Das Geheimnis für spontanen Sex? Frauen sind komplexer. Und Männer auch.

29.06.2015
Freizeit
Tobias Schwarz

Wie einfach ist es eigentlich Frauen und Männer abzuschleppen? Andreas Baranowski und Prof. Heiko Hecht vom Psychologischen Institut haben sich an eine der kleinen großen Fragen der sexuellen Verhaltensforschung gewagt und wurden mit überraschenden Ergebnissen belohnt.

Andreas Baranowski besteht darauf: Am psychologischen Institut werde mit Herzblut an wichtigen Fragen gearbeitet, die für die meisten Nicht-Psychologen nicht so spannend seien. "Akustische Schwellenwahrnehmung" zum Beispiel - die Frage also, ob man Schallwellen vielleicht schon mit 15 Hz oder doch eher erst mit 16 Hz hören kann. Aber es gibt eben auch diese anderen Fragen, wegen denen dann auch mal der in Deutschland durch seine MTVShow "Savage U" bekannte amerikanische Sex-Experte Dan Savage in der Wallstraße anruft. Nur um zu erfahren, wie einfach es ist, in Mainz auf dem Campus und in Clubs Frauen und Männer abzuschleppen.

Im Rahmen eines Seminars im Jahr 2013 hatten Andreas Baranowksi und Prof. Heiko Hecht vom Psychologischen Institut diese Frage gestellt. Zu ihrer Beantwortung in der kürzlich veröffentlichten Studie "Gender differences and similarities in receptivity to sexual invitations. Effects of location and risk perception"* fragten dann Studierende mal ganz direkt in Clubs und auf dem Campus: "Ich mache das ja sonst nicht, aber hättest Du Lust jetzt mit mir zu schlafen?"

Wissenschaft erfordert eben manchmal unorthodoxes Vorgehen. Und für Fragen des menschlichen Sexualverhaltens gilt das in ganz besonderer Weise. Die Theoriebildung ist nicht nur durch den sehr intimen Untersuchungsgegenstand schwierig, sondern oft auch durch Vorurteile und vorherrschende Meinungen erschwert.

Auf dem Schlachtfeld der Sexualforschung

Heutzutage muss man nicht mehr Foucaults "Sexualität und Wahrheit" lesen, um zu erahnen, wie schwierig Sexualforschung in der noch gar nicht so lange zurückliegenden Vergangenheit war. Das konnte man zuletzt in Kinofilmen wie "Die dunkle Begierde", "Kinsey" oder auch in der Fernsehserie "Masters of Sex" sehen, die sich Forschung und Leben der Sexualwissenschaftler William Masters und Virginia Johnson widmet. Zur Zeit ist solche Forschung - trotz der oft lauten öffentlichen Debatte um "Hashtag-Feminismus" oder den konservativen "Backlash" gegen "Genderismus" - glücklicherweise kein so großes Problem. Trotz manch ideologischer Grabenkämpfe sagt Baranowski daher: "Sex ist sexy". Doch die Gräben führten leider auch dazu, dass nicht alle Studien zum Thema wissenschaftlich besonders wertvoll seien.

Der kleine Unterschied

Oft hilft es daher, kleine Fragen zu stellen, auch wenn die vermeintlich kleinen Fragen sich dann mitunter als gar nicht so klein erweisen. So war das auch im Fall der 1978 und 1982 von Russel Clark und Elaine Hatfield durchgeführten Studie "Gender Differences in Receptivity to Sexual Offers", die eigentlich nur die scheinbar einfache Frage beantworten sollte, ob sich weibliche und männliche Studierende auf dem Campus der Florida State University tatsächlich so verhalten würden, wie es allgemein erwartet wurde, wenn sie mit der Frage nach spontanem Sex konfrontiert würden. Und das war der Fall – die Mehrheit der befragten Männer war, anders als die befragten Frauen, zu spontanem Sex bereit. Das Geschlecht spielte offenbar eine große Rolle, wenn man auf Straße angesprochen wurde und Sex angeboten bekam.

"Experimente" auf Youtube – immer das Gleiche

Allerdings wurde in der Folge auch deutlich, wie eigentlich "kleine" Antworten zu übergroßen Wahrheiten werden können, wenn sie gesellschaftlichen Intuitionen entsprechen: über die Jahre wurde die Clark/Hatfield-Studie immer wieder wiederholt – heute findet man auch eine ganze Reihe von ähnlichen "Experimenten" auf YouTube - und das Resultat war immer das gleiche; Männer wollten, Frauen nicht.

Im Zeitalter von Tinder & Co.

Aber so sehr die Studie auch die Intuition bestätigt, dass es für Männer deutlich schwerer ist, Frauen auf der Straße spontan von Sex zu überzeugen, so sehr widerspricht sie doch auch einer anderen, zumindest für die meisten Studierenden vermutlich nachvollziehbaren Beobachtung: Auch Frauen haben One Night Stands und Casual Sex. Erst Recht im Zeitalter von Tinder und Co.

War die Ursprungsstudie also falsch angelegt? Baranowski verneint das. Die Studie habe genau das gezeigt was sie zeigen konnte. Nur sei sie eben sehr oft herangezogen worden, um etwas zu belegen, das sie nicht belegen konnte – dass nämlich Frauen generell weniger Interesse an Sex hätten.

Das mag zwar durchaus sein – auch Baranowski geht von hormonellen Effekten aus, und es gibt nicht wenige Studien, die eine gewisse Differenz in der Intensität des Sexualtriebs von Frauen und Männern nahelegen. Nur ist das eine Frage, die in ihrer situativen und psychologischen Komplexität von der ursprünglichen Studie schlicht nicht erfasst werden konnte.

Physisches und psychisches Risiko für Frauen

Daher haben nachfolgende Studien dann versucht, Variablen zu identifizieren, die die Ergebnisse der Originalstudie mit der Realität vereinbaren konnten. Russel Clark selbst versuchte im Jahr 1990 den Faktor Risikowahrnehmung zu berücksichtigen, konnte aber – vermutlich aufgrund des Studiendesigns, das zwar das physische Risiko für Frauen reduzierte, das soziale aber noch erhöhte – keine Veränderung feststellen. Im Jahr 2011 führte Teri Conley eine Studie durch, die weitere Variablen und ihre relative Bedeutung zu identifizieren versuchte, sich aber methodisch stark von den bisherigen Ansätzen unterschied. So fragte sie Probanden unter anderem, ob sie eher mit Johnny Depp schlafen würden als mit weniger berühmten Männern. Ihre Hauptthese war, dass Frauen sich dann zu spontanem Sex entschlössen, wenn sie davon ausgingen, dass der Sex gut sein würde. Wovon sie allerdings eben meist nicht ausgingen – auch nicht bei Johnny Depp.

Dennoch war Conleys Untersuchung die Inspiration für die aktuelle Mainzer Studie, die mehr Aspekte – und dabei vor allem die subjektive Risikowahrnehmung von Frauen - in den Fokus rückt.

Zusätzliche Variablen bei der Mainzer Studie

Zunächst wurde allerdings im Rahmen des Seminars die Clark/Hatfield Studie repliziert, modifiziert um eine Ortsvariable: die Frage wurden nicht nur auf dem Campus gestellt, sondern auch in Mainzer Bars und Clubs, und damit in einem Umfeld, in dem man von einer größeren Bereitschaft zu sozialer Interaktion bis hin zu spontaner Bereitschaft zu Sex ausgehen durfte.

Studierende sprachen für diesen Teil der Studie andere Gäste an, und fragten, ob die Angesprochenen Lust auf spontanen Sex hätten, oder, als Kontrollfrage, ob sie Lust auf ein Date hätten. Nachdem die angesprochenen Personen entweder ja oder nein gesagt hatten, wurden sie über die Studie aufgeklärt und gebeten, einen Fragebogen zu beantworten.

Höhere Zustimmung zu Sex

Wie in der klassischen Studie von Clark/Hatfield lehnten nahezu alle Frauen das Angebot ab, mit dem Fragesteller ins Bett zu hüpfen. Nur eine Frau sagte ja, stand aber nach Ansicht des Teams unter Drogeneinfluß. Bei Männern war das anders: 65% der Single-Männer und immerhin noch 16% der Männer in einer Beziehung stimmten in Clubs einem direkten Angebot zu. Auf dem Campus dagegen war die Zustimmungsrate geringer. Bei der Kontrollfrage nach einem Date war der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Befragten zwar kleiner, aber immer noch eindeutig.

Komplexe Hintergrundgeschichte

Im zweiten Teil der Studie wurde dann das Studiendesign verändert, um der Frage der subjektiven psychischen und physischen Risikowahrnehmung - vor allem von Frauen - näher zu kommen. Den teilnehmenden Studierenden, die auf ein Teilnahmeangebot per Email geantwortet hatten, wurde eine komplexe Hintergrundgeschichte aufgetischt: 30 Frauen und 30 Männer, alle Singles, nahmen ihres Wissens nach an einer Studie teil, die in Zusammenarbeit mit einem bekannten Dating-Portal erarbeitetet worden war. Sollte ihnen einer oder mehrere der im Studienverlauf präsentierten potentiellen Partner gefallen, wäre es dann möglich gewesen in einem sicheren Umfeld entweder Sex oder – in der Kontrollgruppe - ein Date zu haben.

97 % der Frauen wollten Sex

Durch keine der vorherigen Studien konnte man erahnen, was jetzt passierte. Dass tatsächlich 100 Prozent aller Männer zustimmten mit mindestens einer der zehn Frauen schlafen zu wollen, die angeblich zugestimmt hatten, Sex mit ihnen zu haben, war die kleinere Überraschung. Die große Überraschung war, dass auch 97 Prozent der Studienteilnehmerinnen mit mindestens einem der ihnen als potentiellen Partner vorgeschlagenen Männer Sex haben wollten.

Männer wollten im Durchschnitt mit 3,57 der angeblich an ihnen interessierten Frauen schlafen, Frauen mit 2,73 der angeblich an ihnen interessierten Männer. Auch hier zeigte sich nur noch ein marginaler Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Sicherheit für sexuelle Abenteuer

Natürlich ist es ein wesentlicher Unterschied zum ersten Teil der Studie und damit zu allen anderen Clark/Hatfield-Replikationen, dass sich die Teilnehmer der zweiten Teils von sich aus dazu entschieden, an dem Experiment teilzunehmen, während die Probanden der anderen Untersuchungen unvermittelt angesprochen wurden. Und auch wenn Baranowski nicht davon ausgeht, dass man aufgrund dieser Studie die Schlussfolgerung ziehen kann, dass "Sicherheit" allein dazu führt, dass Frauen sich bereitwilliger auf sexuelle Abenteuer einlassen, so ist doch angesichts der großen Veränderung des Ergebnisses die zentrale Bedeutung von subjektiv wahrgenommener psychischer und physischer Sicherheit als Variable für diese Entscheidung kaum mehr zu bestreiten. Und das ist eine wichtige Erkenntnis, die zweifelsohne den sozialen und kulturellen Aspekten eine weit größere Rolle einräumt, als das die ursprüngliche Studie vermuten ließ.

Tipps zum Flirten?

Angesprochen auf konkrete Tipps, die sich aus der Studie für Flirtwillige – vor allem Männer – ergeben könnten, wird Baranowski, der sich schon im Rahmen seiner auch medial beachteten Diplomarbeit über das Selbsthilfephänomen "Pickup Artists" mit dem Thema Flirten beschäftigt hatte, sehr vorsichtig und gleichzeitig sehr feministisch: Die besten Chancen habe schlicht, wer Frauen respektvoll begegne, ehrlich kommuniziere, und ihnen so das Gefühl von Sicherheit geben könne, "…und wenn dann jemand sagt ‚hey, ficken?‘ dann ist das meist nicht mehr gegeben."

Frauen sind komplexer, Männer auch.

Konkrete Tipps zum Flirten waren allerdings auch nicht Baranowskis Ziel. Vor allem ging es ihm darum, zu zeigen, dass es eine viel größere Flexibilität in den individuellen Sexualstrategien gibt, als das oft behauptet wird: Frauen sind komplexer, Männer auch. Und das wäre etwas, das er gerne auch in Zukunft noch zeigen würde. Zum Beispiel mit einem Studiendesign in dem auch mal Männer "nein" zu Sex sagen. Das wäre dann vermutlich eine noch größere Überraschung.

*Baranowski, A. M. & Hecht, H. (2015). Gender differences and similarities in receptivity to sexual invitations. Effects of location and risk perception. Archives of Sexual Behavior.)

Der Autor Tobias Schwarz twittert als @almostadiary

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