Endlich wieder Theater | Diener zweier Herren auf dem Campus

18.07.2022
Freizeit
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Erfolgreich trotz Pandemie, sechs Umbesetzungen und Corona-Abwesenheiten. „Die Kleinbürger“-Theatergruppe hat "Der Diener zweier Herren" meisterhaft in Szene gesetzt.

Es fühlt sich aufregend und irgendwie seltsam an, wieder einen lebendigen Campus zu haben. Corona hat unter anderem auch eine Art kulturellen Winterschlaf mit sich gebracht. Ein voller Theatersaal? Und das auch noch auf dem Campus? Das schien bis vor kurzem fast unmöglich. Das lange Warten hat nun ein Ende: Seit dem 3. April sind die Theatergruppen der JGU wieder auf dem Campus. 

"Dieses Stück ist einfach absurd", betonte Regisseur Federico Mesina während der Aufführung im P1, der Bühne der JGU. Gemeinsam mit Christoph Goloiuch führt er seit 2019 Regie bei der Theatergruppe „Die Kleinbürger“. Aus Liebe zu seiner italienischen Familie, wie wir aus der Programmwidmung erfahren, begann er 2020 mit den Proben für „Der Diener zweier Herren“ - und kämpfte seither sechs Mal mit der Neubesetzung. Ein Rückblick auf eine Geschichte voller Absurdität, Lachen und Moral, die Campus-Flair versprüht.

Hürden überwinden 

„Der Diener zweier Herren“ ist eines der berühmtesten Stücke des Italieners Carlo Goldoni. Im Mittelpunkt steht der Diener Truffaldino Battacchio, hier brillant von Simon Halm gespielt, der aus Leichtsinn und Übermut in den Dienst von zwei Herren gleichzeitig tritt. Sein Streben nach besserer Bezahlung bringt ihn immer wieder in ein Netz aus Verstrickungen, Täuschungen, Konflikten und Liebe. 

Unmittelbar nach der Premiere mussten zwei Schauspieler, die an Corona erkrankt waren, ersetzt werden. Zum Glück wurde die Rolle des venezianischen Kaufmanns Pandolfo von einem begeisterten Zuschauer, Andreas Schlicht, aus dem Premierenpublikum besetzt. "Merk dir den Text, vielleicht musst du ihn eines Tages spielen", sagte Federico lachend in seiner Eröffnungsrede bei der Vorstellung...

Tod, Täuschung und Travestie

Das Stück führt uns nach Venedig, in das Gasthaus "Geflügelter Löwe" des Gastwirts Tebaldo, wunderbar amüsant gespielt von Torsten Gräfe. Die Szene zeigt den Kaufmann Pandolfo beim Lesen der Zeitschrift "Erfolg mit ETF-Sparplänen" (was gibt es in diesen Zeiten sonst noch zu lesen). Zusammen mit Dottore Formica (Simon Krause) plant er, ihre Kinder zu verheiraten. Pandolfos Tochter Rosaura, leidenschaftlich gespielt von Heather King, ist sehr verliebt in Silvio, den attraktiven Sohn des Dottore, humorvoll von Christoph Goloiuch verkörpert. 

Eigentlich sollte sie Federico Rasponi aus Turin heiraten, doch der ist kürzlich bei einem Duell verstorben. Die junge Liebe stockt jedoch, als Zofe Blandina, überzeugend gespielt von Stina Jähngen, die Nachricht bringt, dass Federico auferstanden sei und seine versprochene Braut sehen wolle. Rosauras Rebellion gegen die arrangierte Ehe ist ein reizvoller Moment. Obwohl sie ihren Silvio nur selten gesehen hat, findet sie, dass "wer so dunkles Haar hat, Vollkommenheit besitzt" und weigert sich, einen anderen zu heiraten. Die Männer und Väter werben um sie, aber sie kämpft heldenhaft mit erhobenen Mittelfingern um ihre Freiheit und muss von der Crew aus der Szene getragen werden - sehr zur Freude und zum Gelächter des Publikums.

Doch Tebaldo erkennt bald die Wahrheit: Es ist tatsächlich Beatrice Rasponi, gespielt von Selina Gaiser in einer brillanten Travestie, die vor ihnen steht und nicht ihr Bruder Federico. Letzterer wurde tatsächlich ermordet. So erkauft sie sich das Schweigen von Tebaldo, sehr geschäftsmäßig in der Tat, bis sie alles geklärt hat. Die Komik der Situation wird sehr geschickt dargestellt. Die gesellschaftlichen Beschränkungen der damaligen Zeit sind jedoch nicht zu übersehen: Beatrice ist gezwungen, sich als ihr Bruder auszugeben, denn als Frau darf sie nicht reisen, geschweige denn legale Geschäfte machen. Zwei Frauen, die schon in den ersten Szenen gegen das Patriarchat kämpfen - Hut ab!

„Feine Herren haben keinen Magen“ 

Simon Halms Bühnenpräsenz als Beatrices Diener ist ein Genuss für den Saal. Zum Vergnügen des Publikums verkörpert er den Konfetti-werfenden Diener aus Bergamo auf eine spitzbübische und doch freche Art. "Er ist eine seltsame Mischung aus Einfalt und Klugheit; aber ich habe Grund, ihn für treu zu halten", sagt Beatrice über ihn.

 

Trotz ihrer Wertschätzung lässt sie den armen Truffaldino eher hungrig zurück. Er ist also weit davon entfernt, aus Bosheit oder Untreue in den Dienst zweier Herren zu treten. Ein Leitmotiv des Stücks ist sein Heißhunger. "Feine Herren haben keinen Magen", sagt er mit einem knurrenden Bauch. Also bietet er einem reisenden Herrn seine Dienste an und hofft dabei, auch anständig zu speisen. Sein neuer Herr ist jedoch kein anderer als Florindo Aretusi, Beatrices Geliebter, sehr ernsthaft und überzeugend verkörpert von Montgomery Ebelt.

In einer Reihe von komischen Situationen, die ans Absurde grenzen, schafft es Truffaldino, mehrere Angelegenheiten zwischen den beiden Herren zu verkomplizieren und schließlich zu retten. Meistens ist er jedoch hungrig, weil sich keiner seiner Herren besonders um die Mahlzeiten des Dieners kümmert, was Halm immer sehr humorvoll rüberbringt.

Truffaldinos Besessenheit vom Essen kann auch als sozialer Kommentar dienen. "Ich trage meine Waffe immer bei mir", sagt er und hebt ein Stück Besteck, bevor er sich versteckt und hungrig einen Pudding isst.

Als die beiden Herren von seinem Doppelspiel erfahren, verprügeln sie ihn mehrmals hinter einem weißen Schleier. Unbehagen machte sich im Publikum breit. Erstaunlich ist die Resignation des Dieners am Ende: "Jetzt kann ich sagen, dass ich zwei Herren habe, ich wurde von beiden bezahlt". Nun könnte man annehmen, die Bezahlung sei zeitgemäß, doch bleibt die Frage: Musste die Szene mehrmals gespielt werden? Gemessen an der Beklemmung des Publikums, lässt sich das bezweifeln.  

Überraschende Unterbrechungen 

"Das ist der Hammer", beschrieben die Anwesenden einige der lustigsten Szenen des Stücks. Das Liebespaar Romeo und Julia erschien in Venedig und gab sich als Radfahrer aus. Henri Scheunemann spielte den Romeo, herrlich selbstverliebt und ein bisschen unbeholfen, und Johanna Kleine als Julia, sehr intelligent und leicht sarkastisch. Das "Weltliteratur"-Paar logierte im Geflügelten Löwen, im "schönsten Zimmer, am besten mit Balkon", wie Julia scherzhaft forderte, und sorgte jedes Mal für Applaus und Gelächter, wenn sie auf der Bühne erschienen.

Szenen aus dem Versdrama "Cyrano de Bergerac" werden gleichzeitig mit der Geschichte adaptiert. Hier ist der romantische Dichter mit der großen Nase unendlich und unglücklich in Rosaura verliebt. Mystisch gespielt von Christopher Frye, passte seine Rolle gut in das Stück. Der nostalgische Mann nutzt seine poetischen Fähigkeiten, um dem gut aussehenden Silvio zu helfen, Rosaura raffinierte Liebeserklärungen zu machen. Letztere war von seinen vorherigen Beschreibungen nicht beeindruckt: "Was du mir anbietest, ist saure Milch, was ich will, ist Sahne".

Über die Laktoseintoleranz einiger könnte man diskutieren, aber die Szene brachte eine gewisse Leichtigkeit und Schwung in den Raum. Cyrano gerät wegen seiner großen Nase fast in ein Duell, rettet aber in einer sich wiederholenden Balkonszene zwei Paare: Einmal flüstert er Silvio Worte der Liebe für Rosaura zu und dann gibt er sich als Shakespeare aus und hilft Romeo, die berühmte Balkonszene nachzuspielen. Julia und Venedig hätten vielleicht eine bessere Romanze verdient, aber die Situationskomik und das witzige Spiel aller Schauspieler sorgen für viele Lacher. 

Commedia dell’Arte mal anders 

„Der Diener zweier Herren“ läutete das Ende der Commedia dell'Arte ein. Diese beliebte italienische Variation, war eine Art Improvisationstheater, die dem Ensemble und nicht dem Author diente. Des Weiteren strebte man szenische Wirkung an und nicht Probleme aufzuwerfen. Carlo Goldoni wich teilweise von den Richtlinien des Genres ab und gab seinen Figuren mehr individuelle Züge. Auch Regisseur Federico wollte in seiner Adaption mit den klassischen Richtlinien brechen, indem er Alltagsprobleme mit kurzen Unterbrechungen illustrierte. So erfahren wir, dass Truffaldino und seine geliebte Blandina, nicht lesen können. 

Ihr amüsanter Versuch, mit Hilfe des Publikums die Briefe ihrer Herren zu lesen, wird durch einen Moment der Erleuchtung unterbrochen: „Mehr als 7000 Menschen in Deutschland können nicht lesen", erklären die beiden mit ernster Miene. Die ernste Unterbrechung war sehr aufschlussreich, hat das Publikum aber eher verblüfft als etwas anderes. Im Gegensatz dazu war der musikalische Moment „Er ist ein Depp" eine sehr gelungene Unterbrechung. In der Pause tanzten viele und summten die Szenen mit - ein Erfolg!

Happy End

„Es war wirklich gut, man muss wiederkommen", sagt Hannah, eine begeisterte Zuschauerin. Wie das Theaterstück, endete auch der Abend mit einer fröhlichen Note. Das Publikum war begeistert und die Liebe hat triumphiert. „Das war schön, das müssen wir anderen erzählen", lachte eine Gruppe von Studierenden. Und das taten wir dann auch!

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