Warum? Diese einfache Frage stellt der Spielfilm von David Clay Diaz. Der Regisseur peruanischer und US-amerikanischer Abstammung verbrachte einen Großteil seines bisherigen Lebens in Wien, wo nun auch sein Debütfilm in abendfüllender Länge spielt. Dieser feierte bereits auf der 66. Berlinale Premiere – dort war er auch als bester Erstlingsfilm nominiert.
Ausgangspunkt der Story ist der Mord an einer jungen Frau. Sie wird von ihrem Liebhaber am 29. November getötet und in Einzelteilen auf Mülltonnen in ganz Wien verteilt. Das Motiv bleibt dabei völlig unklar.
Dem Publikum werden Alex und Christian vorgestellt, zwei junge Männer, die sich in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen befinden. Beide kämpfen damit, erwachsen zu werden und in der Gesellschaft zu funktionieren, schlagen dabei aber gegensätzliche Wege ein.
Während der 24-jährige Christian (Samuel Schneider) mit seiner alleinerziehenden Mutter zusammen lebt und ein ambitionierter Jurastudent ist, wohnt Alex (Alexander Srtschin) mit seinen 17 Jahren in einer kleinen Wohnung mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder und verbringt seine Zeit mit schnellen Autos, Kampfsport und Rapmusik.
Im Kern steht die Frage, die sich viele schon einmal stellten: Warum werden junge Menschen, die aus scheinbar normalen Verhältnissen stammen, zu Gewalttätern? Und was ist ihr Motiv?
Die Zuschauer und Zuschauerinnen begleiten die beiden Heranwachsenden eine Zeit lang durch ihren Alltag. Dabei können sie sich ihr eigenes Bild über die Probleme und Persönlichkeiten der zwei Hauptfiguren machen, die sich in keinem Moment des Filmes begegnen.
Dennoch lasten auf beiden die Ansprüche der Familien und der Druck der Gesellschaft; sie scheinen Schwierigkeiten zu haben bei ihrer Identitätssuche. Die gezeigten Einzelschicksale wirken glaubwürdig in ihrer Alltäglichkeit. Erst der finale Schritt zum Mord stellt eine klare Abweichung von den normalen Sinnkrisen junger Männer dar.
So ist auch der einzige Wermutstropfen für das deutsche Publikum möglicherweise der authentische Gebrauch des österreichischen Dialekts. In manchen Szenen wären Untertitel für das Verständnis sinnvoll gewesen.
Wenn man schließlich erfährt, wer den Mord begeht, wird weder eine Erklärung geliefert, noch versucht, zu moralisieren. Die Frage des "Warum?" wird im Film des Öfteren explizit angesprochen. Jedoch bleibt diese bis zum Ende unbeantwortet und lädt das Publikum dazu ein, selbst nach einer Erklärung zu suchen.
Dabei stellt der Film doch eine grundlegende Sache fest: Das äußere und das innere Leben eines Menschen ist nicht immer dasselbe. Auch wenn die äußeren Umstände einer Person normal erscheinen, kann in ihr etwas vorgehen, das niemand erwartet oder voraussieht.
Dem Publikum wird ein direkter Blick auf das Innenleben der Hauptpersonen verwehrt. Die Zuschauenden bleiben immer nur Beobachter, die eine Situation von außen betrachten. In einigen Szenen ist das lange Verweilen der Kamera auf dem Gesicht eines der Protagonisten beinahe unangenehm und nahezu jeder ihrer Schritte wird verfolgt. Doch ihre Gedankenwelt ist nicht greifbar.
"Agonie" ist ein Erstlingsfilm, der sowohl schauspielerisch als auch inhaltlich zu überzeugen weiß. Die Thematik ist ambitioniert und es wäre leicht, eine allzu moralisierende Schiene einzuschlagen. Doch es gelingt, dies geschickt zu umgehen, indem der Film keinerlei Anspruch erhebt, eine Antwort zu liefern. Das Motiv bleibt unklar. Somit kann jede Person im Publikum ihre eigenen Schlüsse ziehen.
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