campus-mainz.net: Hallo Vavunettha, stell dich doch kurz vor. Was studierst du und wie kam es dazu, dass du dein Erasmus-Jahr in Italien absolvierst?
Vavunettha: Ich studiere Geschichte und Komparatistik im sechsten Semester. Ich habe mich vor etwa einem Jahr spontan auf die Erasmus-Restplätze beworben und wurde in Rom angenommen. Rom war tatsächlich meine Zweitwahl, da ich ursprünglich nach Madrid wollte. Meine Erasmus-Koordinatorin empfahl mir aber nach Rom zu gehen, da es hier mehr Angebote für Bachelor-Studierende gibt. Ich hatte mich ursprünglich nur für ein Semester beworben, habe dann aber um ein weiteres Semester verlängert, da mir das Leben hier sehr gut gefiel.
Natürlich habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht den Ausbruch einer Pandemie erwartet.
CM: Wie ist die Situation gerade in der Stadt?
V: Mittlerweile sind ca. drei Wochen vergangen, seit in ganz Italien eine Ausgangssperre verordnet wurde. Wir sind also alle gezwungenermaßen in Quarantäne. Das letzte Mal im Zentrum Roms war ich einige Tage bevor es zum landesweiten Lockdown kam. Da war die Stadt auch schon ungewöhnlich leer. Schließlich lebt Rom sonst vom Tourismus.
Als die Infizierten- und Todeszahl täglich rasanter anstieg, habe ich mich zum ersten Mal etwas unsicher gefühlt. Viele von meinen Freunden sind dann auch nach und nach wieder in ihre Heimatländer zurückgereist, als die ersten Maßnahmen im Zuge des Lockdowns ergriffen wurden, wie beispielsweise die Schließung aller Schulen und Universitäten. Eine Woche später wurden auch alle anderen öffentlichen Einrichtungen wie Bars, Clubs und Restaurants geschlossen – alles bis auf Supermärkte und Apotheken. Gleichzeitig wurde dann auch die Ausgangssperre eingeführt.
Irgendwann waren dann so gut wie alle meine Freunde wieder in ihrer Heimat. Das gab mir schon ein seltsames Gefühl. Ich wusste nicht, ob ich nun auch gehen sollte. Ich habe dann versucht meine Erasmuskoordinatorin in Mainz zu erreichen, was anfangs etwas schwierig war. Mit ihr habe ich dann die Situation besprochen und im Endeffekt lag die Entscheidung bei mir, ob ich in Rom bleiben möchte oder nicht. Dadurch, dass ich von anderen Ländern mitbekommen hatte, dass alle Staatsbürger explizit zur Rückkehr aufgefordert wurden, ging ich zunächst davon aus, dass es in Deutschland auch so sein könnte – aber das ist nicht passiert. Letztendlich habe ich mich dann dazu entschieden in Rom zu bleiben, da hier alle Uni-Veranstaltungen auch online angeboten werden und es aufwendiger, teurer und riskanter gewesen wäre, zurückzureisen. Aktuell bin ich also in Quarantäne in meiner WG und erledige die Uni-Aufgaben hier.
CM: Wie geht es dir und deinen Kommiliton:innen?
Zu meinem Glück (ich kann nicht in Worte fassen, wie glücklich ich mich schätze) habe ich wundervolle Mitbewohnerinnen. Ich glaube, ohne sie würde diese Situation überhaupt nicht schön verlaufen. U.a., weil ich sehr gut darin bin, mich verrückt zu machen. So kann ich mich aber austauschen und meine Ängste mit ihnen teilen. Und ich muss ehrlich sagen, dass es mir momentan sehr gut geht.
Die Situation ist dennoch immernoch sehr beängstigend und belastend. Jeden Abend um 18 Uhr gibt es die neuen Zahlen und Informationen zur Entwicklung des Virus. Ende März kam es plötzlich zu einem krassen Anstieg der Neu-Infizierten. Die folgenden zwei Tage sind es immer mehr geworden. Dazu kam dann noch die Anzahl der Toten, die momentan bei über 10.000 liegt. Das war bisher die schlimmste Nachricht. Da haben wir uns auch echt Gedanken gemacht. Man fragt sich, ob es so weitergehen wird.
Abgesehen davon habe ich auch in unserem Umgang mit der Situation einige Veränderungen bemerkt. Meine Mitbewohnerinnen und ich achten von Tag zu Tag immer mehr darauf, dass auch alles sauber und desinfiziert ist. Man verlässt das Haus zwar nur zum Einkaufen und Müll rausbringen, aber auch da achten wir darauf, dass wir unsere getragenen Klamotten und Schuhe immer raus auf die Terrasse stellen. Ob das wirklich sinnvoll ist, sei dahingestellt. Die Situation macht einen etwas verrückt. Und auch wenn es nur dazu da ist, um uns selber zu beruhigen, finde ich es wichtig und gut, dass das unser Weg ist, mit der Sache umzugehen.
CM: Was bedeutet die aktuelle Situation für deinen Uni-Alltag?
V: Das Semester in Italien ging schon Anfang März los. Nach zwei Tagen Uni kam es aber schon zur Schließung der Schulen und Unis. Es hat ein wenig gedauert bis die ganzen Online-Veranstaltungen eingerichtet wurden, aber seitdem läuft es ganz gut. In meinem Fall habe ich eine Vorlesung, die wie vorgesehen dreimal die Woche über Microsoft Teams stattfindet. Der einzige Unterschied ist, dass wir alle Zuhause sitzen und unseren Professor bzw. die Powerpoint-Folien durch den Bildschirm sehen und hören. Ein anderer Kurs läuft einmal wöchentlich über Skype, was auch sehr angenehm ist. Ansonsten werden alle relevanten Materialien online gestellt, sowie Hausaufgaben, für die wir eine Deadline bekommen.
Das einzige Problem sind die Klausuren. Es ist eher schwierig, die online durchzuführen und entsprechend können sie nicht stattfinden. Stattdessen müssen wir andere Leistungen erbringen, die dann benotet werden, wie z.B. Referate oder Hausarbeiten. Für die Recherche haben wir natürlich nicht die Möglichkeit an die Uni zu fahren. Aber auch da stehen uns die Professoren zur Seite und helfen uns dabei, verwendbare Quellen und Literatur zu finden.
CM: Stehst du in Kontakt mit der Uni Mainz und deiner lokalen Uni? Fühlst du dich von der Uni vor Ort bzw. JGU gut mit Informationen versorgt?
V: Ehrlich gesagt hatte ich öfter Schwierigkeiten meine Heimatuniversität zu erreichen. V.a. als die Ausgangssperre eingeführt wurde, war es mir wichtig die Situation zu besprechen, damit ich weiß, wie ich weitermachen soll.
Von der lokalen Uni fühle ich mich sehr gut versorgt, da ich alle meine Kurse auch online belegen kann und meine Credits dafür bekomme. Wir stehen im engen Kontakt zu unseren Professoren, die uns, soweit es geht, unterstützen.
CM: Was hilft dir gerade dabei, mit der Situation umzugehen?
V: Vor der Krise hatte ich ein aufregendes und vollgepacktes Sozialleben. Ich hatte im ersten Semester nicht viele Univeranstaltungen, weswegen ich auch keine krasse Routine hatte. Ich war viel und oft mit meinen Freunden unterwegs. Aufgrund der warmen Temperaturen im September und Oktober war es uns auch möglich viel Zeit draußen zu verbringen. Lange Nächte und ein kaputter Schlafrhythmus waren mein Alltag. Ich habe die Zeit sehr genossen und bin tatsächlich auch sehr froh, dass ich im ersten Semester nicht oft an die Uni musste. Besonders jetzt weiß ich es sehr zu schätzen, dass ich überhaupt ein Sozialleben hatte. Davon kann momentan nicht die Rede sein.
Mein Alltag sieht momentan so aus: Wenn ich eine Online-Vorlesung um 10 Uhr habe, stelle ich mir meistens einen Wecker so gegen 9:45 Uhr, lasse mir kurz Zeit, um wach zu werden und setze mich anschließend an den Laptop. Während ich die Vorlesung laufen lasse, arbeite ich meistens parallel noch an anderen Aufgaben für die Uni, wie z.B. an einem Referat. An den Tagen, an denen ich erst später Vorlesungen habe, versuche ich nicht allzu lange im Bett liegenzubleiben und setze mich direkt nach dem Aufstehen an meine Aufgaben. Sobald ich dann Hunger habe, gibt es eine kleine Pause. Nach dem Essen versuche ich noch so viel es geht zu machen.
Es ist also ein bisschen wie zur Schule gehen. Ich erledige morgens und mittags meinen Unikram, sodass ich den Rest des Tages Zeit für andere Dinge habe, wie z.B. Kochen, Sport oder mit meinen Mitbewohnerinnen Zeit zu verbringen.
CM: Wie geht ihr in eurer WG mit der Ausgangssperre um? Womit vertreibt ihr euch die Zeit?
V: Unser Alltag spielt sich komplett Zuhause ab. Ich persönlich habe eigentlich immer was zu tun, bzw. finde immer eine Beschäftigung. Was natürlich auch extrem wichtig ist, ist, dass man die Möglichkeit hat, seinen Hobbys irgendwie nachzugehen trotz der Einschränkungen. Zumindest ist es mir und meiner WG sehr wichtig, einen Ausgleich zu haben.
Mein Ausgleich ist zum Beispiel Musikmachen, d.h. ich habe quasi keine Einschränkungen, weil ich das sowieso Zuhause machen würde. Meine Mitbewohnerin studiert Fotografie, was entsprechend auch einen großen Teil ihres Alltags einnimmt. Obwohl sie gerne draußen fotografiert, hat sie während der Quarantäne viele neue Ideen für Projekte bekommen. Eines handelt vom Leben während der Pandemie. Sie bezieht uns oft mit in ihre Projekte ein, wodurch wir auch sehr viel Zeit miteinander verbringen.
Natürlich ist das nichts Besonderes, wenn man in der gleichen Wohnung wohnt, aber ich habe gemerkt, dass sich unser Verhältnis zueinander auf jeden Fall ein wenig verändert hat. Man steht sich noch näher als zuvor und lernt sich besser kennen. Gott sei Dank kommen wir so gut miteinander zurecht. Besonders in einer solchen Ausnahmesituation ist es wichtig, dass man Leute um sich hat, die einem beistehen und das Ganze etwas angenehmer machen.
CM: Vavunettha, vielen Dank für das Interview.
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