderen Modus. Dann scheue ich es auch nicht, rechtliche Schritte einzugehen. Als man mir anonym schrieb: "Deine Familie soll brennen!" habe ich es geschafft, den Verfasser ausfindig zu machen. In letzter Konsequenz wurde die Person für ihren geistigen Müll auch verurteilt.
Sie haben in Jugendjahren die Fußballschuhe für den 1. FC Kaiserslautern geschnürt und stehen dem Verein aktuell mit Ihrer Expertise zur Seite. Wann sehen wir Ihren FCK mal wieder im Derby gegen Mainz 05?
Da Mainz kurz vor knapp den Abstieg verhindern konnte, wird das kommende Saison wohl erstmal nicht passieren. Ich würde das Derby sowieso viel lieber in der 1. Liga sehen. Bis zum nächsten Aufstieg in Lautern wird es jedoch noch eine Weile dauern. Ich fürchte, auf absehbare Zeit spielen die Städte in unterschiedlichen Ligen.
Herr Reif, vielen Dank für das Interview!
Dieser Artikel wurde in ähnlicher Form im Publizissimus, der studentischen Institutszeitung der Publizisten, im Sommersemester veröffentlicht. Die Bearbeitung für die Redaktion von campus-mainz.net übernahm Alena Weil. Dem Publizissimus kann man auf Facebook und Instagram folgen.
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