Erfahrungsbericht | Eine Tortur zum Abschlusszeugnis

18.06.2015
Studium, Arbeit
ch

Wenn eine Bachelorarbeit geschrieben ist, kann eigentlich nicht mehr viel passieren bis zum lang ersehnten Abschlusszeugnis. Denkt man. Carolin Hinz teilt mit uns ihre Erlebnisse, wie ihr Abschluss kurz vor der Zielgerade zu einer Berg- und Talfahrt wurde.

 

Schon seit Beginn meines Studiums freue ich mich darauf, endlich damit fertig zu sein. Allerdings habe ich mir das letzte Semester und den Einstieg ins Berufsleben doch etwas anders vorgestellt, dabei hatte ich eigentlich von der Bachelorarbeit bis zur mündlichen Prüfung alles richtig gemacht.

Nach einem Hauptfachwechsel habe ich in der Regelzeit mit meiner Bachelorarbeit begonnen. Für all diejenigen, die noch nicht soweit sind, jetzt aber schon ein bisschen Panik vor der großen Abschlussarbeit haben, sei gesagt: Alles halb so wild. Was ich durch den Austausch mit Kommilitonen jedoch mitbekommen habe, ist, dass vieles mit dem betreuenden Dozenten steht und fällt. Denn den oder die sollte man sich gezielt aussuchen, wenn man denn das Glück hat, noch einen freien Bachelorplatz bei seinem Wunschdozenten zu ergattern.

Eine Bachelorarbeit muss wohl überlegt sein

Ich habe mich, ganz vorbildlich, schon im fünften Semester mit derartigen Fragen beschäftigt und so über mein Wunschthema bei meinem Wunschdozenten schreiben dürfen. Je nach Thema sollte man sich schon vor der Anmeldung mit ersten Quellen auseinandersetzen, damit man weiß, worauf man sich einlässt.

Der Dozent verlangt vorab im Normalfall ein Exposé, in welchem man die Forschungsfragen erörtert und die Bedeutung der Arbeit für das Fachgebiet herausarbeitet. Hier kommt es in vielen Fällen schon ersten merkbaren Unterschieden zwischen den Dozenten. Während ich zur Zufriedenheit meines Betreuers eine zweiseitige, stichpunktartige Aufstellung meiner Arbeit abliefert, musste eine Kommilitonin ihr Exposé mehrfach abgeben. Ihr Dozent war schwerer zufrieden zu stellen und verlangte drei fünfseitige Überarbeitungen.

Die letzte große Arbeit

Neun Wochen Zeit für die Arbeit. Während ich anfangen konnte, Literatur zu sammeln und meine qualitativen Interviews zu führen, entschied sich der Dozent meiner Kommilitonin dazu, ihr anzuraten, sich doch ein anderes Thema zu suchen. Sie behielt ihr Thema jedoch bei, wutentbrannt über diesen Vorschlag, immerhin hatte sie schon viel Zeit für die Literaturrecherche aufgebracht.
Wer unter der Woche täglich zwei/drei Stunden an der Abschlussarbeit schreibt, kann sich so die Wochenenden vollends frei halten. So habe ich das gehandhabt und konnte ohne Druck und schlechtes Gewissen, die Weihnachtfeiertage verbringen. Anfang Januar kam der Abgabetag. Jetzt hieß es warten.
Vor dem ersten großen Job (hoffentlich).

Eigentlich haben die Dozenten sechs Wochen Zeit, die Arbeit zu kontrollieren – so sind zumindest die Richtlinien vom Prüfungsamt. Ich hatte noch eine handvoll Leistungen zu erbringen und nutzte diese Zeit für eine Klausur und eine Hausarbeit. Allerdings ließ die Note weiterhin auf sich warten. "Okay", dachte ich bei mir, "das Ende naht, dann bewirbst du dich halt schon."

In den Monaten Februar und März schrieb ich knapp 40 Bewerbungen. Ich würde mich als recht qualifiziert für meine Branche beschreiben: ich habe eine kaufmännische Ausbildung in einem verwandten Bereich absolviert und arbeite seit über fünf Jahren freiberuflich in der Branche. Das ist scheinbar als Berufseinsteiger nicht genug. Nicht ein Vorstellungsgespräch sprang bisher bei der Suche raus.

Absagefrust

Eine Absage jagt die nächste und ohne nutzbares Feedback weiß ich nicht, woran es liegt. Bin ich nicht qualifiziert genug? Ist mein Foto Mist? Komme ich unsympathisch rüber? Dazu sei gesagt, ich bewerbe mich deutschlandweit auf Stellen, die meinen Qualifikationen entsprechen. Klar haben Unternehmen nicht immer Zeit, jede Bewerbung explizit zu begründen. Allerdings finde ich es schon merkwürdig, wenn die Stelle "von einem anderen Kandidaten bereits belegt" wurde, diese Stellenanzeige dann aber eine Woche später wieder in den einschlägigen Suchmaschinen auftaucht. Ich sage mir, dass solch ein Unternehmen eh nichts für mich sei, wenn ein derartiger Umgang mit Bewerbern dort üblich ist – weh tut es trotzdem.

Die mündliche Prüfung

Derweilen ist es März und in einer Woche habe ich meine mündliche Prüfung. Die Note meiner schriftlichen Arbeit habe ich immer noch nicht. Das ist wirklich spitze! Denn ich kann mich super auf die Mündliche vorbereiten, wenn ich nicht mal weiß, ob ich die Schriftliche überhaupt bestanden habe. Das Prüfungsamt war mir hier eine große Hilfe und hat daraufhin bei meinem Dozenten daraufhin etwas Druck gemacht. Ich hatte also bestanden – Party! Die mündliche Prüfung lief dann auch ziemlich gut.

Der letzte Meter

Eine letzte Hausarbeit musste ich danach noch abgeben. Ich einigte mich zu Beginn des Semesters mit dem Seminardozenten darauf, dass ich die Arbeit früher abgebe als nötig. So würde ich, sprach er mir zu, die Note und somit mein Abschlusszeugnis schnellstmöglich bekommen. Der Seminardozent war zufällig auch Zweitprüfer in meiner Mündlichen und so nutzte ich die Gelegenheit und sagte ihm noch: "Nächste Woche bekommen Sie die Hausarbeit." Er nickte. So schrieb ich in vier Tage diese Arbeit und gab sie ab. Lustig war nur, dass der Dozent scheinbar im Urlaub war und erst nach dem regulären Abgabetermin wieder im Büro war. Die ganze Hetze also nicht nur umsonst, sondern im Endeffekt auch vergeblich: durchgefallen.

Kurz vor dem Ziel lege ich mich nochmal so richtig auf die Fresse. Das ist ein geniales Gefühl, sage ich euch. Die schriftliche Bachelornote hatte ich übrigens immer noch nicht. Und obwohl ich mich bei meinem Bachelorbetreuer immer gut aufgehoben und unterstützt gefühlt habe, ging mir die Warterei ziemlich auf die Nerven. Erst Mitte April – drei Monate nach der Abgabe der schriftlichen Arbeit und einen Monat nach der mündlichen Prüfung – stand meine schriftliche Note endlich fest. Bringt mir aber nun auch nicht viel, da ich mein Zeugnis noch nicht bekomme.

Zurück zu Hotel Mama?

Ach ja und da ich mir blöderweise ziemlich sicher war, dass ich die letzte Arbeit schaffen werde, habe ich natürlich auch meinen BAföG-Antrag auf "Förderung über die Höchstdauer hinaus" nicht abgegeben. Und so stand ich Mitte April da: Bachelorarbeit mit insgesamt 1,9 bestanden, die letzte Hausarbeit, die mich von der Freiheit trennte, versaut, kein Geld, keinen richtigen Job, keine Nerven mehr. Hätte ich meinen Freund und meinen kleinen Nebenjob nicht, wäre ich vollkommen mittellos gewesen. Hätte wahrscheinlich, mit 27 Jahren, zu meinen Eltern zurück gemusst. Was scheinbar nicht so unüblich ist, wie ich im Freundeskreis mitbekommen habe.

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