Interview | "Anschließend stecken wir Studenten in die Produktion"

26.02.2018
Studium, Freizeit...
Jimmy Both, Henrik Rampe

EU-Politiker und Satiriker Martin Sonneborn blickt auf seine Studienzeit in der Hängematte zurück und verrät, warum er sich bei dem "Abschaum der europäischen Politik" mittlerweile wohlfühlt.

Journalismus, Satire und Politik. Bei Martin Sonneborn laufen alle drei Lebenswelten zusammen. 2014 zog er mit seiner Satirepartei "Die PARTEI" als Abgeordneter ins Europaparlament ein. Zuvor hat sich der 52-Jährige ("Sie können mich Herr Magister nennen") als Mitherausgeber des Satiremagazins "Titanic" und als Außenreporter der ZDF heute-show einen Namen gemacht. 

CM: Sie studierten in Münster, Berlin und Wien. Der Name Mainz taucht in ihrer Biographie nicht auf. Was assoziieren sie mit der Stadt Mainz?

Sonneborn: Absolut nichts. Ich bin einmal dort gewesen, um mit ZDF neo zu verhandeln. Wir mussten das Hotel selbst bezahlen und die Anfahrt auch. Das verbinde ich mit Mainz.

Warum sollten junge Menschen und insbesondere Studierende Die PARTEI wählen? 

Wir betreiben natürlich genauso Klientelpolitik wie die verfickte FDP. Studenten sind für uns Elite, das weiß ich, weil ich selbst 15 Jahre studiert habe. In der Zeit habe ich 800 Mark BAföG bekommen und in einer Hängematte in Münster darüber nachdenken können, was ich im Leben nicht machen möchte. Mit insgesamt 15 Wochenstunden in Germanistik und Publizistik war das damals möglich. Das habe ich zu schätzen gelernt. Sobald wir an der Macht sind, werden wir deshalb den ganzen verschulten Bachelor-Quatsch rückgängig machen. Für jeden Studenten gibt es dann 15 Semester lang 1.050 Euro plus Miete. Obwohl Miete hier DDR-Mieten meint – also gibt es effektiv nur 1.050 Euro. Anschließend stecken wir Studenten dann in die Produktion.

Bei Wahlen an deutschen Unis fährt Die PARTEI regelmäßig beachtliche, teils zweistellige Ergebnisse ein. Warum ist sie gerade bei Studierenden so beliebt? 

Wir sind eine Protestpartei für intelligente Wähler. An Universitäten gibt es viele intelligente Menschen. Um das zu schätzen, was wir als Partei leisten, benötigt man einen gewissen Intellekt und auch eine Portion Humor. Das findet man an Universitäten eher. 

Wie müssen wir uns Sie als Student vorstellen? Fingerschnipsend in Reihe eins oder eher als notorischer Schwänzer?

Ich gehörte zu den Studenten, die Germanistikkurse mittags von 12 bis 14 Uhr gewählt haben und nicht die Parallelkurse morgens um 8 Uhr. Nur einmal im Semester bin ich in den Kurs am frühen Morgen gewechselt, um Leute kennenzulernen, die einem dann am Tag der Prüfung die Klausurfragen mit auf den Weg gegeben haben. Das war möglich, weil der Kurs von dem gleichen Dozenten geleitet wurde. So konnte ich dann in der Klausurstunde die verzweifelten Blicke der Altstudenten genießen, während ich selbst ganz gelangweilt mein Blatt schnell abgeben konnte. 

Humor im Parlament und ein Irrer am roten Knopf der Atomwaffen

Sie haben Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaft studiert. Mittlerweile teilen Sie sich in Brüssel den Arbeitsplatz mit dem, wie Sie selbst sagen, "Abschaum der europäischen Politik". Sollte man ein Studium der Geisteswissenschaften also besser meiden, wenn man später in einem seriösen Beruf Fuß fassen möchte?

Nein, das glaube ich nicht. Jede Art von Studium, das einem Zeit lässt, selbst über Dinge nachzudenken, ist angemessen.  Wenn man kein Faible für Jura oder Mathematik hat, dann kann ich geisteswissenschaftliche Studiengänge empfehlen. 

Als Sie vor mehr als drei Jahren ins Europaparlament gewählt wurden, sagten Sie auch, Sie könnten nicht garantieren, dass Sie "diesen gut dotierten Irrsinn" lange durchhalten. Sie sind nun immer noch Parlamentarier. Warum?

Ich habe auch gesagt, dass ich solange bleibe, wie es interessant ist. Es gab zwar einen Tiefpunkt, weil mir alle Leute, die ich begleitet habe, abhandenkommen. Chulz (Martin Schulz, Anm. d. Red.), mein alter Chef, ist nach Deutschland gegangen, genauso wie Frau von Strolch (Beatrix von Storch, Anm. d. Red.). Elmar Brocken (Elmar Brok, Anm. d. Red.) ist entmachtet worden und Herbert Reul, einer meiner dümmsten Freunde im Parlament, ist jetzt Innenminister in NRW. Zum Glück geht es jetzt wieder aufwärts, gerade habe ich ausversehen eine wichtige Abstimmung entschieden, die den Datenschutz in Europa erheblich stärken wird.
 
Wie? 

Ich habe mich mit einem Trick als Stellvertreter für den Nazi Udo Voigt, der eine Woche nicht in Brüssel war, in einen Ausschuss gemogelt, in dem ich eigentlich gar nicht sitze. Und dort konnte ich die eine fehlende Stimme zur absoluten Mehrheit liefern, die jetzt dafür sorgt, dass Messenger-Dienste wie WhatsApp und SMS nicht entschlüsselt werden dürfen, dass Sie nur getrackt und ausgespäht werden dürfen, wenn Sie die Erlaubnis dazu erteilen. Mit der Abstimmung konnten wir CDU/CSU ärgern und die komplette datensammelnde Industrie. Und die 184.709 PARTEI-Wähler können sicher sein, dass ihre Stimme nicht verschenkt ist.

In Brüssel haben Sie es mit einigen Polit-Dinosauriern zu tun, die teilweise seit Jahrzehnten im EU-Parlament sitzen. Was konnten Sie von diesen Kollegen noch lernen?

Ich glaube, ich bin hier, um zu lernen, wie man einen Kontinent gegen die Wand fährt. Dabei habe ich hier gute Lehrmeister.

Haben Ihre Kollegen im Parlament Humor?

Einige sicher schon. Es gibt, wie bei jeder Zusammenhortung von Menschen, ein paar, die Humor haben und die wird es auch im Parlament geben.

Sie sitzen im EU-Parlament im Ausschuss für die Beziehungen zur koreanischen Halbinsel. Wie erleben Sie derzeit den Konflikt zwischen den USA und Nordkorea bzw. zwischen Donald Trump und Kim Jong-un?

Der Konflikt ist gefährlich, weil man weiß, dass ein Irrer die Hand am roten Knopf der Atomwaffen hat. Also Trump. Die nordkoreanische Seite ist relativ leicht auszurechnen, denen geht es um Machterhalt. Das ist keine begrüßenswerte, aber eine nachvollziehbare und logische Position. Was hingegen den senilen Greis aus den Vereinigten Staaten antreibt, das weiß ich nicht. Der bereitet mir große Sorgen.

"Wir sind die Erfinder des seriösen Populismus"

In einem vielzitierten Text beantwortete Kurt Tucholsky einst die selbstgestellte Frage, was Satire dürfe. Die knappe Antwort lautete: Alles. Stimmen Sie dem zu? 

Ja. 

Auch Ihre Antwort fällt überraschend knapp aus. 

Heute könnte man ergänzen: Satire hat alles gedurft. Ich glaube, heute darf sie nicht mehr alles. Vergangene Satire ist immer sehr gut, wird als Beispiel heranzitiert, wie Satire sein sollte oder sein kann. Heute wird man doch schnell verklagt, Titanic weiß es ja am besten, von Wirtschaftsunternehmen, von Privatpersonen oder auch mal vom Papst, wenn man sich weit aus dem Fenster lehnt.

Sie sprechen das Thema gerade an. Wenn eine böse oder grenzwertige Satire veröffentlicht wird, egal von welchem Urheber, hat man den Eindruck, im Netz erhebe sich eine Armee der moralischen Aufrichtigkeit, die zu wissen glaubt, was Satire oder Humor darf und was nicht. Was halten Sie von solchen Diskussionen?

Die Empörungsbereitschaft im Internet ist ziemlich groß und wird von Medienseite teilweise angeheizt bzw. weiterverbreitet. Ich weiß es von der BILD-Zeitung. Wenn wir als Titanic Späße gemacht haben, die der BILD-Zeitung nicht gefallen haben, dann haben die ihre Leser praktisch aufgefordert, Stellung zu beziehen. Das ist natürlich aus unserer Sicht eine dankbare Situation. Wir nennen das eine Win-win-Situation. Denn aus der Empörung speist sich natürlich auch wieder viel Komik.

Der Populismus ist zurzeit sowohl im Internet als auch an der Wahlurne äußerst erfolgreich. Sie beschreiben sogar Ihre Partei als schmierig und populistisch. Woher kommt dieser Erfolg? 

Wir sind ja die Erfinder des seriösen Populismus im Jahre 2004 und werden jetzt von dahergelaufenen, unseriösen Populisten wie der verfickten AfD praktisch überrundet, wenn es um den Einzug in den Bundestag geht. Das ist natürlich demütigend und bestärkt uns auch in der Auseinandersetzung mit diesen Parteien. Aber Populismus oder der Erfolg populistischer Parteien ist natürlich ein Indiz dafür, dass eine wirtschaftliche Entwicklung, wie wir sie zurzeit in Deutschland und in Europa haben, in die falsche Richtung geht und dass Globalisierung und Vergrößerung von Armut irgendwann zu kritischen Massen führen.

Werden Sie 2019 noch einmal als Spitzenkandidat zur Europawahl antreten?

Es gibt interessante Entwicklungen. Es gibt Versuche von CDU und SPD, das Wahlrecht zu ändern und eine Drei-Prozent-Hürde einzuführen. Wenn das gemacht wird, werde ich auf jeden Fall antreten, denn das wird noch mal eine wirklich sportliche Herausforderung. 

Ronald Pofalla ist bei der Deutschen Bahn, Gerhard Schröder im Aufsichtsrat von Rosneft. Wenn Sie nicht mehr im Parlament sitzen, für wen würden Sie gerne mal Lobbyarbeit machen wollen?

Ich betreibe prinzipiell keine Lobbyarbeit. Ich betreibe auch prinzipiell keine Arbeit mehr, wenn ich aus dem Europaparlament ausscheide. Dann will ich nur noch im Gasthaus sitzen, Zeitung lesen und kleine Sachen schreiben.

Keine halben Sachen...

Im Anschluss an das Gespräch haben wir Martin Sonneborn gebeten, die folgenden (Halb-)Sätze zu ergänzen: 

1. Wenn ich eine Woche lang mit Angela Merkel den Job tauschen könnte, würde ich… sie inhaftieren lassen und einem Schauprozess unterziehen. Im Olympiastadion. In einem Käfig.

2. Als Donald Trump gewählt wurdezu Donald Trump fällt mir nichts mehr ein.

3. Am liebsten wäre ich gerade… Regierungschef in Bayern.

4. Alexander Gauland würde ich gerne einmal… zu Angela Merkel in den Käfig sperren.

5. Warum fragt mich eigentlich nicht mal jemand… ob ich überhaupt Lust habe, solche Satzergänzungsspielchen mitzumachen.

 

Dieser Artikel wurde in ähnlicher Form im Publizissimus, der studentischen Institutszeitung der Publizistik, im Wintersemester veröffentlicht. Die Bearbeitung für die Redaktion von campus-mainz.net übernahm Elisabeth Brachmann. Dem Publizissimus kann man auf Facebook und Instagram folgen.

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