"Es muss sich jede:r leisten können, in Mainz zu wohnen"

14.01.2022
Wohnen
kn

Seit Jahren wird die Wohnsituation in Mainz kritisiert. 2022 wird das Studierendenwohnheim Hechtsheim geschlossen, was Studierende dazu bewegt hat, für erschwinglichen Wohnraum einzutreten.

Seit geraumer Zeit existiert eine studentische Hochschulgruppe (HSG) an der Johannes Gutenberg-Universität, die sich "Die BESETZUNG" nennt und deren Ziel mehr bezahlbarer, studentischer Wohnraum in Mainz ist. Die Verkündung der Schließung des Studierendenwohnheims Hechtsheim zum 31. März des kommenden Jahres nahm die HSG nun zum Anlass, erneut auf die problematische Wohnraumsituation in Mainz aufmerksam zu machen.

In einem Interview spricht der AStA-Referent für Ökologie, Philipp Kirschner, näher über die Forderungen, Absichten und Erfolgschancen der studentischen Initiative.

CM: Wie bereits erwähnt, hängt die Arbeit der HSG "Die Besetzung" eng mit der angekündigten Schließung des Studierendenwohnheims Hechtsheim zusammen. Können Sie die näheren Beweggründe für den Entschluss, als studentische Initiative die Lage des studentischen Wohnraums in Mainz anzuprangern, beschreiben?

Philipp Kirschner: Die Problematik rund um den studentischen Wohnraum ist uns schon eine Weile bekannt. Neu ist dabei die aktuelle Diskussion und Frage rund um die Wohnanlage Hechtsheim des Studierendenwerks. Den studentischen Vertreter:innen der Wohnheime wurde schon relativ früh angedeutet, was es mit der Sozialbindung auf sich hat und welche Szenarien im Bereich des Möglichen lagen.

Obwohl erst im Laufe des Jahres 2021 die Information offiziell bekannt wurde – mit dem Schreiben an die Bewohner:innen und dem Umzugsangebot – wie das Ergebnis vorläufiger Verhandlungen mit dem Wohnbau ist, zeichnete es sich für uns ein wenig früher ab, dass einiges im Argen liegt. Parallel zu den Geschehnissen führten wir unsere politische Arbeit fort und setzten uns für einen nachfragegerechten, bezahlbaren Wohnraum in Mainz ein, insbesondere für Studierende. Jedoch war zu Beginn der Legislatur und auch bis vor ein paar Monaten noch nicht angedacht, eine Hochschulgruppe zu gründen.

Zunächst hatte ich den womöglich naiven Glauben, dass der Name des AStA bei Politiker:innen des Landes und der Stadt ausreicht, um Veränderungen anzustoßen. Doch nach einigen Gesprächen, die wohl nur als Vertreter der Studierendenschaft möglich waren, zeichnete sich für mich ab, dass die Gremienarbeit und politische Einflussnahme im Hinterzimmer nicht ausreichen, um reale Veränderungen zu bewirken.

Je stärker sich der Eindruck verfestigte, dass ein neo-korporatistischer* Ansatz der Einflussnahme scheitern würde, desto klarer wurde für uns, dass es, wie so oft, eine breite Bewegung der Betroffenen braucht, um politisch-gesellschaftliche Veränderungen zu erkämpfen. Wir müssen die politischen Entscheidungsträger:innen zur sozialen Politik zwingen. Damit das gelingt, kam schnell der Gedanke auf, dass wir eine Struktur schaffen müssten, unter der sich eine studentische Initiative bilden kann.

Diese Rolle erfüllte dann die Hochschulgruppe. Sie ist somit nicht nur die Folge der Entwicklungen um das Wohnheim Hechtsheim, sondern der gesamten Problemlage. Ergänzt werden die Beweggründe der Gründung auch durch den Eindruck, dass der Versuch, Veränderung über Gespräche zu erreichen, in Teilen gescheitert ist.

* ein Ansatz, der durch die Beteiligung und Einbindung von Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (z.B. Studierender) an politischen Entscheidungen gekennzeichnet ist

CM: Wie kann man überhaupt Mitglied der HSG werden? Wie viele Mitglieder hat die Hochschulgruppe bisher – und was kann jeder einzelne davon für das Erreichen Ihrer Ziele beitragen?

Philipp Kirschner: Bisher hat sich ein harter Kern an Studierenden zusammengefunden, um die zunächst anstehenden organisatorischen Aufgaben zu übernehmen. Dazu zählt das Verfassen einer Satzung, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung, Planung und Organisation eines Auftakttreffens sowie von weiteren Gesprächen mit Politiker:innen, etc.

Dabei handelt es sich um mindestens ein halbes Dutzend an Personen, die sich aktiv an Planung und Organisation beteiligen. Im erweiterten Kreis sind uns einige Sympathisant:innen bekannt, die auch bereit wären, sich als Mitglied zu bezeichnen. Die Gruppe steht natürlich jedem/jeder offen, der/die die Zustände auf dem Mainzer Wohnungsmarkt nicht länger ertragen möchte. Einer formalen Mitgliedschaft bedarf es nicht.

"Wohnen sollte kein Luxus sein, sondern ist ein Menschenrecht."

CM: Die HSG besteht zu einem großen Teil aus AStA Referent:innen und damit aus Studierenden der JGU. Wer profitiert Ihrer Meinung nach am meisten von den Bemühungen der HSG?

Philipp Kirschner: Ich denke, dass mindestens alle Studierende in Mainz zu den Betroffenen gehören, wenn nicht sogar alle finanziell Benachteiligten der Stadt Mainz. Denn unser Kampf um bezahlbaren Wohnraum darf natürlich nicht den gesamten Wohnungsmarkt aus dem Blick verlieren. Es muss sich jede:r leisten können, in Mainz zu wohnen. Wohnen sollte kein Luxus sein, sondern ist ein Menschenrecht. Es darf nicht vergessen werden, dass Studierende nur ein Teil derer sind, die um günstigen und bezahlbaren Wohnraum mit anderen konkurrieren. Sie dürfen nicht gegen andere soziale Gruppen ausgespielt werden.

Gleichzeitig bedeutet dies, dass jede günstig geschaffene Wohnung die Konkurrenz auf Seite der Nachfrage senkt und damit die Lage für alle ein wenig verbessert. Jedoch sind wir als studentische Initiative und HSG dazu verpflichtet, primär die Interessen der Studierendenschaft in den Blick zu nehmen. Daher setzen wir uns in erster Linie für die Belange der Studierendenschaft ein, die bezahlbaren Wohnraum braucht, um erfolgreich das Studium in Mainz zu absolvieren.

CM: Liegt das Grundproblem weiterhin in der fehlenden finanziellen Unterstützung des Landes für das Studierendenwerk oder gibt es inzwischen noch weitere Gründe für fehlenden Wohnraum? Was sind Ihre Ziele und konkreten Forderungen für mehr und günstigeren Wohnraum in Mainz?

Philipp Kirschner: Die unzureichende finanzielle Unterstützung des Landes bzw. nicht nutzbare Förderungen sind immer noch ein Problem. Daran hat sich leider seit Jahren und auch in den letzten Monaten nichts geändert. Die Frage der Finanzierung ist aber im Prozess der Schaffung weiteren Wohnraums erst der zweite Schritt. Zunächst setzen wir uns gemeinsam mit dem Studierendenwerk dafür ein, dass ein landeseigenes Grundstück für den Bau eines künftigen Wohnheims zur Verfügung gestellt wird. Jedoch ist es derzeit nicht möglich, dass landeseigene Grundstücke zur Schaffung neuen Wohnraums genutzt werden können. Stattdessen müssen Träger, wie z.B. das Studierendenwerk, diese zu Marktpreisen erwerben.

Das ergibt für uns keinen Sinn, da es politisch nur bedeuten würde, ein Grundstück von der Zuständigkeit eines Landesministeriums an eine dem Land unterstellten Anstalt des öffentlichen Rechts zu überführen. Geschieht dies nicht, muss erst ein Vermögen aufgewendet werden, um den Boden aufzukaufen. Dass dabei keine günstigen Mieten möglich sind, liegt somit auf der Hand. Dabei handelt es sich um eine Forderung, die nicht nur dem Studierendenwerk Mainz helfen würde. Die skizzierte Forderung würde allen Studierendenwerken helfen.

Im Anschluss stellt sich, mit den Planungsprozessen, tatsächlich die Frage, wie genau der Bau dann finanziert wird. An diesem Punkt kommt die ISB-Förderung des Landes ins Spiel, die derzeit aufgrund unzureichender Konditionen kaum nutzbar ist. 

Bei den genannten Forderungen handelt es sich um Schieflagen, die auf das Konto des Landes gehen. Was jedoch in der gesamten Betrachtung nie vergessen werden darf, ist, dass der freie Markt es nicht geschafft hat und auch nie hätte schaffen können, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Zum einen sehen wir am Zollhafen oder Campo Novo, welche Art von Wohnraum dem Markt vorschwebt. Dieser ist für Studierende, die ihr Studium selbst finanzieren müssen und nur auf geringe finanzielle Unterstützung vom Elternhaus setzen können, kaum finanzierbar und übersteigt den Wohngeldzuschuss des BAföG bei weitem.

Zum anderen haben wir die Situation des Studierendenwerkes: Wie einst beschrieben, gab es seit der Abschaffung der alten und Einführung der neuen Finanzierung (Bettenplatzzuschüsse bis 2005/06 und ISB-Förderung seit 2015) keine Unterstützung des Landes. Genau in diesem Zeitraum war der Bedarf nach studentischem Wohnraum besonders hoch, dem das Studierendenwerk gemäß seiner Aufgaben auch nachkam. Da es keine staatliche Unterstützung neben kleineren Zuschüssen gab, die insgesamt kaum ausschlaggebend sind, wurde der Bau über den privaten Markt finanziert. Somit sind unseres Erachtens die hohen Mieten auch eine Folge des freien Marktes.

Neben dem Land sehen wir auch die Stadt in der Verantwortung. Zwar hat diese im Wohnungsmarktbericht dargelegt, wie das Defizit im geförderten Wohnraum bis Ende des Jahrzehnts zu lösen ist, jedoch ist das nicht unproblematisch. Abgesehen davon, dass man eine Abnahme der Nachfrage seitens der Studierenden voraussetzt, weil mit einem Rückgang dieser sozialen Gruppe gerechnet wird, wird studentischer Wohnraum nicht erwähnt. Es gibt derzeit keine Pläne der Stadt, sich um diese große Gruppe der Mainzer:innen zu kümmern.

Stattdessen wird auf das Land verwiesen. Das ist fatal und zeugt von einem Desinteresse gegenüber Studierenden. Diese Entscheidung wirkt sich unseres Erachtens negativ auf die Stadt aus. Gerade nachdem in den Medien verkündet wurde, welcher Geldsegen Mainz ereilt hat, ist es nicht nachvollziehbar, weswegen nicht in die Studierenden investiert wird. Wir fordern, dass die Stadt und die städtische Wohnbau Konzepte bereitstellen, mit denen in Zukunft bezahlbarer und nachfragegerechter Wohnraum für Studierende geschaffen wird. Dabei könnten zum Beispiel Grundstücke bereitgestellt und Fördertöpfe für Zuschüsse geschaffen werden.

Ausblick in die Zukunft: Nur mit Ausdauer und langem Atem lassen sich Veränderungen durchsetzen

CM: Welche Maßnahmen haben Sie bisher ins Auge gefasst, um Ihre Forderungen durchzusetzen? Wie wollen Sie auf sich und Ihre Bemühungen aufmerksam machen?

Philipp Kirschner: Wir stehen für Gespräche mit Vertreter:innen von Ortsteilen, Stadt und Land immer gerne bereit, um Lösungen zu finden. Gleichzeitig wollen wir Studierende auf dem Campus und in Mainz für das Thema Mieten und Wohnen sensibilisieren und zeigen, dass die Verhältnisse nicht in Stein gemeißelt sind, sondern politisch gewollt und somit auch veränderbar sind.

Dafür wollen wir mit Veranstaltungen für uns werben und eine Palette an Mitteln der politischen Partizipation nutzen. Wir sehen, dass es schwierig sein kann, während der weiterhin omnipräsenten Pandemie mit all den aufgekommenen Lasten und Problemen Menschen zu motivieren, sich darüber hinaus auch politisch zu engagieren. Dennoch sehen wir in dieser existenziellen Frage einer/eines jeden die Chance zur Mobilisierung der Studierenden. Des Weiteren möchten wir mit anderen Akteuren in Mainz gemeinsam für bezahlbaren Wohnraum kämpfen.

CM: Wie sehen Sie selbst Ihre Erfolgschancen für die Zukunft? Wie schätzen Sie Ihren Einfluss auf eine Verbesserung ein, nachdem Sie bereits zu Beginn zugegeben haben, dass bisherige Bemühungen keinerlei Veränderungen herbeigeführt haben?

Philipp Kirschner: Um politisch reale Veränderungen umzusetzen, bedarf es eines langen und kontinuierlichen Atems. Das ist für die von ständiger Fluktuation gekennzeichneten Hochschulpolitik bereits ein gewisses Problem, weil z.B. Ämter der verfassten Studierendenschaft auf gerade einmal ein Jahr festgelegt sind. Wie bereits angedeutet sind die politischen Strukturen auf den verschiedenen Ebenen relativ rigide und "der große Wurf" bleibt meist nach unzähligen Kompromissen aus.

Dennoch lohnt es sich, für die eigenen Interessen zu kämpfen. Wenn sich die Studierenden nicht selbst für ihre Interessen einsetzen, tut es niemand. Auch wir sehen, dass nicht alle Forderungen sofort umgesetzt werden. Doch mit genug Ausdauer und einem hinreichend großen Protest können wir wichtige Schritte einleiten, welche in Richtung bezahlbaren Wohnraums gerichtet sind!

Vielen Dank an Herrn Philipp Kirschner für Ihre Zeit und Mühen. Sie haben uns die Möglichkeit gegeben, nicht nur mehr über die Hochschulgruppe als solche, sondern auch über den Hintergrund, der ihre Gründung erst bewirkt hat, zu erfahren. Für Sie, Ihre Mitstreiter:innen und die HSG weiterhin viel Erfolg und ein gutes Durchhaltevermögen für die Umsetzung Ihrer Forderungen!

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