Filmkritik | Ivie wie Ivie

03.11.2021
Freizeit
kn

Ivie ist ihrem senegalesischen Vater nie begegnet, dennoch begleitet sie sein Erbe in ihrem täglichen Leben. Das Drama „Ivie wie Ivie“ nimmt am Langfilmwettbewerb des FILMZ Festivals 2021 teil.

Mit dem Lied „Thicker than Water“ von Emma Elisabeth wird der Film „Ivie wie Ivie“ eingeleitet: Man sieht Ivie (Haley Louise Jones), eine junge Frau, wie sie unter dem grellen Neonlicht eines Solarium-Studios die technischen Einrichtungen säubert und instand setzt. Kurz darauf klopft es an der Tür und ein sächsisch-sprechender Mann (Ingo) tritt ein.

 „Aber du bist doch schon braun“, so stellt sich Ingo (Maximilian Brauer), Ivies Kindergartenfreund und Ex-Freund, während der ersten Minuten seines Erscheinens dem Publikum vor – und trifft damit direkt den Kernkonflikt des 112-minütigen Debütfilms von Sarah Blaßkiewitz, die sowohl das Drehbuch geschrieben als auch Regie geführt hat. Erschienen ist der Film am 16. September 2021 im Zuge des Filmfests München unter der Produktionsfirma Weydemann Bros. Er ist der erste Langfilm der 35-jährigen deutschen Regisseurin, die zuvor bereits mehrere Kurzfilme während ihres Studiums an der Akademie der Künste in Wien gedreht hat und anfangs selbst als Schauspielerin tätig war.

Mit „Ivie wie Ivie“ wurde sie in diesem Jahr für mehrere Preise nominiert – u.a. für den Förderpreis Neues Deutsches Kino für Regie und Drehbuch während des Filmfests München, sowie für den Deutschen Filmpreis und den First Steps Award. 

„Blood is thicker than water”

Alles scheint perfekt: Ivie Schubert glaubt, es endlich geschafft zu haben, sich ihren Traum erfüllen und als „richtige“ Mathe- und Sportlehrerin arbeiten zu können. Denn „Ivie wie Ivie“ beginnt damit, dass die Protagonistin einen Brief erhält, in dem sie zur 2. Auswahlrunde als Lehrerin an einem freien Gymnasium eingeladen wird.

 

„Ich heiße Ivie Schubert, ich bin 30 Jahre alt und habe mein Referendariat bereits abgeschlossen...“, so beginnt Ivie ihr Vorstellungsgespräch. Doch schnell wird das Jobinterview wie viele weitere im Verlauf des Films auf ihre dunkle Hautfarbe gelenkt: Typische Fragen wie „Wo kommen Sie denn her?“ und Aussagen wie „Ich finde es toll, wie Sie sich in die deutsche Gesellschaft integriert haben“ schlagen ihr entgegen, ohne dass sie dies möchte. Ivie wirkt überfordert, dass ihr das Etikett der Migrantin auferlegt wird, überspielt es aber so gut es geht. Die Fragen hinterlassen einen bitteren Beigeschmack bei ihr – denn Ivie will aufgrund ihrer Qualifikation und nicht aufgrund ihrer Vorbildfunktion für Schüler:innen mit Migrationshintergrund eine Stelle als Lehrerin angeboten bekommen.

Damit führt der Film das Hauptthema ein: Unterschwelliger Rassismus, das ungewollte In-Schubladen-Schieben und die Reduktion der Protagonistin auf ihre Hautfarbe.

Der Film zeigt dabei wie Ivie ihren Alltag in Leipzig bestreitet, während immer wieder Szenen einer zweiten dunkelhäutigen Frau eingespielt werden. Die zweite, „andere“ Frau (Naomi) hat Geldsorgen und Schlafprobleme, macht Überstunden und erhält darüber hinaus einen Anruf, der sie zur Bezahlung einer Beerdigung auffordert.

Das bereits erwähnte Grundthema wird somit von zwei Seiten aus beleuchtet - von Ivies und von Naomis (Lorna Ishema), die plötzlich vor ihrer Tür steht, sich als ihre Halbschwester vorstellt und ihr von ihrem gemeinsamen Vater Amadu, der aus Dakar stammt, sowie von dessen Tod erzählt. Sie spricht Diskriminierung direkt an und macht damit auch Ivie auf diskriminierende Äußerungen ihrer Freunde aufmerksam, die so vorher nicht erörtert wurden. Die Beerdigung des Vaters steht an, die Naomi dazu nutzen will, ihre Familie kennenzulernen. Ivie ist wenig begeistert, wird aber von ihrer Schwester und ihrer Mutter Gabi (Anneke Kim Sarnau) zum Flug nach Dakar überredet. Die Reise findet für sie zwar nicht statt, dennoch beginnt Ivie damit, sich selbst zu hinterfragen, nachdem ihre Neugier einmal geweckt ist.

Film-Effekte unter der Lupe

Bereits in den ersten Minuten werden die wichtigsten Personen des Films eingeführt: Ivie und ihre Freund:innen Ingo und Anne (Anne Haug), ihre Mutter Gabi, sowie ihre Halbschwester Naomi. Somit erhält man als Zuschauer einen ersten Leitfaden, während der Film ruhig und eher gemächlich anläuft.

 

Dadurch wird das ernste Thema authentisch und lebensnah, ehrlich und ungeschönt, aber dennoch leichter als erwartet entfaltet. Dazu trägt auch die Kameraführung bei, die mit verschiedenen Kameraperspektiven spielt. Vor allem die Nahaufnahmen können hier als ein Highlight des Films hervorgehoben werden. Auch das Spiel mit Farben und Licht ist eindrucksvoll – besonders im Gedächtnis bleibt mir die Inszenierung von Ivie unter einer Bettdecke, die sich, untermalt von rhythmischem Trommeln, wie Wellen im Halbdunkel bewegt. Ebenso bemerkenswert ist der Einfall des blauen und roten Neonlichts im Eingangsbereich des Solariums, das mehrmals als Treffpunkt der Freunde dient. Musik wird eher sparsam verwendet, dennoch sind die musikalischen Untermalungen sehr passend zur jeweiligen Atmosphäre: Mal dynamisch beim Joggen, mal melancholisch bei Sorgen dienen sie dazu, die Authentizität des Films zu verstärken.

Überhaupt besticht der Film durch diesen Eindruck der Authentizität und Lebensnähe, der vor allem durch die gute schauspielerische Leistung herbeigeführt wird. Nichts wirkt gekünstelt oder gestellt, stattdessen bekommt man als Zuschauer:in den Eindruck, Frauen wie Naomi oder Ivie zufällig auf der Straße treffen zu können. Besonders gut hat mir hier die Verwendung mehrerer Sprachen und Dialekte gefallen, wenn Naomi erst auf Französisch, das sie aber nicht versteht, und dann auf Englisch mit ihren Verwandten in Dakar kommuniziert.

Highlight des Films: Schokolade ohne Vanille

Im Laufe des Films entbrennt eine interessante Diskussion zwischen Naomi und Ivies Kindergartenfreundin Anne, die mir auch nach dem Schauen des Films in Erinnerung geblieben ist, weil sie meiner Meinung nach den Kern des Films trifft. Es geht um den Spitznamen, den Anne für Ivie benutzt: „Schoko“. Dabei stellt Naomi die Frage, ob „Schoko“ als Spitzname für die dunkelhäutige Ivie eine Reduktion auf ihre Hautfarbe sei – vor allem da Anne im Gegenzug nicht „Vanille“ o.ä. genannt wird. Handelt es sich hierbei um einen Fall von „positivem Rassismus“, d.h. eine Überhöhung einer Person aufgrund äußerer Merkmale? Geht es um die Projektion eines unbewussten Rassismus von Anne? Oder ist eine solche Diskussion ‚too much‘, wenn es Ivie selbst nichts ausmacht und sie bloß abwinkt, während Anne das Problem nicht sieht, nachdem sie den Spitznamen seit fast 25 Jahren benutzt, ohne ihn jemals in Frage gestellt zu haben? Und was passiert, wenn Ivie den Spitznamen schließlich doch ablehnt und auf Unverständnis bei ihren Freund:innen stößt?

Automatisch stellen sich den Zuschauenden selbst solche Fragen, ohne dass der Film sie explizit ausspricht. Damit gelingt es Regisseurin Blaßkiewitz, das Thema aus dem Bildschirm heraus zu transportieren und das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Der Film zeigt, dass das Erkennen von Rassismus genauso wie die Sensibilisierung dafür langsame Prozesse sind, die nicht über Nacht vollzogen werden.

Ja, aber?

Der Film ist aufgrund der bereits aufgeführten Gründe sehr gut, da er es schafft, ein ernstes Problem von verschiedenen Facetten aus zu beleuchten, ohne allzu bedrückend zu wirken. Auf deprimierende, lähmende Szenen folgen erfreuliche, lebensbejahende. 

Aber: Der Film ist definitiv nicht das Richtige für jemanden, der handlungsreiche Filme bevorzugt und der alltägliche Dialoge mit unterschwelligen Emotionen sowie Alltagsszenarien nicht mag. Der Film zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er sein Publikum mit besonders viel „Action“ unterhält. Ebenso wenig darf man überraschende Wendungen erwarten.

Für alle, die sich für Identitäts- und Herkunftssuche, für das Aushandeln von Beziehungen zu Mitmenschen, Freunden und Familie, sowie für das Finden des eigenen Platzes in der Gesellschaft interessieren, bietet der Film jedoch eine unterhaltende, tiefgründige Story.

"Ivie wie Ivie" als Anwärter beim 20. FILMZ-Festival 2021

Als Teil des FILMZ – Festival des deutschen Kinos wird „Ivie wie Ivie" am 5. November um 19 Uhr im Capitol in Mainz vorgeführt. Das Festival selbst findet vom 4. bis 13. November statt. „Ivie wie Ivie“ eröffnet hierbei den FILMZ Langfilmwettbewerb und ist darüber hinaus auch für den SI STAR Filmpreis für Regisseur:innen 2022 im Zuge der Berlinale nominiert. Für den FILMZ Langfilmwettbewerb sind vier weitere Filme in der Auswahl, wobei derjenige mit der besten Bewertung bei der Preisverleihung am 13. November bekannt gegeben wird.

Campus Mainz e.V. unterstützen!

Campus Mainz e.V. ist ein gemeinnütziger Verein und die meiste Arbeit ist ehrenamtlich. Hilf uns dabei auch in Zukunft tolle Dienste für alle kostenlos anzubieten. Unterstütze uns jetzt!