Mainz hat eine langjährige Kinogeschichte. Über 100 Jahre lang kamen und gingen viele unterschiedliche Kinos. Eine der wenigen Konstanten über diesen Zeitraum waren in erster Linie das Capitol in der Neubrunnenstraße und ab den 1940er Jahren auch das Palatin in der Mittleren Bleiche. Auffällig ist, dass die Zahl an Kinos in Mainz laut einem studentischen Projekt unter der Leitung von Dr. Roman Mauer vom Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz seit den 1940er Jahren stetig abgenommen hat. Während es zwischen den Jahren 1946 und 1968 noch 21 Kinos waren, seien es zwischen 1999 und 2019 nur noch acht Kinos gewesen. Nach dem Oktober 2023 werden es voraussichtlich nur noch zwei oder drei sein. Denn – nach dem Kauf und angekündigten Abriss des Gebäudes des Palatins durch die Immobilenfirma Fischer & Co. (campus-mainz.net berichtete) werden die Programmkinos Capitol&Palatin im Oktober schließen.
Im Gespräch mit campus-mainz.net erklärt Filmwissenschaftler Marc Siegel: „Für die Hauptstadt von Rheinland-Pfalz, für die sogenannte Medienstadt Rheinland-Pfalz, für die Stadt die durch Biontech so viel Geld verdient hat, ist das eine Peinlichkeit“. Programmkinos seien ein wichtiger Ort für die Filmwissenschaft, da hier unabhängigeren und finanziell schwächeren internationalen Projekten eine Bühne gegeben werden kann. Andersherum verlieren auch Filmliebhaber:innen und Filmwissenschaftsstudent:innen „einen Zugang zu zeitgenössischen Filmproduktionen“ wie Professor Siegel erklärt.
Doch es gehe nicht nur um die Vorführung von Filmen, sondern auch um die soziale Ebene der Kinos. „Wir verlieren den sozialen Ort Kino“ sagte Professor Siegel. Insbesondere ein Programmkino sei mehr als eine Leinwand, auf der Filme vorgeführt werden, es sei ein Begegnungsort für jung und alt, für Student:innen und Regisseur:innen sowie zwischen jungen Filmemacher:innen und ihrem Publikum. In Programmkinos gäbe es häufig ein kulturelles Programm, welches weit über die einfache Filmvorführung hinaus gehe. Professor Siegel fordert, dass kommunale Kinos und Programmkinos von der Stadt Mainz und auch allgemein als Kulturgüter angesehen werden sollten, welche staatliche Unterstützung benötigen. „[…] meiner Meinung nach sollte ein Programmkino oder ein kommunales Kino wie ein Staatstheater oder ein Museum behandelt werden,“ erklärt Siegel.
Es ist also absehbar, dass die Schließung der beiden Programmkinos negative Auswirkungen auf die Filmkultur und damit auch auf die Filmwissenschaft in Mainz haben wird, da der einzige Begegnungsort mit einer ausgeprägten Filmkultur in Mainz voraussichtlich für mehrere Jahre verloren gehen wird.
Laut der Pressemitteilung von Capitol und Palatin sowie diversen Medienberichten wie zum Beispiel von der Frankfurter Rundschau, gab es schon bevor im April 2023 feststand, dass die beiden letzten Programmkinos in Mainz geschlossen werden, längere Zeit Diskussionen um die Zukunft von Capitol&Palatin. Die Stadt Mainz, die Betreiber von Capitol&Palatin, Jochen Seehuber und Eduard Zeiler sowie die neuen Besitzer:innen der Immobilie des Wohnungsbauunternehmens Fischer & Co versuchten, die Zukunft der Programmkinos in Mainz zu organisieren. Dabei ist für Außenstehende kaum einzuordnen, wer nun tatsächlich für die Schließung verantwortlich ist. Von den ehemaligen Kinobetreibern und von unterschiedlichen Kampagnen zur Erhaltung der Programmkinos werden schwere Vorwürfe gegen die Stadt und das Kulturdezernat erhoben. Es seien Versprechungen seitens der Stadt nicht eingehalten worden und man habe trotz mehrfacher Rückfrage seitens der Kinobetreiber keine Lösungen finden können. Die Stadt Mainz sieht wiederum die Gründe für die Kinoschließung im Oktober bei den jetzigen Kinobetreibern, sowie in der einfachen Marktentwicklungen. Nach der Aussage der Kinobetreiber seien die Besucher:innenzaheln jedoch kein Grund für die Kinoschließungen. Laut übereinstimmenden Medienberichten seien es viel mehr versicherungstechnische Gründe, welche zur Schließung der beiden Programmkinos führten. Demnach seien zum Beispiel im August 2023 die Wartungs- und Reaparaturgarantien ausgelaufen, was bei Schäden zu hohen Kosten hätte führen können. Eine Verlängerung der Garantien um zwei Jahre sei laut einem Artikel des Sensor nur bis März 2023 möglich gewesen. Die Stadt könne den Betreibern wohl nicht die Planungssicherheit garantieren, die es gebraucht hätte, um langfristige Investitionen zu tätigen und damit die Kinos weiter zu betreiben.
Im Hinblick auf die Kinoschließungen sei es gerade für Student:innen wichtig, dass der Lehrplan laut Prof. Marc Siegel unabhängig von den Programmen der Kinos organisiert werde. Gleichzeitig gäbe es auch weiterhin Filmvorführungen zum Beispiel von der Fachschaft Filmwissenschaft oder im Muschelkino. Viele Filme, die Teil des Lehrplans seien, könnten auch online abgerufen werden, wodurch der Schaden für Student:innen vermindert werden könne. Das Kommunalkino Cinemayence am Schillerplatz kann für Student:innen und Anwohner:innen meiner Meinung nach ebenfalls eine interessante Alternative zum vorhandenen Multiplex Kino sein. Die Pläne der Stadt, das Capitol zu übernehmen und weiter in Betrieb zu halten sind hingegen schwer einzuordnen, da es laut einem Artikel der Allgemeinen Zeitung keine genaueren Informationen zu der Umsetzung der Pläne zu geben scheint. Für alle Filmwissenschaftsstudent:innen bleibt jedoch zu hoffen, dass die Stadt die Bedeutung von Kinos als kulturelle Institution und wichtigen Begegnungsort anerkennt und entsprechend handelt.
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