Das Festival de Cannes: Zwei Seiten einer Medaille

11.06.2017
Freizeit
bb, ck

Vom 17. bis 28. Mai fanden die Filmfestspiele in Cannes statt. Dort war auch der Film eines Mainzer Studenten vertreten. Wir waren mit dabei: Wie studentenfreundlich ist das Festival?

70 Jahre Cannes

Das internationale Filmfestival in Cannes feierte 2017 sein 70-jähriges Jubiläum. Jedes Jahr werden dort mehrere hundert Filme und Kurzfilme aus aller Welt präsentiert. 19 davon konkurrieren um die größte Auszeichnung, die goldene Palme. Während der Festspiele wächst die Population der beschaulichen Küstenstadt von ungefähr 70.000 auf über 200.000. Neben Schauspielern, Regisseuren, Produzenten und anderen Vertretern der Filmbranche zieht das Festival auch zahlreiche Touristen an. 

Mitten im Getümmel befindet sich eine kleine Gruppe Mainzer Studenten rund um Thorsten Schlicht. Dessen Kurzfilm Pechmarie, in dem es um sexuellen Missbrauch im familiären Kontext geht, lief dieses Jahr auch in Cannes. Baran Birsin und Christian Kuhn waren Darsteller beziehungsweise Co-Regisseur in Schlichts Film und begleiteten ihn zum Festival. Während Baran als Zuschauer und Tourist das Festival als Urlaub genießen will, sieht Christian als Student der Filmwissenschaft und akkreditierter Co-Regisseur Chancen auf berufliche Perspektiven.

Cannes – Die Welt der Reichen und Schönen

Als Tourist lässt sich über Cannes festhalten: Es ist die Welt der Reichen und Schönen. So zahlt man für eine Shisha bis zu 70 Euro, für einen Eiskaffee 15 Euro und ein Bier für 7 Euro ist auch nicht sonderlich günstig. Vielleicht ist das nicht verwunderlich für ein Filmfestival mit internationalen Stars an der Côte d’Azur, es kann aber einen Studenten leicht an seine finanziellen Grenzen bringen. Meine Empfehlung: Im Supermarkt das nötigste besorgen und einen gemütlichen Abend an der Promenade oder am Strand verbringen. 

Geschichts- und Architekturinteressierte werden aber enttäuscht sein. Hauptattraktion der Stadt sind die Filmfestspiele, sonst fehlt es Cannes an Sehenswürdigkeiten.

Dafür lassen zahlreiche Kinos von morgens bis abends Filme aus allen Teilen der Welt aufführen. So interessant und sehenswert diese Filme auch seien mögen, drängt sich mir jedoch unweigerlich die Frage auf, ob sie es Wert sind, dafür anderthalb Stunden vor der Vorführung Schlange zu stehen, um noch einen Platz im Kinosaal zu ergattern. Denn als Student ohne besonderes Ticket muss man mit den übrigen Touristen warten, bis die Filmkritiker und Regisseure, die an speziellen Badges zu erkennen sind, reingelassen wurden. Erst danach werden die restlichen Plätze an die übrigen Gäste in der Warteschlange vergeben. Es ist keine Seltenheit, auch mal vergebens auf einen Film zu warten.

Um bei den Badges zu bleiben: Ohne die bleiben einem ohnehin viele Orte des Festivalgeländes verschlossen. Wie zum Beispiel der Palais du Festival, ein riesiger Gebäudekomplex direkt an der Küste mit 12 Kinosälen und bis zu 2300 Plätzen. Zwar kann man sich für 30 Euro einen Zugang zum Gebäude für einen Tag erkaufen, muss aber nachweisen, dass man irgendeine Funktion in einem Film innehatte. In meinem Fall war der Eintritt möglich, da ich eine kleine Rolle im Film von Thorsten Schlicht gespielt habe. Selbst dann wird einem aber der Zutritt zu vielen Filmvorführungen verwehrt. Außer man hat das Glück, von einem Filmemacher auf ein Screening eingeladen zu werden.

Zuletzt zu den Stars: Ob nun Will Smith, Colin Farrell oder Diane Krüger – jeder möchte einen Blick auf die bekannten Gesichter erhaschen. Diesen ist man einerseits 100 Meter nah, aber andererseits doch wieder gefühlt 10.000 Kilometer entfernt. Denn sie sind viel zu sehr abgeschirmt, als dass man sich ihnen ernsthaft nähern könnte.

Deshalb bleibt über die Filmfestspiele von Cannes zu sagen, dass es für Touristen einer Zweiklassengesellschaft glich. Auf der einen Seite die Stars und Filmemacher, auf der anderen Seite der Rest.

Cannes als Welt für Filmschaffende

Hat man jedoch einen offiziellen Festival-Badge, eröffnet sich einem das Festival in seiner ganzen Pracht. Wer als Filmemacher akkreditiert ist, hat unbegrenzten Zugang zum kompletten Festivalgelände des Palais du Festival und den umliegenden nationalen Pavillons. Dieses Privileg genießt Thorsten Schlicht, dessen Kurzfilm in der Shortfilm-Corner des Festivals läuft. Als sein Co-Regisseur habe auch ich eine offizielle Akkreditierung und folge ihm, wie Watson seinem Holmes. 

Der Festival-Badge dient als Zugangsberechtigung. Denn auch in Cannes hat man die Sicherheitsvorkehrungen in den letzten Jahren hochgefahren. Man kann selbst auf dem Gelände keinen neuen Raum betreten, ohne dass der Badge gescannt und man von einem Sicherheitsbeamten untersucht wird.

Doch das kann die gute Laune in diesem Glitzerpalast kaum trüben. Auf dem Festivalgelände gibt es viel zu entdecken. Zum einen gibt es natürlich die Filmvorführungen, die dort den ganzen Tag über angeboten werden. Die Filme, die gezeigt werden, schaffen es wahrscheinlich niemals auf die großen deutschen Kinoleinwände. Zu eigenartig sind die Inszenierungen, zu eigenwillig die Kameraführungen und zu speziell die Themen. Bei einem solchen Screening hat man allerdings die Möglichkeit, Regisseure kennenzulernen und sie über künstlerische Entscheidungen oder den Produktionshergang zu befragen.

Hinter dem Palast an der Strandpromenade hat jedes teilnehmende Land seinen eigenen Pavillon aufgebaut. Auch diese darf man nur mit einem Badge betreten. Natürlich zieht es uns in den Pavillon der Deutschen, dem idealen Ort, um entspannt ein Bier am Sandstrand zu trinken. Und das umsonst! Gleichzeitig trifft man hier auf Vertreter der Filmindustrie, mit denen man über zukünftige Projekte sprechen und im Idealfall deren Interesse daran wecken kann. Wir unterhalten uns mit vielen jungen Menschen aus aller Welt, die genauso euphorisch vom Kino schwärmen wie auch unser Mainzer Thorsten Schlicht. Dieser grinst über beide Ohren und hat am Ende die Hände voller Visitenkarten und Filmflyer.

Ein buntes Fest für die Wenigen

Cannes ist vielfältig. Es bietet interessante Ereignisse für Filmbegeisterte, jedoch lohnt sich der Zirkus nur für diejenigen, deren Zukunft im Filmbereich liegt. Wer im Bereich der Filmwissenschaften und Filmproduktion studiert und wie Thorsten das Glück hat, mit einem Film auf dem Festival auftreten zu dürfen, wird wertvolle Erfahrungen sammeln können. Als Ausflugsziel für Studis lohnt sich das Abenteuer aber kaum. Hohe Kosten und ein ständiges Gefühl der Ausgeschlossenheit machen aus Cannes ein befremdliches Erlebnis.

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