"Bildung darf nichts kosten": Im Interview mit Daniel Baldy

24.09.2021
Arbeit, Studium
dv

Daniel Baldy, ein ehemaliger Student der JGU Mainz, kandidiert bei der Bundestagswahl in Mainz für die SPD. Im Interview erzählt er von seiner Zeit an der JGU und seinen bildungspolitischen Plänen.

Der Wahlkampf ist in vollem Gange und auch Daniel Baldy, ein ehemaliger Student der JGU, steckt mittendrin. Er kandidiert für ein Bundestagsmandat und möchte sich unter anderem im Bereich Bildungspolitik einsetzen. Er erzählt sowohl von seinen politischen Plänen als auch von der Herausforderung, als Politiker und Lehrer gleichzeitig zu fungieren. Außerdem gibt er ausführliche Einblicke in sein ehemaliges Studentenleben und seine Verbindungen zur JGU.

Starten wir mit einem Klassiker: Was hat dich dazu bewogen, in die Politik zu gehen?

Tatsächlich Bildungspolitik. Es gibt diese Studie: Von 100 Akademikerkindern machen 79 Abitur und von 100 Arbeiterkindern 25 oder 26. Bei Promotionen ist das Verhältnis bei 10:1, glaube ich. Ich bin selbst Arbeiterkind und für mich war es nie ein Thema, nur weil meine Eltern nicht studiert oder kein Abitur haben, dass das auf mich Einfluss hat. Als ich das gelesen habe, fand ich es krass, dass es so einen Einfluss nimmt. Deswegen wurde ich dann Schülersprecher und bin in die SPD eingetreten.

Welche Aspekte magst du besonders an deiner Arbeit als Politiker?

Ich diskutiere unsagbar gerne. Und man hat viele Themen, die immer miteinander in Verbindung stehen, als Schwerpunkt, auch im Wahlkampf, das Thema Verkehr/Mobilität. Das hat viele Aspekte, wie den Klimaaspekt und den Aspekt des Wohnens. Wenn mehr Bereiche oder beispielsweise die Mainzer Innenstadt gut erreichbar sind, sinken auch die Mieten in der Mainzer Innenstadt, weil viele auch weiter weg wohnen können. Das ist eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, von Bezahlbarkeit. Jedes Thema hat mit allem zu tun, das finde ich total spannend.

Politik, Studium, Lehrer – Passt das alles unter einen Hut?

Du hast an der JGU Lehramt studiert und dieses Jahr dein Referendariat abgeschlossen. Glückwunsch dazu! Auf welche Fächer hast du dich spezialisiert und was magst besonders du an der Arbeit als Lehrer?

Danke schön. Geschichte, katholische Religion und Sozialkunde. Man kann Schüler:innen viele Dinge mit auf den Weg geben. In Geschichte, dass so etwas, basically, wie Wahlrecht eben nicht "basically" ist, sondern hart erkämpft wurde. In Sozialkunde die Demokratie, wie wir sie in Deutschland leben. Dass wir eine Minderheit sind, die davon leben kann. Wir sind da keine Mehrheit, weltweit gesehen. Und in Religion, dass man über heftige Themen diskutiert und irgendwann merkt, bei den Schülern macht es Klick und sie denken darüber nach. Das finde ich cool.

Inwiefern lassen sich das Dasein als Politiker und das Leben als Lehrer miteinander verbinden?

Schwierig. In der Prüfungsphase war es schon heftig. Ich hatte Ende Juni die letzte Prüfung und in den zwei Wochen davor habe ich gemerkt, das ist nicht so, wie ich es mir vorstelle. Der schlimmste Tag war der Prüfungstag. Da war hier morgens um 10 Uhr noch ein Fotoshooting mit Malu Dreyer und um 12 Uhr hatte ich meine Prüfung in Kaiserslautern. Da dachte ich, besser kann man das nicht zusammenfassen. Es war nicht ganz einfach.

Sich die Zeit für beide Berufe aufzuteilen ist schwierig. Hat das Dasein als Politiker aber auch positive Auswirkungen auf das Leben als Lehrer? 

Meine Schüler:innen wussten es recht lange nicht und zwei Wochen vor meinem Referendariat ist es rausgekommen. Das war witzig und spannend, weil sie dann nachgefragt haben, wie das alles so ist. Dadurch, dass ich nicht mehr an dieser Schule unterrichte, sind mir jetzt auch einige Schüler bei Instagram gefolgt und die reagieren manchmal auf Stories und wünschen mir viel Erfolg, das finde ich total knuffig und witzig.

"Klausuren kann man wiederholen, Partys nicht."

Gehen wir zurück zu deiner Zeit an der JGU. Gibt es besondere Erlebnisse oder Erinnerungen, die du mit der JGU in Verbindung bringst?

Ich war einmal Protokollant bei einer mündlichen Prüfung, bei einem Professor, von dem ich wusste, dass er in der CDU ist. Ich wusste nicht, dass er auch weiß, dass ich in der SPD bin. Dann fragte er plötzlich, wie es politisch bei mir läuft. Das war gerade in der Zeit, als Merkel angekündigt hat, zurückzutreten und die Debatte stattfand, wer CDU-Vorsitzender wird. Darüber haben wir dann diskutiert und das war ganz witzig. Außerdem saß ein Kumpel von mir dabei und wurde geprüft, es ging um Arbeitnehmerschaft und der Professor fragte ihn, was daraus entstanden ist. Er kam nicht darauf und zeigte auf mich und sagte: "Schauen Sie doch auf ihn." Das war sehr witzig. Ansonsten … ich habe mal einen Drittversuch mit 4,0 geschafft.

Was würdest du aktuellen Studierenden raten? Welche Lehren nimmst du aus deiner Zeit an der JGU mit?

Das klingt jetzt doof, aber jeder denkt, der Bachelor geht sechs Semester, Master vier. Ich habe bei beidem ein Semester mehr gebraucht und sowas schadet nicht. Gerade bei Seminaren sollte man schauen, dass man die Themen macht, die einen interessieren, und sich auch mal einen Tag freihalten. Und das Chili con Carne in der GFG Mensa! Wahrscheinlich könnte man auch sowas sagen wie: Klausuren kann man wiederholen, Partys nicht. Was mir noch einfällt, ist, Sportangebote wahrzunehmen. Ich habe eine Zeit lang Rugby gespielt und bei Flagfootball reingeschaut. Ich finde es cool, dass es da so ein breites Spektrum an Sport gibt. Das ist mein Tipp.

Hast du neben dem Sportangebot auch Angebote im politischen Bereich wahrgenommen, zum Beispiel im AStA oder StuPa?

Nein, ich habe 2014 kommunalpolitisch angefangen, da hat ein Parlament gereicht. Das war dann Gemeinderat/Verbandsgemeinderat. StuPa dazu, das wäre zu viel geworden. Bei Rugby habe ich auch eher nur reingeschnuppert, aber das war auch wegen der Politik zeitlich schwierig. Wenn man da mal eine Woche weg war, zum Beispiel wegen dem Gemeinderat, dann dachte man in der nächsten Woche: "Ich lauf‘ hier rum wie Falschgeld." Es macht Spaß, aber das sollte man dann konsequent machen. 

Hast du den Eindruck, dass sich die Uni bzw. das Studium während deiner Zeit an der JGU verändert hat? Beispielsweise in Bezug auf Grünflächen?

Wenig Grünfläche war schon immer. Ich fand es überraschend zu sehen, wie sehr sich der Campus ändert, dass da dauernd eine Baustelle ist. Es war spannend zu sehen, wie die Gebäude abgerissen werden und neue hinkommen. Aber dass es wenig Grünflächen gab … die haben mir auch immer gefehlt. Gleichzeitig gibt es viele Orte, an denen man sich in Ruhe hinsetzen kann, seien es nur die Flure im GFG. Ich finde es gut, dass es eine Campusuni ist. Bei einer Freundin in Marburg sind die Gebäude weiter verstreut. Ich fand es schon furchtbar, nur vom BKM-Gebäude immer rüberzulaufen.

Gab es sonst noch Dinge, die dich im Studium genervt haben?

Dass manche Sachen so derbe kompliziert sind, wenn es um Veranstaltungsanmeldungen geht. Da dachte ich teilweise: "Oh, Hilfe."

An vielen Fronten in Bildung investieren

Inwiefern hat das Studium dich in der Entscheidung, sich als Politiker zu engagieren, beeinflusst?

Eher weniger. Ich war vorher schon politisch aktiv. Aber als ich 2011 eingetreten bin, gab es die Debatte um Studiengebühren in Hessen, das war etwas, was mich politisiert hat. Weil ich sage: Bildung darf nichts kosten. Bildung ist ungleich und Bildungschancen sind ungleich verteilt. Das hat sich im Studium aber nicht nochmal mehr offenbart, auch weil ich gemerkt habe, dass das bei vielen gar nicht so Thema ist. 

Hat dich die Zeit an der JGU auch beeinflusst was die bildungspolitischen Vorstellungen betrifft und was das Finanzielle angeht?

Ja, auch wenn man mit Leuten darüber spricht, Stichwort Verträge in der Wirtschaft und Forschungsgelder. Es nervt schon viele, dass man eine Kettenbefristung hat, weil die von Forschungsgeldern abhängig ist. An der Uni sind die Gebäude eben teilweise so, wie sie sind, und man würde sich wünschen, dass sie moderner werden. Es hat nochmal verdeutlicht, was es heißt, in Bildung zu investieren: Dass es nicht nur um Bildungschancen geht, sondern am Ende auch um die klassische Ausstattung davon, wie eine Bildungsinstitution aussehen muss. 

Und das möchtest du jetzt mit deinem politischen Engagement angehen? 

Tatsächlich mehr die Bildungsgerechtigkeit selbst. Ich beneide Leute, die sich bei der Hochschulpolitik reinhängen. Ich habe mich da immer schwergetan und ich habe mit Finanzierung von Studierendenwerken nicht so viel am Hut gehabt, zumal es auch zum Großteil Landesthema ist. Wie gesagt, eher Bildungsgerechtigkeit: Wie schaffen wir es, dass alle Kinder in Deutschland dieselbe Chance haben - egal, ob sie arbeiter- oder akademikerintegriert sind?

Gibt es aktuell noch einen Bezug zur JGU, zum Beispiel durch die Teilnahme an Partys oder Veranstaltungen?

Freunde studieren da tatsächlich noch. Ich hätte schon mal wieder Bock, auf ein AStA Sommerfest zu gehen. Ich habe letztes Jahr im Januar angefangen mit dem Referendariat und dann nach drei Monaten gab es auch keine Partys mehr. So eine SÖF mal wieder, bei 17 Grad im April und mit Wind sich auf dem Campus die Lichter auszuschießen, das war immer cool. Die Leute, die morgens ins Seminar kamen und so komplett wasted waren, WG-Partys oder sowas, das fehlt ja momentan komplett. Aber es ist auch leider ein bisschen der Zeit geschuldet. Ich war auch ein-, zweimal da oben spazieren, das ist immer cool. Es ist cool, drüberzulaufen und sich anzugucken, wie sich das dauernd verändert.

Unterstützung beim Klimaschutz – da geht noch mehr

Zu einem ganz anderen Thema – Klimaschutz. Es gibt viele junge Menschen, die sich da engagieren. Findest du, das Thema sollte in Universitäten präsenter werden und wenn ja, warum und wie?

Dass es präsent werden muss, auf jeden Fall. Man merkt schon, dass auch ein Bewusstsein da ist, dass auch im GFG vegetarisch/vegan gekocht wurde. Man hat das Studiticket, das dazu führt, dass man den ÖPNV nutzen kann. Wie man es in der Lehre und Forschung etabliert, das ist auch abhängig davon, wer die handelnden Personen sind. Ich fände es spannend, in Geschichte ein Seminar abzuhalten über die Entwicklung der Klimabewegung. Aber es bringt nichts, wenn es jemand macht, der nicht mit dem Thema affin ist. Ich glaube schon, dass es einen größeren Stellenwert einnehmen muss, aber auch wird, weil sich viel mehr Leute von selbst damit beschäftigen.

Ich glaube, dass man sich sowohl in der Forschung als auch in der Lehre sicherlich mal anschaut, zum Beispiel in PoWi-Seminaren oder auch in den Filmwissenschaften: Was hat das Klimathema beispielsweise auch in Filmen für eine Entwicklung gemacht? Ich hatte ein PoWi-Seminar, in dem der Dozent uns 500 Seiten gegeben hat und sagte, man kann sich die in der Druckerei holen. Da denkt man: "Stell' es doch einfach online." Da sollte man einfach die Lehre noch moderner machen und vor allen Dingen die Dozierenden, die sich da noch schwertun, mehr dazu schieben, die Texte online zu stellen.

Viele Studierende fühlen sich bezüglich des Klimaschutzes nicht ausreichend unterstützt oder ernst genommen. Welches Konzept wäre von politischer Seite hier für dich eine größere Stütze? 

Es geht um das Umsetzen: Beim Bau von öffentlichen Gebäuden sollte man damit anfangen, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu errichten. Ich habe das Gefühl, dass das an vielen Stellen noch nicht gemacht wird, nicht mitgedacht wird. Das ist ja kein hochgetragener Gedanke, sondern man baut halt etwas aufs Dach. Und das gilt nicht nur für die JGU, sondern für alle öffentlichen Gebäude, Rathaus, Bibliothek, Schulen.

Angebote wie der ÖPNV sollten kostengünstiger sein, das ist auch ein Aspekt von sozialer Gerechtigkeit: Klar kann ich durch die Erhöhung des Spritpreises dafür sorgen, dass weniger Menschen Auto fahren, aber der Bus ist dann immer noch teuer und das kann es auch nicht sein. Ich glaube, man nimmt auch mehr Leute mit, wenn man ein kostengünstiges Busticket macht. Wenn es ökonomisch sinnvoll ist, machen es Leute freiwillig. Man sollte vielleicht auch mehr deregulieren und weniger auf große Konzerne hören, die so lange wie möglich ihre Kohlekraftwerke laufen lassen.

Medizin, Mieten und Mobilität in und um Mainz als Baustellen

Thema Wahlkampf. Gab es Begegnungen mit jungen Menschen, besonders Studierenden, die nach wie vor in Erinnerung geblieben sind? Zum Beispiel, weil sie ein bestimmtes Thema angesprochen haben oder eine bestimmte Perspektive zur Sprache kam? 

Als Olaf Scholz in Mainz war, habe ich mich mit einem Zahn- und einem Humanmediziner unterhalten. In der Medizin ist es so, dass man die ersten vier Semester an der Uni ist und dann an die Klinik wechselt. Deren Wechsel an die Klinik war zu Beginn der Corona-Zeit. Sie hatten also keinen Patientenkontakt und sagen, sie würden gerne mehr machen, dürfen aber nicht. Das fand ich erschreckend, dass gerade in den Berufen, in denen Menschenkontakt unsagbar wichtig ist, der in den letzten anderthalb Jahren gefehlt hat. Jetzt muss man sich Gedanken darüber machen, wie man das aufholen kann, ohne dass es auf Kosten der Studierenden geht, auf Kosten der Patienten oder Schüler:innen. Ansonsten ist das Thema Wohnen ein ganz großes Thema, die bezahlbare Miete.

Du hast viele Wahlplakate, auf denen du zum Beispiel vor der Alten Mensa oder vor einem Wohnheim des Studierendenwerkes zu sehen bist. Warum hast du dich dafür entschieden? Um dich mit Studierenden in Verbindung zu bringen? 

Da ging es vor allem um das Thema Wohnen und um die Frage, wie wir Wohnraum schaffen können, ohne zu viele Flächen zu versiegeln. Es ging auch einfach darum, die Verknüpfung von Stadt und Land noch einmal zu visualisieren. 

Wir kommen zur letzten Frage. Was möchtest du bewirken oder erreichen, wenn du in den Bundestag gewählt und dort Abgeordneter würdest? 

Wenn es das berühmte Fingerschnipsen ist und eine Sache wird direkt umgesetzt, dann die Kindergrundsicherung. Es ist, gerade beim Thema Bildungsgerechtigkeit, unsagbar wichtig, dass man als Kind von Grund auf die Möglichkeit hat, zum Beispiel Fußball zu spielen. Das können viele nicht, weil sie sich ihre Fußballschuhe nicht leisten können. Oder Musikunterricht nehmen, das können viele einfach nicht. Es geht darum, eben nicht nur die Kompetenzen in der Schule erwerben zu können, sondern auch außerhalb. Da glaube ich, dass die Kindergrundsicherung der richtige Weg ist.

Langfristig gesehen will ich, dass auch hier in der Region die Verkehrs- und Mobilitätswende stärker umgesetzt wird, beispielsweise der Ausbau der S-Bahn nach Bingen. Gleise ausbauen, das ist nicht einfach, weil es teilweise nicht nur mit neuen Gleisen, sondern auch mit einer neuen Trasse gemacht werden muss, weil der Platz nicht da ist. Aber wenn es uns das wert ist, und das sollte es uns sein, müssen wir das auch schaffen. Mobilitätswende, Ausbau der Schienen, Stärkung von Park & Ride-Infrastruktur, gerade am Mainzer Stadtrand. Man soll nicht immer in die Stadt fahren müssen, sondern am Stadtrand das Auto stehen lassen und günstig in die Straßenbahn umsteigen können. So hält man die Autos raus und kann dafür aus den Parkhäusern vielleicht auch etwas Kulturelles machen. Das sind die Ziele, die ich hoffentlich mit umsetzen kann.

Vielen Dank für Ihre Zeit und das interessante Gespräch. 

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