Idomeni – Eine Reise ins Ungewisse

06.05.2018
Freizeit
Gastbeitrag von Ramon Weber

David Lohmüller ist Fotograf und als freiwilliger Helfer auf den Fluchtrouten Europas unterwegs. In seinem eindrucksvollen Fotovortrag erzählt er von seinen Begegnungen am Bahnhof von Idomeni.

Die Amnesty International Hochschulgruppe der Universität Mainz hat David Lohmüller eingeladen, um über seine Erlebnisse auf der Balkanroute zu berichten. David Lohmüller ist freier Fotograf, stammt selbst aus Freiburg und erzählte dort erstmalig in Kooperation mit einer Amnesty International Hochschulgruppe von seinen Erlebnissen in Idomeni. Seitdem tourt er damit durch ganz Deutschland.  

Leonie Sayer und Betül Kiraz, Mitglieder der Mainzer Hochschulgruppe, gaben zunächst einen Überblick über die Lage weltweit und in der EU. Etwa 65 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht. Während die Mehrheit innerhalb ihres eigenen Landes flieht, suchen weniger als 5 Prozent Asyl. Im Gegensatz zu der häufigen Annahme, die meisten Menschen würden von Ländern des Globalen Nordens aufgenommen, leben etwa 84 Prozent der Geflüchteten in Ländern des Globalen Südens in den Hauptaufnahmeländern Türkei, Pakistan, Libanon, Iran, Uganda und Äthiopien. 

Sayer und Kiraz appellierten an die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, die Menschen in diesen Ländern nicht im Stich zu lassen und forderten insbesondere die Solidarität der Länder innerhalb der EU ein. Kernforderungen von Amnesty International seien im Flüchtlingsschutz die Gewährung fairer Asylverfahren, die Abschaffung von sicheren Herkunftsländern und die Schaffung von sicheren, legalen und menschenwürdigen Zugangswegen nach Europa, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Genfer Flüchtlingskonvention begründet sind. Zudem wiesen sie auf eine Petition an den Bundesinnenminister hin, in der sie fordern, Abschiebungen in das weiterhin unsichere Afghanistan zu stoppen. Daraufhin übergaben sie das Wort an den Referenten David Lohmüller.

Eine Zäsur im Leben

Lohmüller erzählte von Erfahrungen, die er noch vor der Zeit des Bürgerkriegs in Syrien sammelte. Insbesondere die Gastfreundschaft, Land, Menschen und Kultur bewegten ihn so sehr, dass er beschloss "den Menschen dort wieder etwas zurückzugeben, wenn sich die Gelegenheit bietet." So machte er sich, als er nach über 10 Jahren vom Ausbruch des Bürgerkriegs, dem Elend in Syrien und den vielen Geflüchteten hörte, im Oktober 2015 auf den Weg zur Balkanroute. Dort schloss er sich den Helferinnen und Helfern der Intereuropean Human Aid Association (IHA) an und kam zunächst an die serbisch-kroatische Grenze. Auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung half er bei den Hilfsmaßnahmen und gab den frierenden Menschen Decken aus.

Gleich zu Beginn musste er die Erfahrung machen, wie schwierig es ist, aufgrund begrenzter Hilfsgüter einem Menschen die Ausgabe einer solchen Decke zu verweigern. Die Ausgabe war auf Kinder beschränkt und somit musste er einem frierenden Mann die Bitte nach einer wärmenden Decke ausschlagen. Acht Tage lang half er dort bei Wind und in strömendem Regen aus, um den Tausenden täglich ankommenden Menschen, die zum Teil in T-Shirt und Flip-Flops unterwegs waren und am Straßenrand oder auf Friedhöfen übernachteten, irgendwie zu helfen. 

Diese Erlebnisse waren für ihn wie eine Zäsur im Leben. Er musste wieder zurück nach Deutschland, um weiter als freier Journalist zu arbeiten und wusste bereits, dass dieser Hilfseinsatz nicht sein letzter war. Er hatte schon einen Surfurlaub in Sri Lanka gebucht, als er von der Not in dem kleinen Dorf Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze hörte.

Der Ruf aus Idomeni

An einem kleinen Bahnhof im sehr überschaubaren Ort Idomeni sammelten sich Tausende Geflüchtete. An der Endstation der Balkanroute entstand ein gigantisches Flüchtlingslager. David cancelte seinen Flug nach Sri Lanka und reiste nach Griechenland. Aus Berichten der Medien erwartete er allein reisende junge Männer und fand stattdessen fröhliche Familien vor. Als er dort ankam, war das Wetter gerade besser geworden, nachdem das Camp tagelang unter Wasser gestanden hatte. Es kam ihm dort manchmal vor, als sei er auf einem großen Festival. "Alle waren am Spielen und Tanzen und es war richtig gute Stimmung", erzählt Lohmüller. Dennoch war die Situation sehr ernst. Allein für eine Tasse Suppe oder Tee mussten die Geflüchteten stundenlang anstehen und konnten sich noch nicht einmal sicher sein, ob sie überhaupt etwas abbekommen werden. Fehlende sanitäre Anlagen, zu wenig Wasser, schlechte hygienische Bedingungen, Hunger und unzureichende medizinische Versorgung waren Alltag.

Entlang einer Autobahnroute entstanden mehrere weitere Flüchtlingscamps und die Infrastruktur der Hilfsorganisationen. Lagerhallen wurden zur Versorgung mit Hilfsgütern angemietet. In einem dieser Lager waren Helferinnen und Helfer notdürftig untergebracht. Für 60 Personen standen hier zwei Toiletten und eine Dusche zur Verfügung, ohne Stromversorgung. Das Camp wurde in verschiedene Sektoren unterteilt, in dem sich zur Hochphase knapp 18000 Menschen aufhielten.

Bananen für Kinder

In den ersten vier Wochen schloss sich Lohmüller im Camp dem Team "Bananas" an. Dort kauften Helferinnen und Helfer Bananen und verteilten sie an Geflüchtete. Am nächsten Tag waren es schon mehrere Kisten. "Die Bananen gingen weg wie warme Semmeln und es gab lange Gesichter, wenn es einmal keine Bananen gab", so Lohmüller. "Nicht alle konnten mit den Bananen versorgt werden, aber zumindest die Kinder."

So kam es dazu, dass eines Tages ein kleines Mädchen, Pirzheen aus dem Nordirak, ihre Hilfe anbot und ihn fleißig bei seiner Arbeit unterstützte. Sie konnte nicht nur helfen, zu übersetzen, sondern kannte ihre Nachbarschaft, wusste immer genau, wie viel Kinder in einem Zelt sind und konnte somit zu einer gerechten Verteilung der Bananen beitragen. So entwickelte sich im Laufe der Zeit eine tiefe Freundschaft mit ihr und ihrer Familie, die bis zum heutigen Tag anhält. "An ihrem 14. Geburtstag wurde dann eine kleine Party für sie geschmissen, inklusive Geburtstagskuchen", erinnert sich Lohmüller. 

Nicht nur Bananen wurden verteilt, sondern es gab noch etwa 30 bis 40 andere Projekte. So wurde Tee ausgeschenkt, Suppe ausgegeben, eine Küche errichtet oder Kleider verteilt. Es wurde eine kleine Schule aufgebaut, die von Helferinnen und Helfern sowie geflüchteten Lehrerinnen und Lehrern mit eigenem Stundenplan geleitet wurde. Das trug laut Lohmüller dazu bei, Normalität im Camp zu etablieren. In einem Info-Zelt wurde über die aktuelle politische Situation aufgeklärt.

Große Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen hatten eine Vielzahl an Zelten zur Unterbringung und medizinischen Versorgung aufgebaut und auch die Organisationen Terre des hommes und die UN Refugee Agency (UNHCR) unterstützten die Menschen vor Ort.

Mit dem Licht kommt das Lachen

Im Laufe der Zeit entdeckten die Helferinnen und Helfer immer weitere Möglichkeiten, um die Geflüchteten in ihrer Situation zu unterstützen. So bemerkten sie, dass für Licht und Wärme nachts Kleider verbrannt wurden. Sie besorgten dann Solarlampen und verteilten diese nachts unter den Geflüchteten, um zu sehen wie es ankommt. Es war sehr beeindruckend, die lachenden Gesichter der Menschen zu sehen.

Lohmüller griff zu seiner Kamera und machte Bilder, womit er das Projekt "lighten up Idomeni" startete. Er veröffentlichte die Fotos auf Facebook und sammelte damit fast 10 000€ Spendengelder. Damit kaufte er weitere Solarlampen in einem kleinen Laden in Polikastro, der wohl das Geschäft seines Lebens machte. Insgesamt verteilten sie somit um die 2000 Lampen.

Gerüchte über Grenzöffnung

Immer mehr Menschen versammelten sich am Bahnhof von Idomeni und das Camp wuchs zum größten Flüchtlingslager Europas seit dem 2. Weltkrieg an. Schwindende Hoffnung und die Not der Menschen führte zu anhaltenden Gerüchten über eine bevorstehende Öffnung des nahegelegenen griechisch-mazedonischen Grenzübergangs. Wenn sich nur genügend Menschen am darauffolgenden Sonntag dort versammelten, solle die Grenze geöffnet werden.

Die Helferinnen und Helfer versuchten, diesen Gerüchten entgegenzuwirken und zu überzeugen, dass sich dadurch nichts ändert, wenn man statt in den Zelten zu verbleiben am nahen Grenzübergang steht. Der kleine Funken Hoffnung führte jedoch dazu, dass sich immer mehr Menschen am Grenzzaun versammelten und dort demonstrierten. Die Stimmung heizte sich auf und die Menschen gingen nicht wieder zurück zu den Zelten, sondern hielten sich weiter direkt am Zaun auf. Bald begannen die ersten am Grenzzaun zu rütteln, Stacheldraht wegzuschieben oder am Zaun hochzuklettern.

Sofort reagierte die mazedonische Grenzpolizei, indem sie Blendgranaten und Tränengaskartuschen abfeuerte. Dramatische Szenen spielten sich ab, Einzelne versuchten die Tränengaskartuschen zurück zu werfen, Menschen begannen zu husten. Gummigeschosse wurden abgeschossen, Verletzte mussten versorgt werden. Tränengas wurde bis tief ins Camp verschossen. Die Stimmung im Camp war nun endgültig gekippt.

>>> Seite 2: Kampfjets und Militärhubschrauber über Idomeni

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