Gibt es zu viele Studierende?

27.02.2018
Studium
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Akademisierungstrend in Deutschland: Mehr als 2,8 Millionen Studierende gab es im Wintersemester 2017/18 – rund ein Drittel mehr als vor fünfzehn Jahren. Brauchen wir weniger Menschen mit Hochschulabschluss?

Mit überfüllten Vorlesungssälen, langen Schlangen an den Essensausgaben der Mensen, unzureichend Arbeitsplätzen in den Bibliotheken und immer höheren Mieten für Wohnheime müssen sich an deutschen Universitäten viele Studierende herumschlagen. Einer der Gründe dafür ist die stetig steigende Zahl der Studierenden. Etwas mehr als ein Drittel der Schulabgänger erhält nach Angaben des Bundesministeriums für Forschung und Bildung eine Hochschulzugangsberechtigung, davon beginnt laut statistischem Bundesamt etwa jeder Zweite ein Studium.

Uni statt Ausbildung

Parallel zur wachsenden Zahl von Akademikerinnen und Akademikern bleiben immer mehr Ausbildungsstellen unbesetzt, auf zahlreichen Berufsmessen werben Unternehmen für ihre Ausbildungsplätze. Dazu erklärte Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU): "Der Wert der beruflichen Ausbildung – ein Erfolgsmodell mit Weltklasse – muss auch in Deutschland wieder stärker in die Gesellschaft verankert werden."

Das duale Ausbildungssystem als Kombination zwischen berufsbezogenem Unterricht und Praxiserfahrung im Betrieb ist ein deutsches Markenzeichen und Qualitätssiegel. Dennoch entscheiden sich immer mehr Abiturientinnen und Abiturienten für den akademischen Weg, studieren lieber Elektrotechnik, statt eine Ausbildung zum Elektroniker zu machen.

Es stellt sich die Frage: Sollte jeder studieren, der studieren kann? Immerhin bringt auch eine Ausbildung viele Vorteile mit sich. Ein früher Einstieg ins Berufsleben ermöglicht durch sofortiges eigenes Einkommen finanzielle Sicherheit und frühe Unabhängigkeit von den Eltern. Dass Auszubildende bereits früh praktische Erfahrungen sammeln, macht sie auf dem Arbeitsmarkt attraktiv. Außerdem werden Fachkräfte auch in Zukunft stark gefragt sein.

Wie viele Akademiker braucht Deutschland?

"Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass, wenn alle studieren, alle in Zukunft Führungsfunktionen in Staat und Wirtschaft einnehmen werden?", fragte Philosoph Julian Nida-Rümlein bereits 2013 im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Damit spricht er an, dass der Arbeitsmarkt möglicherweise nicht genug Stellen für hochqualifizierte Absolventen hergibt.

Es könnte so zu einer Verwässerung des akademischen Niveaus kommen, befürchtet Ralph Bollmann ebenfalls in der FAZ. In den meisten Branchen seien die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten für Bewerberinnen und Bewerber ohne Hochschulabschluss nach oben begrenzt. Wenn aber alle Bewerber studiert haben, seien auch die Akademiker nichts Besonderes mehr und die Abschlüsse verlören an Wert.

Nida-Rümlein kritisiert weiter, dass die akademische Ausbildung zu stark wissenschaftlich orientiert und zu wenig berufsvorbereitend sei. Er befürchtet, dass ein steigender Anteil an Studierenden deshalb mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit einhergehe. Allerdings war die Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen laut Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2016 mit 2,3% so gering wie seit 37 Jahren nicht mehr.

"Talentförderung muss weitergehen"

Der hohe akademische Bildungsgrad der deutschen Bevölkerung steht allerdings auch für eine erhöhte Bildungsfreiheit. Eine Einschränkung des Hochschulzugangs sei daher nicht denkbar und gehe zwangsläufig auf Kosten der Chancen- und Generationengerechtigkeit und damit zu Lasten derer, die noch am Anfang ihres Bildungsweges stehen, warnt Bildungsmanagerin Elke Völmicke in der ZEIT.

Laut Hochschulforschern wird in ökonomisch starken Ländern mit hohem Qualifikationsniveau zudem  größerer wirtschaftlicher Erfolg und geringere Arbeitslosigkeit beobachtet. Auch die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) befürwortet die steigenden Studierendenzahlen. Auch nach Auffassung der OECD geht eine hohe Akademisierungsquote einher mit wirtschaftlichem Wohlstand. In jährlichen Berichten wurde in der Vergangenheit wiederholt angemerkt, dass der Anteil hochqualifizierter Jugendlicher in Deutschland im internationalen Vergleich sogar sehr niedrig sei.

Wirtschaftlicher Wandel erfordert höheren Bildungsgrad

In einem Beitrag für die Fachzeitschrift Ratio schreibt der Leiter des OECD Berlin Centers Heino von Meyer, dass für Unternehmen aller Art Innovationen sehr wichtig seien. Denn nur, wer seine Produkte und Leistungen ständig verbessere und weiterentwickle, könne auf dem Markt dauerhaft bestehen und wettbewerbsfähig bleiben. Innovation werde eben weniger von soliden Facharbeitern als von den Spitzenkräften einzelner Branchen vorangetrieben.

Außerdem erforderten zunehmend höhere Anforderungen an Berufe aller Art, nicht zuletzt bedingt durch den digitalen Wandel, auch einen höheren Bildungsgrad der Berufstätigen, so Meyer. Beispielsweise sorge der Schornsteinfeger nicht mehr nur für die Sicherheit der Feuerstätte, sondern fungiere gern auch als Energieberater. Auch der Automechaniker sei nicht mehr nur für handwerkliche Wartungs- und Reparaturarbeiten zuständig, sondern müsse nun auch computergesteuerte Abläufe überblicken können.

Es müsse seiner Meinung nach fließendere Übergänge zwischen akademischer und praktischer Ausbildung geben, zum Beispiel durch verstärktes Vermitteln praxisbezogener Kompetenzen im Studium und vielfältigere Möglichkeiten der akademischen Weiterbildung im Beruf.

Tendenziell weniger Studierende in Mainz

Ein Blick an die Uni Mainz zeigt allerdings auch: Der Akademisierungstrend spiegelt sich nicht überall wider. Noch vor fünfzehn Jahren waren im Wintersemester 36.439 Studierende an der Uni Mainz eingeschrieben, im Wintersemester 2017/18 waren es nur noch knapp 32.000.

Die Uni bewege sich mit diesen Studierendenzahlen nach wie vor auf einem hohen Niveau, urteilt darüber Prof. Dr. Georg Krausch, Präsident der JGU. Er rechne zudem auch zukünftig mit einem Rückgang der Studierendenzahlen. Gründe hierfür sieht er zum einen in den auslaufenden Magister- und Diplomstudiengängen, die früher eine längere Studiendauer mit sich brachten, sowie zum anderen im demografischen Wandel der Gesellschaft im Allgemeinen. Dennoch werde an der Uni Mainz weiterhin in die Qualitätssicherung des Studiums investiert, so Krausch.

Um die Qualität der Hochschulausbildung zu erhalten, sind schließlich Anpassungen an die steigenden Studierendenzahlen erforderlich. Denkbar ist dies beispielsweise durch erweiterte Räumlichkeiten und ein erhöhtes digitales Lehrangebot. Ohne eine Aufstockung staatlicher Fördermittel beispielsweise aus dem Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre wird diese Anpassung jedoch kaum möglich sein.

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