Freitag die Nacht durchmachen. Einfach solange abhängen, bis das Licht ausgeht. Mit diesem Vorhaben startet unser Praktikant ins Wochenende. Bis Mitternacht blieb er in der GFG-Bibliothek: Das Protokoll eines Abends mit Victoria Beckham und dem Facebook-Wächter.
Wer jetzt noch in die GFG-Bibliothek will, läuft gegen den Strom. Die meisten huschen schnell aus dem Gebäude, um ins Wochenende zu starten. Aber mit dem Strom schwimmen kann jeder. Für die nächsten drei Stunden setze ich mich in die Bibliothek. Einfach so. Zum Beobachten und Mitnotieren. Nur gucken, nicht lernen!
Über den Daumen gepeilte 30 Studis sitzen noch in der GFG-Bib. Einer schläft. Ich schau nach, wie viele sich noch in der Zentralbibliothek aufhalten. Es sind nochmal ungefähr 30. Ich komme mir vor wie ein Undercover-Journalist. Ein Stück weit bin ich ja auch genau das. In Günter Wallraff Manier sehe ich mich genauer um: Energydrinks und Wasserflaschen halten sich die Waage. Keiner schaut Serien, stell ich mit Erstaunen fest. Mit eingehendem Kontrollblick hab ich das bei allen Bildschirme überprüft.
Der Kampf gegen die innere "Faulness"
Der Schläfer ist nun auch wieder am Lernen. Vor ihm liegt ein Koreanisch-Deutsch Wörterbuch. Warum er den Kampf gegen die Müdigkeit aufnimmt? Naja, eigentlich wollte er schon längst fertig sein. Es liege allein an seiner "Faulness", dass er noch Deutschvokabeln pauken muss, meint er und steckt sein Kopf schnell wieder in sein Buch.
Erst jetzt, wo so wenig Menschen da sind, fällt mir auf, wie unfassbar viele Bücher hier eigentlich stehen. Neben aufgeschlagenen Büchern liegen angeschlagene Studenten. Die meisten hängen doch ordentlich in den Seilen, merk ich.
Spice Girls statt Bachelor-Arbeit
Beim Kontrollgang in der Zentralbibliothek schrecke ich kurz auf. Der erste, der sich der Unterhaltungskost hingibt. Auf dem Bildschirm springen die Spice Girls auf und ab. Mit "You'll be there" lenkt er sich kurz von der Bachelorarbeit in Buchwissenschaft ab.
Ganz kurz versteht sich. Dann wird weitergebüffelt, bis die Bibliothek schließt, verrät er. Seit 13 Uhr ist er schon in der Uni und würde gerne auch länger als nur bis Mitternacht in der Bibliothek bleiben dürfen. Denn hier ist es weder zu laut, noch zu leise, gibt er mir mit auf den Weg. Ein Tastaturklackern und ein Surren der Lüftung. Es stimmt. Der Soundtrack der Bib ist ein gedämpfter Bass.
Das Kopfkratzen und Gähnen nimmt zu. Die Zahl der Nachtschwärmer nimmt ab. Die Verbliebenen sind vor allem Studierende aus dem Ausland, mit denen ich mich auf Englisch unterhalte. Die Bibliothek ist um diese Uhrzeit eindeutig männerdominiert. Auf circa zwei Dutzend Männer kommen nur zwei Frauen.
Ich treffe auf einen Masterstudenten aus Spanien. Auf seinem Platz liegen Formeln breit verstreut. Der Physikstudent bereitet sich auf seine Prüfungen vor. In vier Tagen muss alles sitzen. Deshalb legt er jetzt eine Spätschicht ein und findet mit der Bibliothek einen Ort, an dem das Internet besser ist als bei ihm in der WG.
Zu meiner Überraschung ist die Bibliothek auffallend sauber. Hier und da sind Sachen liegen geblieben. Aber zugemüllt ist es nicht. Ich sehe mich um. Die Spice Girls sind der Tagesschau gewichen. Aber wollte der Kollege nicht an seiner Bachelorarbeit schreiben?
Am Kopierer treffe ich einen Mann Ende 50. Ich kann ihm zeigen, wie er seine Familienchronik als PDF einscannt. Man kommt schnell ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er jetzt nur nach der Arbeit in die Bib gekommen ist. Eingetragener Student ist er nicht. Er leiht sich sonst mit seinem Bibliotheksausweis häufiger mal Bücher für seine Tochter aus, die in der Abiturphase steckt. Das geht. Dafür muss man kein Student sein, versichert er auf zweimaliges Nachfragen. Wusst ich nicht. Mal wieder was gelernt.
Ein tiefer Seufzer aus dem Nebengang läutet die letzten 30 Minuten ein. Ich schaue mich um. Mit Musik im Ohr sitzt der Koreaner wieder vor seinem Deutschbuch. Insgesamt fünf Leute hält es noch in der GFG-Bib. Die untere Etage ist komplett menschenverlassen.
Der abgelenkte "Facebook-Wächter"
Der Pförtner hat seit knapp einer Stunde seinen Facebook-Chatverlauf offen. Wenn jemand durch die Türen geht, schreckt er kurz hoch. Da kaum mehr jemand durch die Türen geht, ist er komplett in seinen Facebookaccount versunken.
Ein kurzer Gong setzt als das Aufräum-Kommando ein. In der ReWi Bibliothek gibt es kurz vor Schließung einen Sprechertext. Warum es hier keine Durchsage gibt, will ich vom Facebook-Wächter wissen. Er kramt den Sprecherzettel hervor. Es habe keiner Lust, den täglich vorzulesen erklärt er. So bleibt es bei einem Gong, der stark an einen Windows PC beim Herunterfahren erinnert.
Das Koreanisch-Deutsch-Wörterbuch wird eingepackt. Wir nicken uns kurz zu, so wie es Busfahrer machen, die sich auf gleicher Strecke begegnen. Er verschwindet schnell in die Nacht.
Der Pförtner schließt erst sein Facebookfenster und dann die GFG-Türen. Sein Assistent riegelt die Zentralbibliothek ab. Ein letzter Kontrollblick. Um 00:10h ist auch die sechsstündige Spätschicht geschafft. Wenn eingeschlafene Studis aufgeweckt werden müssen, dauert das Zuschließen auch schon mal länger, meint er süffisant.
"Das ist aber nicht spannend!"
Als ich ihm von meiner Mission erzähle sagt er nur. "Aha, ist aber nicht sonderlich spannend um die Uhrzeit." Kann man so sehen. Aber ich konnte im Surren des Nachtscanners zu den Spice Girls mitsummen. Das bietet nicht jede Location.
Reinigungskräfte räumen den Müll zusammen. Mitarbeiter der Bibliothek sortieren Bücher wieder in die Regale ein. Bibliotheksgeister der Morgenstunde, die ich nur vom Hören-Sagen kenne. Ich liege noch im Bett und träume von den Spice Girls...
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